Sturmnacht

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Ich wartete auf Paul, doch er kam lange Zeit nicht zurück. Die Luft in der Kabine erschien zunehmend stickiger. Mir wurde mulmig. Gern hätte ich das Bullauge geöffnet, bloß konnte ich dies nicht allein. Dazu saß der Hebel zu fest. Davon abgesehen klatschten die Wellen ständig dagegen.

Ich krümmte mich auf der Pritsche zusammen, lockerte mein Mieder, um besser atmen zu können. Nichts half.

Luft!, dachte ich. Ich brauche Luft. Frische Luft.

Ich fuhr in meine festen Schuhe, griff mein Tuch, wickelte mich ein. Nicht, dass das bisschen Stoff Nässe wirklich abgehalten hätte. Neben mir auf dem Waschtisch lag die Schwimmweste.

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste", schlich sich der alte Spruch in meine Gedanken.

Ich legte die Weste an, auch wenn ich die Riemen nicht mit Sorgfalt festzurrte.

Froh war ich, dass die Mannschaft völlig mit dem unbilligen Wetter beschäftigt war. Niemand hielt mich zurück, als ich an Deck taumelte. Das große Schiff buckelte förmlich unter meinen Füßen. Um mich herum war es nachtschwarz, obwohl es noch gar nicht spät war.

Der Wind schlug mir ins Gesicht wie eine Faust. Ich war dankbar, auf den Hut verzichtet zu haben, denn dieser wäre mir sicher in dem Augenblick entrissen worden. Wo war nur ein Halt? Ich klammerte mich am Treppengeländer fest. Der Wind zerrte an meiner Kleidung. Wasser peitschte auf mich ein.

Mist!

Frisch war die Luft, jedoch das war auch alles. Sofern ich überhaupt Luft bekam – es schien mir, als ob mehr Wasser als Luft herangetragen würde. Meine Kleidung war jetzt schon völlig durchnässt. Das Deck war schlüpfrig und glatt, sodass mein Stand sehr unsicher war.

Nur noch ein paar Atemzüge, dachte ich, dann gehe ich wieder hinab!

Eigentlich hatte ich von meinem Ausflug bereits genug. Der heftige Wind toste in meinen Ohren. Ich starrte ängstlich und verkrampft in das unfreundliche Schwarz der Sturmnacht, das plötzlich vom grellen, zuckenden Licht eines Blitzes erhellt wurde. In diesem Sekundenbruchteil sah ich das aufgewühlte Meer mit den hohen, unbändigen Wogen.

Es machte mir Angst.

Just in diesem Moment bäumte das Schiff sich regelrecht auf. Ich verlor den Halt und stürzte weg vom Treppenaufgang. Fluchend richtete ich mich auf. Das Gute an dem Sturm war, dass mich niemand gehört hatte, auch wenn meine Worte definitiv nicht salonfähig gewesen waren. Der Gedankengang wollte mir fast an Galgenhumor grenzen.

Ein Schwall Wasser rang mich nieder und hinterließ mich auf dem Rücken liegend wie ein Käfer. Ich kämpfte mich zurück auf die Füße und versuchte, halb kriechend, halb stolpernd zur Treppe zurückzugelangen. Ein neues, heftiges Schlingern, und schon glitt ich wieder davon.

Himmel, wo ist bloß diese Treppe?

Panik begann sich in meinen Eingeweiden breitzumachen. Wieder raffte ich mich hoch, mittlerweile patschnass und frierend.

Indischer Ozean!, schnaubte ich im Stillen, Indien ist ein warmes Land, aber warm ist das hier wirklich nicht!

Wo nur war die Treppe, wo meine relative Sicherheit? Ich kniete in der Nässe und versuchte, mich zu orientieren. Dunkelheit, sprühender Schaum und der peitschende Wind machten mir dies unmöglich, war ich doch nicht im Geringsten darin geübt. Konnte ich mich irgendwo verkriechen, vielleicht in einem der Beiboote? Ich musste lediglich die Reling finden, dann konnte ich mich daran entlangtasten.

Wie dumm diese Idee tatsächlich war, merkte ich, als ich einen gewaltigen Schlag im Rücken spürte. Es hob mich von meinen Füßen, und ich sauste mit einer riesigen Woge halb fliegend, halb schwimmend über Bord.

Ein Hexenkessel erfasste mich.

Ich verlor das Gefühl für Zeit und Raum und nach Kurzem auch das Gefühl von Kälte. Das Einzige, was zählte, war zu atmen. Ich klammerte mich an meine Schwimmweste, die wie ein Wunder an mir geblieben war, obgleich ich sie schlampig angelegt hatte. Ich huste, spuckte, keuchte, betete, weinte, jammerte, fluchte - ein bisschen etwas von allem.

Das Wasser zerrte an meinem langen Rock, umstrudelte meine Beine. Mein Haar pappte wirr im Gesicht. Ohne Schwimmweste wäre ich jetzt mausetot, das wusste ich. Mein Keuchen wurde langsamer, mein Klammern erschlaffte, meine Beine erlahmten.

Atmen, dachte ich, du musst atmen.

Ich atmete, hustete, schnappte nach Luft.

Und dann weiß ich nichts mehr.

Kántarellas LichtgestaltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt