Aufgaben

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Am nächsten Morgen erwartete mich Petersen Hédrian zu meiner Unterweisung. Er sah gut aus, und das letzte bisschen Sorge um ihn schwand. Ich freute mich, ihn zu sehen.

Er schmunzelte, als er mich sah. „Médancon und Álkaran sind sehr zufrieden mit deiner Sprache. Sie waren beide überrascht, wie gut du uns in der kurzen Zeit schon verstehst und dich äußern kannst. Wenngleich du mit Médancon gestern Abend geschummelt hast, wie er mir verraten hat." Er kicherte leise vor sich hin. „Médancon und auch Grésto haben recht: Nun müssen wir herausfinden, wozu du taugst, damit du deinen Platz in unserem Volk finden kannst."

Meine Stimmung sank, denn ich wurde aufs Neue erinnert, dass ich nicht nach Hause zurückkehren konnte.

Der Vormittag verging, indem Petersen Hédrian mir die verschiedenen Aufgabenfelder darlegte und grob erklärte, was jeweils getan werden musste. Neben Fischfang, Ackerbau, Werkzeugherstellung und Kranken- und Tierpflege gab es noch Bauwesen, Technik, Bootsbau, Vorratshaltung, Ernte- und Fischverarbeitung, Instrumentenbau, Weberei, Schneiderei, Herstellung von Flechtwerk, Malerei, Sterndeutung, Kindererziehung, Platz- und Altarpflege und bestimmt noch hundert Dinge mehr.

Aufgrund meiner Konstitution schieden die schweren körperlichen Arbeiten aus, das Gleiche galt für die Kindererziehung und die Altarpflege, da ich weder in der Sprache noch im hiesigen Glauben firm war. Zu allen technischen Zweigen fehlten mir sämtliche Grundlagen. Wir kamen überein, dass ich im Bereich der Hauswirtschaft erst einmal recht schnell eingesetzt werden konnte.

Am Nachmittag gesellte sich Grésto zu uns und schien zufrieden mit unserem Ergebnis.

„Der Unterricht mit Hédrian endet heute", stellte sie fest. „Ab morgen wirst du bis zum Mittag hier im Haus helfen. Jeweils eine Mondphase lang wirst du nachmittags flechten, weben, den Heilern helfen und vieles mehr, damit wir zusammen herausfinden, was du am besten kannst.

Nach jeweils sechs Tagen hast du einen Tag frei, um dich mit Éngin-Doloh vertraut zu machen und eigene Erledigungen zu treffen. Die betreffenden Meisterinnen und Meister holen dich immer am Tag des Neumonds ab. Wir werden mit der Fischverarbeitung beginnen. Bis du deinen Platz gefunden hast und selbst einen Hausstand gründest, sollst du selbstverständlich weiter hier wohnen. Wenn du abends mit uns speisen und uns zum Aën-Sangaa begleiten möchtest, sei stets gern unser Gast."

Ich nickte, erleichtert mich endlich nützlich machen zu können, und vollzog die formelle Dankesgeste.

Bélawaïth, der Grauhaarige, der damals bei meiner nächtlichen Ankunft geöffnet hatte und eine Art Hausvorsteher war, übergab mir einen Wecker, eine Konstruktion aus Röhren, einer Glocke und Wasser in einem leichten Kästchen aus Holz. Hédrian zeigte mir geduldig, wie ich das Gerät einstellen musste.

Im Morgengrauen weckte mich der Glockenton. Nachts hatte die Erde wieder leicht gebebt. Gleichwohl fühlte ich mich ausgeruht und war gespannt auf den neuen Abschnitt meines Daseins. Ich erhob mich, unterzog mich meiner Morgentoilette und kleidete mich in einen dunkelroten Umhang aus gröberem Stoff, den ich am Vorabend erhalten hatte. Das Kleidungsstück schmiegte sich trotz seiner Robustheit angenehm an meine Haut.

Ohne große Hoffnung schaute ich aus dem Fenster. Wie ich erwartet hatte, war Médancon zu dieser wahrhaft frühen Stunde nicht im Garten. Trotzdem fühlte ich mich etwas enttäuscht, was aber nur kurz währte, da es gleich darauf klopfte.

Ich öffnete. Eine mollige, junge Frau in meinem Alter mit dunklem Teint, ebenso dunklen Locken und fröhlich blitzenden braunen Augen, genauso gewandet wie ich, strahlte mich an. Ich hatte sie schon öfter im Haus gesehen. Sie war die gleiche Frau, die mich an meinem ersten Tag zu Petersen Hédrian geführt hatte. Ich hatte allerdings noch nie mit ihr gesprochen.

Kántarellas LichtgestaltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt