Adrien
Gut gelaunt betrat ich am nächsten Morgen die Schule. Zwischen Alya und mir war alles geklärt, sie liebte Nino immer noch genauso sehr wie er sie.
Ich wollte ihm gerade die gute Nachricht überbringen, als mir die Seifenblasen in der Luft auffielen. Ich folgte ihnen ... und sah Nino. Er sass zusammengekauert auf einer Bank und bemerkte mich nicht.
Erfreut, dass ich ihn so schnell gefunden hatte, wollte ich ihm versichern, dass Alya niemand anderen liebte, schon gar nicht Cat Noir. «Hey, Nino! Ich muss dir was erzählen...»
Nino hob die Hand, ohne mich anzusehen. «Nein. Ich muss dir was erzählen.»
Ich zuckte zusammen. Er klang kalt und verbittert. Das war nicht Nino.
Wir gingen in einen Raum im Untergeschoss. Eine traurige, etwas altmodisch klingende Musik lief. Nino deutete auf einen Stuhl. «Setz dich.»
Mit einem unguten Gefühl in der Magengrube betrachtete ich den Raum, ohne mich zu setzen. Ein unordentlicher Schreibtisch stand an der Wand. Ein Poster von Paris hing darüber.
Nino nahm auf dem alten Schreibtisch Platz. Schweigend blies er ein paar Seifenblasen.
Ich setzte mich auch. «Äh, wann hast du das eingerichtet?» Ich lächelte nervös.
Nino schlug mit der Faust auf den Tisch.
Ich zuckte zusammen.
«Ich stelle hier die Fragen», stellte Nino klar. «Weisst du noch, was ich dir gestern gesagt habe? Jetzt hab ich den Beweis.» Er hob sein Handy in die Luft. «Was sagst du dazu?»
Wütend hielt er mir das Gerät vor die Augen. Ein Film lief darauf ab. Es war die Szene von gestern Abend, als ich mit Alya geredet hatte. Ich wich zurück. Leider sah es auf dem Video so aus, als wäre Alya wirklich in mich verliebt.
Ich stellte die Musik ab. «Komm schon, das ergibt keinen Sinn», versuchte ich, Nino zu beruhigen. «Du liegst falsch, so ist das nicht abgelaufen!»
Nino drehte die Musik wieder an und musterte mich. «Woher weisst du das? Warst du da? Steckst du mit drin?»
«Nein, natürlich nicht», sagte ich schnell, «aber das ist unmöglich! Ich bin sicher, das ist nur ein Missverständnis. Alya und Cat Noir haben nichts gemeinsam, sie kennen sich ja kaum.» Ich liess die Musik erneut verstummen. Dann sah ich Nino eindringlich an. «Alya ist nur ein Superheldenfan, sie filmt Ladybug und Cat Noir, das ist alles.»
«Die beiden kennen sich gut genug!», widersprach Nino.
«Aber... niemand kennt Ladybugs und Cat Noirs wahre Identität», beharrte ich. «Glaubst du, Alya verliebt sich in jemanden, den sie kaum kennt? Das Mädchen, das eine Reporterin sein will? Das immer um jeden Preis die Wahrheit wissen will? Das alles mit dem Jungen teilen will, den es liebt?»
Nino sah weg. Dann drehte er die Musik wieder an. «Sie kennen sich tatsächlich viel besser, als du denkst», sagte er, seine Stimme klang eisig.
«Das kannst du aus diesem Video nicht schliessen», meinte ich.
Nino stöhnte. «Pass auf. Es gibt etwas, das du nicht weisst», sagte er und legte seine Hände auf meine Schultern. «Ich rede nicht von dem Video. Ich rede von etwas, das ich dir nicht verraten dürfte. Ein Wahnsinnsgeheimnis.» Er nahm sich den künstlichen Schnurrbart ab. «Alya ist eine Superheldin. Sie ist Rena Rouge.»
«Was?», stiess ich hervor. Das konnte nicht sein, niemals! Nino konnte das gar nicht wissen, Ladybug hätte Alya verboten, irgendetwas zu verraten.
«Schschscht!», machte Nino. «Ich weiss, was du sagen willst: Das ist Unsinn! Und woher will Nino das überhaupt wissen? Ich weiss es, weil ... ich auch ein Superheld bin. Ich bin Carapace.»
Er sah mich an. Und ich sah ihn an.
«Du bist ... Carapace?», stammelte ich. «Aber... ihr zwei wisst davon?» Ich stand auf. Der Stuhl fiel um und fiel mit einem schepperndem Geräusch zu Boden.
Das konnte nicht stimmen! Ladybug hätte es ihnen verboten.
Ich packte Nino bei den Schultern. «Du meinst, ihr kennt eure geheimen Identitäten?»
«Natürlich», sagte Nino, als wäre es das Normalste auf der Welt. «Alya und ich haben uns nie etwas verheimlicht. Bis jetzt!»
Er klang so wütend, dass ich vor ihm zurückwich.
«Bis das mit Cat Noir passiert ist.»
«Warte kurz», unterbrach ich ihn. Ich war mit meinen Gedanken immer noch bei Alyas und Ninos geheimer Identität. «Ich versteh das nicht, ich dachte, die geheimen Identitäten müssen um jeden Preis geschützt werden. Würde das stimmen, könntest du es ihr nicht einfach so sagen! Ladybug wäre damit nie einverstanden!» Plötzlich war ich auch wütend.
«Ist das dein Ernst?» Nino stemmte die Hände in die Hüften. «Ladybug hat uns die Miraculous zur selben Zeit gegeben!»
«Nein!», rief ich. «Das ist unmöglich!» Ich wollte das nicht hören. Wieso durften die beiden ihre Identität kennen? Wieso hatte sie mir das nie erzählt? Wieso durften wir unsere Identität nicht kennen?
Nino hatte meine Antwort anscheinend falsch verstanden. «Willst du damit sagen, dass ich lüge, oder was?», fuhr er mich aufgebracht an.
«Nein, nein!», wehrte ich schnell ab. «Was ich meinte, war...» Ich holte tief Luft. «Okay, du bist Carapace, sie ist Rena Rouge und Ladybug findet's okay. Aber trotzdem sind Alya und Cat Noir nicht...» Ich machte ein paar unbeholfene Handbewegungen. «Du weisst schon.»
«Du hast keine Ahnung, wie Cat Noir wirklich ist!», entgegnete Nino wütend. «Aber ich schon, ich bin Teil des Teams. Ich weiss, wie er sich verhält. Klar, sobald Ladybug auftaucht, schmeisst er sich ihr an den Hals mit Rosen und grossen Liebeserklärungen!» Er machte Kussgeräusche in der Luft. «Aber er kriegt jedes Mal 'ne Abfuhr, weil Ladybug ihn widerlich findet und SIE HAT RECHT!»
Ich zuckte zusammen. Kam das wirklich so an? Hatte er recht? Fand Ladybug mich widerlich?
«Und wenn Rena Rouge erscheint, kommt er mit ,Oh, hallo schöne Frau, du siehst toll aus und du riechst so gut'!», machte Nino weiter. «Oh ja. Bei der ersten Mission, die ich verpasst habe, ich meine, die Carapace verpasst hat, hat er seine Masche abgezogen und BAM! Genau so ist es passiert! Und jetzt bin ich allein. Ich hab die Liebe meines Lebens verloren.» Seine Stimme zitterte. «Wenn ich könnte, würde ich ihm seinen Mund mit seinen eigenen Schnurrhaaren zuschnüren!» Er sah auf sein Handy, wo noch das Bild von dem Video eingeblendet war. Eine Träne tropfte aufs Display.
«Es gibt sicher eine Erklärung, Nino», versuchte ich, meinen Freund zu trösten. «Wir finden es raus!»
Da bemerkte ich plötzlich den schwarzen Schmetterling, der mit Ninos Brille verschmolz. Ein Akuma! Ich ging einen Schritt rückwärts.
Einen Moment lang sah es so aus, als würde Nino jemandem zuhören. Dann sagte er: «Ich weiss, was du willst, Shadow Moth. Keine Sorge. Von ihnen bleibt nichts weiter übrig als ihre Miraculous.»
Eine seltsame violette Schicht überzog Nino, und als sie ihn wieder freigab, trug er einen blauen, elastischen Anzug. Sein Kopf hatte die Form einer Träne.
«Nino!», schrie ich, rannte zu meinem Freund und packte ihn am Arm. «Kämpf gegen diese bösen...»
Er stiess den Arm, an dem ich ihn festhielt, heftig von sich weg. Ich flog nach hinten und prallte schmerzhaft auf dem Boden auf.
«Du bist nicht mein Feind, Adrien», hörte ich Nino sagen, «sondern Cat Noir.» Er verschwand.
Ich stand auf und starrte ich entgeistert hinterher.
«Ich weiss, was du jetzt vorhast, aber das solltest du lieber lassen», meldete sich Plagg, mein Kwami, zu Wort. «In Anbetracht dessen, was Cat Noir bei deinem Freund erwartet!»
«Ich muss mich um Nino kümmern!», rief ich entschlossen. «Plagg, verwandle mich!»

Miraculous Ladybug Staffel 4 Folge 17 EifersuchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt