Aufruhr

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Zehn Tage später war es Zeit für die große Sonnenwende. Der Feiertag brach an, von uns dreien eher gefürchtet als erwartet, da wir um die bevorstehende Kunde Gréstos wussten.

Die Bäume der öffentlichen Plätze waren wieder wunderschön geschmückt, dieses Mal mit Girlanden aus getrockneten Blüten, die auch um die Baumstämme gewunden worden waren. Die Girlanden waren mit jener Flüssigkeit getränkt, die sie nach Einbruch der Dämmerung von allein in vielen bunten Nuancen leuchten ließ.

Wie vor einem halben Jahr versammelten wir uns auf dem größten der Plätze Éngin-Dolohs. Für uns war es das erste Aën-Sangaa seit Mániërontés Tod. Eine Vielzahl an Fuhrwerken und Reittieren stand wieder dicht an dicht, und Festtagsstimmung und Freude erfüllten die Atmosphäre.

Ich schaute auf all die vielen Kinder, Frauen und Männer um uns herum. Der Moment wirkte unwirklich, wusste ich ja, dass eine Botschaft bevorstand, die das gewohnte Leben in seinen Grundfesten erschüttern würde.

Wir waren früh erschienen und hatten einen Sitz am Rand des Platzes gewählt. Aufs Neue saß ich zwischen den zwei Männern, die ich liebte, voller Dankbarkeit über die Enge, die es mir ermöglichte, beiden zu gleicher Zeit nahe zu sein.

Als sich die Dämmerung herabsenkte, hielt Grésto eine feierliche Eröffnungsrede. Darin sagte sie noch kein Wort bezüglich einer bevorstehenden Evakuierung. Ich vermutete, dass sie zunächst die Darbietungen zu Ehren der Gottheiten störungsfrei verstreichen lassen wollte.

Viel wurde gesungen und musiziert. Erst jetzt merkte ich, wie sehr mir die Musik in der langen Zeit gefehlt hatte. Einige der Lieder kannte ich inzwischen und summte leise mit.

Rechts neben mir wiegte sich Médancon leicht im Takt. Auch wenn er nicht sang, so war doch Musik ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens. Ich wunderte mich im Stillen, wie er schon so lange ohne Gesang auskam.

Unvermittelt wurde es leise. Ich schreckte hoch. Das letzte Lied war verklungen. Grésto war wieder auf die Bühne getreten, begleitet von Vanícana. Céneront stand dicht bei ihnen, ebenso wie Bélawaïth.

Grésto begann zu sprechen, dankte den Gottheiten und der Erde. Sie dankte Vanícana und allen ihrer Zunft für deren unermüdliche Beobachtungen und Berechnungen, dankte den Baumeistern und ihren Helfern für die viele Arbeit der letzten Monate.

Dann sprach sie von Auserwählten, die in diesem Sommer aus den Städten in die Berge ziehen sollten, um dort neue Wohnsitze zu errichten. Sie wollte von jeder Zunft je fünf fähige junge Frauen und Männer haben und bat die Meister, die Kandidatinnen und Kandidaten bis zum Ende des nächsten Mondzyklus auszuwählen. In Dórran und Laco-Óton wollte man es ebenso halten, verkündete sie.

Ihre Worte machten für mich keinen Sinn.

Verwirrt sah ich erst zu Álkaran, dann zu Médancon. Beide schauten ebenso ungläubig drein, wie ich mich fühlte. Médancon musste das Gespräch damals falsch verstanden haben.

Sie opfert den Rest von uns für einen möglichen Neubeginn!, dachte ich. Trotz des warmen Abends fror ich plötzlich.

Als ich darüber nachsann, erkannte ich die eiskalte Logik, denn hier waren so viele Menschen versammelt. Wie könnten all jene auf den kleinen Lichtungen hoch in den Bergen überleben? Und falls nichts Schlimmeres bezüglich der Beben geschah, vermied Grésto eine Massenpanik.

In den letzten Tagen war es dankenswerterweise ruhiger gewesen, was die Erdbeben betraf. Vielleicht normalisierte sich die Situation von selbst?

Schweigend und nachdenklich machten wir uns auf den Rückweg, während um uns herum ausgelassen gelacht und gefeiert wurde.

Kántarellas LichtgestaltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt