Drei: Es werde Licht

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AUF DEN WANDELNDEN PFADEN

NEVA

"Jetzt warte endlich Chion, du bist viel zu schnell!", keuchend versuchte ich, mit meinem Begleiter Schritt zu halten, doch meine wesentlich kürzeren Beine machten mir dabei einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Chion seinerseits dachte gar nicht daran, langsamer zu laufen. Ganz im Gegenteil, er besaß sogar die Frechheit, sich umzudrehen und mich herablassend zu mustern.

"Ich bin nicht zu schnell, sondern du zu langsam."

Er warf mir ein spöttisches Grinsen zu. "Scheint am Alter zu liegen."

Dieser... am liebsten würde ich seinen lächerlichen weißen Mantel, in dem er aussah wie ein Möchtegern-Priester, einfach in Flammen aufgehen lassen; vielleicht würde ihm das sein ungehobeltes Verhalten austreiben. Offensichtlich hatten seine Eltern es nicht geschafft, ihm gute Manieren beizubringen.

Ich seufzte. Da meine Kräfte zur Zeit außer Kontrolle waren, konnte ich mir solche Spielereien leider nicht erlauben. Direkt im Anschluss würden die Götter mir vermutlich noch im selben Atemzug, in dem ich ihre heiligen Wälder zu Asche verarbeitet hatte, auch mein eigenes Leben nehmen. Und an dem hatte ich inzwischen wider Willen Gefallen gefunden.

"Zumindest habe ich nicht Stunden damit verschwendet, irgendwelche riesigen Gegenstände in meinen viel zu kleinen Leinensack zu quetschen.", gab ich spitz zurück.

Weiß Gott, warum Chion so lange gebraucht hatte, meiner Meinung nach war alles Gepäck, dass über eine kleine Mahlzeit hinausreichte, bei dieser Mission schlichtweg unnötig.





Abgebrochene Äste und Blätter knackten unter meinen Füßen, als wir uns einen Weg durch den Wald bahnten. Wir waren vor ein paar Stunden aus Kreoniel aufgebrochen und nun auf dem Weg nach Luxferra, dem Land, in dem es die ersten Probleme zu beseitigen galt. Da Spiegelreisen zur Zeit keine Option waren, nutzten wir stattdessen die alten Trampelpfade, die von Kreoniel aus in alle Märchenreiche führten. Leider war seit Jahrhunderten keine Menschenseele mehr auf ihnen gewandert, weshalb sich unser Vorankommen schwieriger gestaltete, als gedacht. Auch hatte ich keinen blassen Schimmer, wie genau diese Pfade funktionierten, in keiner Aufzeichnung hatte eine Hexe je davon erzählt.

Immerhin wussten wir, was vor uns lag, dafür hatte das Weltenbuch gesorgt. Mein Plan war einfach, aber effektiv- wir würden die Probleme Schritt für Schritt beheben und so das Märchen wieder in seine richtige Bahn lenken. Davon hatte ich Chion bereits so einiges erzählt; ob er überhaupt zugehört hatte, war eine ganz andere Sache.

"Chion, wie heißt das Reich, zu dem wir gerade unterwegs sind?", fragte ich, nachdem ich wieder ein kleines Stück aufgeholt hatte.

"Wird das hier jetzt eine Fragerunde oder was?", entgegnete der schwarzhaarige Mann nur genervt.

Ich presste verärgert meine Lippen zusammen. "Wenn du nicht draufgehen willst die nächsten 100 Jahre, solltest du all das wissen. Also, was ist deine Antwort?"

"Luxferra."

"Gut. Und um welches Märchen handelt es sich hierbei?"

"Das von Rapunzel." Unmerklich verlangsamte Chion seinen Schritt, damit er mich besser verstehen konnte.

"Aber..?"

Chion stöhnte. "Ich darf die Märchenfiguren nie mit ihrem ursprünglichen Namen anreden, sondern muss immer ihren derzeitigen verwenden."

"Genau. Rapunzel nennt sich in dieser Generation Violaine, ihr Prinz heißt Felix und die Hexe Gothel, laut dem Weltenbuch, Maeve."

Aus Erfahrung wusste ich: es konnte böse enden, wenn man eine Person aus einem der Märchen nach ihrer ursprünglichen Fassung betitelte. Ich hatte diesen Fehler einmal bei einer Nachfahrin Maleficents gemacht, welche mich deswegen beinahe in ihrer Drachenform zum Frühstück verspeist hätte.

The Fairytale Of A WitchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt