Sechzehn: Hinter dem Spiegel

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KÖNIGREICH VIRIDIA

NEVA

Ich stolperte und befand mich auf der anderen Seite des Spiegels. Die Luft war erfüllt von schwarzem Dunst, der sich wie ein klebriger Film auf meine Haut legte. Mit wedelnden Handbewegungen versuchte ich, mir etwas klare Sicht zu verschaffen. Einige Schritte entfernt entdeckte ich tatsächlich einen kleinen Trampelpfad, der direkt in den schwarzen Nebel führte.

Kurz blitzte der Wald in Wrevora vor meinem inneren Auge auf, doch ich verdrängte den Gedanken. Ich wollte nie mehr an die schrecklichen Dinge denken, die mir in diesem verfluchten Königreich geschehen waren. Vorsichtig setzte ich einen Fuß auf die helle Erde. Inzwischen schienen die dunklen Wolken vor mir zurückzuweichen.

Schwarze Flocken stoben unter meinen Füßen auf, als ich dem wundersamen Pfad folgte. Sie erinnerten mich an Asche. Mit jedem Schritt erkannte ich etwas mehr von meiner Umgebung. Weiße kahle Bäume ragten in den schwarzen Nebel; bis auf meine knirschenden Schritte auf dem trockenen Waldboden war es totenstill. Kein Vogel zwitscherte; nicht einmal die Bäume gaben ein Lebenszeichen von sich. Alles wirkte erstarrt, wie in einem Gemälde. Fast so, als hätte jemand die Zeit eingefroren.

Als sich der Wald auftat und ich auf eine kleine Lichtung trat, war ich mir sicher: der Spiegel hatte mich eindeutig nicht nach Kreoniel gebracht. 

Ich stand vor einer kleinen Hütte in einem Königreich, dass ich in meiner Funktion als Hüterin noch nie zuvor betreten hatte. Immer noch war meine Umgebung grau und erstarrt, doch als ich einen Schritt auf die weiße Wiese tat, breitete sich Farbe unter meinen Füßen aus. Rasend schnell erfasste der Farbstrudel die gesamte Szenerie und wusch das Grau hinweg. Mit der Farbe kam auch Leben in meine Umgebung; es war, als wäre der Wald aus einem Winterschlaf aufgewacht. 

Staunend drehte ich mich einmal im Kreis, dabei lösten sich auch die letzten schwarzen Flocken von Haaren und Kleid.

Mein Blick fiel auf eine kleine Hütte, die von einem liebevoll angelegten Garten umgeben war. Vor dem Haus standen zwei riesige Rosenbüsche mit weißen und roten Rosen, deren süßlicher Duft schwer in der Luft lag. Das Medaillon an meinem Hals, das seit meiner Flucht durch den Spiegel erheblich an Temperatur verloren hatte, wurde mit einem Mal wieder wärmer. 

Als ich mich umdrehte, erkannte ich den Grund dafür: hinter mir stand eine junge rothaarige Frau, die einen geflochtenen Korb mit Kräuter und Blumen in beiden Händen hielt. Doch nicht ihre ungewöhnliche Haarfarbe erregte meine Aufmerksamkeit. Es war ihr Gesicht, das dem meinen so ähnlich sah, dass es mein Spiegelbild hätte sein können.

"Neva?", ihre helle Stimme klang besorgt.

Ich fühlte, wie eine Wand in meinem Geist durch ihre Worte erschüttert wurde und schließlich nachgab. Dann stürzten die Erinnerungen auf mich ein.











KÖNIGREICH ESYLLT

CHION

Heftig schlug Chion auf den Spiegel ein. Einmal. Zweimal. Und ein drittes Mal. Dieses verdammte Ding hatte Neva hindurch gelassen, aber ihn sperrte es aus. 

Das darf einfach nicht wahr sein.

Blutige Schlieren zierten das Glas, wo seine aufgeplatzten Knöchel Bekanntschaft mit der harten Oberfläche gemacht hatten. 

Er wusste genau, wohin Neva dieser Spiegel gebracht hatte. Chion wusste allerdings auch, dass das Portal nur in eine Richtung funktionierte. Und zwar in Nevas Welt. 

Ich habe sie doch gerade erst wiedergefunden.

Zitternd vergrub Chion sein Gesicht in beiden Händen und ließ sich zu Boden sinken. Er hätte Neva nicht so gehen lassen dürfen. Er hätte ihr sofort alles erzählen sollen.

The Fairytale Of A WitchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt