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(TW: Selbstverletzung)

Der Unterricht der ersten Stunde ging zum Glück extrem schnell rum. Ich habe Jungkook größtenteils versucht zu ignorieren, aber immer wenn er von Lehrer aufgerufen wurde um was zu sagen und ich seine Stimme so dicht neben mir gehört habe, habe ich leichte Krämpfe in der Brust bekommen.

Und auch wenn ich ihn versucht habe zu ignorieren... so hat es mir doch extrem wehgetan. Und zwar so sehr das ich beschlossen habe meinen Posten auszunutzen und in den Vorstand zu gehen um mich auszuruhen. Unter dem Vorwand das der Vorstandspräsident mich sehen will bin ich also in den Raum geflitzt.

Und hier sitze ich. Alleine. Und genieße die Ruhe. Kein Jungkook neben mir, keine Schüler die plötzlich meinen mit mir reden zu müssen, keine nervigen Lehrer... einfach nur ich.

Ich lehne mich in den Stuhl zurück und schaue nachdenklich an die Decke. War es wirklich eine gute Idee Jimins Angebot anzunehmen?

Ich seufze und schließe die Augen. Ich sollte aufhören andauernd und überall zu viel nachzudenken. Das bringt am Ende dann ja doch meistens nichts.

Ich merke gerade das ich leicht wegdöse, als ich von draußen die Geräusche einer rennenden Person höre und die Augen direkt wieder aufschlage. Wer zum Henker rennt mitten in der zweiten Stunde auf den Fluren rum?! Vor allem in dieser Schule. In der genau das strengstens verboten ist?!

Ich will gerade aufstehen und nachsehen, als die Geräusche aprubt stoppen. Und wie es scheint direkt vor der Tür des Vorstands. Ich beobachte seufzend wie die Klinke langsam runtergeht und..

...Yoongi reinkommt.

Aber irgendwas stimmt nicht. Sein Blick ist starr auf den Boden gerichtet und er presst seinen Arm an seinen Bauch. Ich kann sehen dass das weiße Hemd seiner Uniform leicht rot gefärbt ist, weswegen mir leicht übel wird. Er wird doch nicht etwa...?

Yoongi kommt rein und schießt die Tür. Obwohl ich mitten im Raum sitze scheint er mich noch nicht bemerkt zu haben. Ich kann Tränen in seinen Augen glitzern sehen und seine Lippen sind feucht als hätte er sich mehrmals drüber geleckt.

Langsam lehnt er sich gegen die Tür und senkt seinen Blick dann zu seinem Arm. Endlich kommt Bewegung in mich. "Y... Yoongi?" Frage ich vorsichtig.

Yoongi zuckt so heftig zusammen das sein panischer Blick einmal quer durch den Raum schießt und schließlich an mir haften bleibt. "T... Taehyung... oh fuck... i.. ich...", er stottert und errötet gleichzeitig. Ich sehe wie er sich wieder zur Tür dreht, aber reagiere und stehe schnell auf.

Ich laufe zu ihm und versuche beruhigend zu wirken, obwohl diese Situation gerade mehr als überraschend kommt. Yoongi schaut mich nicht an. Er fixiert mit zusammengepressten Lippen einen Punkt auf dem Boden.

"W... was ist passiert?" Frage ich zögernd. Yoongi schluckt und zuckt mit den Schultern. Ich packe ihn mit zitternden Händen an den Schultern und drücke ihn auf den Stuhl runter, auf dem ich eben gesessen habe, und hocke mich vor ihm hin.

"Z... zeig mir deinen Arm...", stottere ich. Yoongi schluckt und streckt zögernd seinen Arm aus. Ich erschaudere. Die länglichen Wunden ziehen sich quer über seinen Unterarm und bluten teilweise noch etwas. Sie sehen nicht sonderlich tief aus... aber dennoch...

"Was ist passiert, Yoongi?" Frage ich nochmal. Dieser dreht den Kopf weg. "I... Ich..", er stockt. Ich schaue ihn beruhigend an. "Ich habe... Angst, Taehyung...", gibt er dann zu. "Einfach... Angst..",

Seine Stimme zittert leicht. Ich lasse den Blick sinken und betrachte sein leicht blutverschmiertes Oberteil. "Jimin und Hoseok... haben gestern so... darüber geredet das sie diese Beziehung nach der Schule... vertiefen wollen...", stottert er weiter. "Und ich... weiß nicht was ich tun soll...",

Ich schaue ihn wieder an. Sein Blick ist dieses Mal auf mich gerichtet, weswegen ich ihm in dem Versuch beruhigend zu wirken in die Augen schaue.

"Liebst du die beiden nicht?" Frage ich leise. Er beißt sich auf die Unterlippe. "Doch! Ich liebe beide... wirklich sehr... aber...", ich merke wie sich seine Stimme immer eingeengter anhört und er immer wieder ein paar Tränen wegblinzeln muss.

"W... wie soll ich das meinen Eltern erzählen?"

Was?

Er schluckt heftig. "Meine Eltern finden es schon nicht in Ordnung das ich schwul bin. Sie akzeptieren es zwar, machen aber ständig Witze über mich. Sowohl vor meinem Geschwistern als auch vor anderen.", er zittert wieder. "Was ist wenn ich Ihnen sagen muss das ich nicht nur schwul sondern auch noch mit zwei Jungs zusammen bin?"

Er wischt sich mit seinem nicht verletztem Arm über die Augen. "Ich... habe einfach nur Angst. Vielleicht schmeißen die mich auch raus... oder was auch immer... gehen mit ihren dummen Witzen noch weiter.",

Er senkt den Blick. "Eltern sind doch eigentlich da um sich um ihre Kinder zu kümmern, oder? Und nicht um sie fertig zu machen.", ich nicke langsam. "Ja...", ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Er hat mir von jetzt auf gleich sein Herz ausgeschüttet.

"Und... ich war so voll mit diesen Gedanken das ich mich nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren konnte... ich... wusste nicht mehr was ich machen sollte...", er greift in seine Hosentasche und zieht in seiner Faust irgendwas raus. "N... nimm das bitte...", flüstert er.

Ich strecke perplex meine Hand aus und er gibt mir etwas das aussieht wie... eine Rasierklinge? "Wirf sie weg. Irgendwohin... scheiß egal wo.", mir wird leicht übel, aber ich packe sie in meine eigene Hosentasche. "Wir müssen deine Wunden versorgen... und du brauchst ein neues Hemd.", murmele ich. Yoongi nickt leicht und steht zitternd auf.

"Bitte... sag Jimin und Hoseok nichts davon.", flüstert er. "Die beiden.. bringen mich um.", ich muss an den einen Vorfall von letzter Woche denken und nicke. "Okay.",

Ich stehe auf und gehe zu dem Erste-Hilfe-Kasten der an der Wand hängt. Ich hole eine Kompresse und einen Verband heraus und gehe wieder zu ihm zurück. "Die Klinge war sauber.", murmelt er heiser. "Du musst es einfach nur verbinden. Neue Hemden haben wir unten im Schulkeller. Wo auch die Akten sind.",

Ich nicke langsam. Ich verbinde ihm den Arm so gut es geht. Ohne das der Verband drückt oder aus dem Ärmel herausschaut. Es hört sich vielleicht unsensibel an, aber ich bin Yoongi dankbar das er mich gerade so sehr von meinem Problem ablenkt.

The Gay Project - PT. 1 (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt