Ich seh' uns zwei in alt und grau, mit weißen Haaren und dicken Bauch.//Epilog

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Vorwort: Hört euch das Lied an, während ihr dieses Kapitel lest.

Als ich das Bild von unserem ersten gemeinsamen Urlaub als Pärchen sah, fing ich an zu lächeln. Das Bild war schon reichlich verblasst und zerknickt, aber man konnte es immer noch erkennen - Felix und ich, wie er mich am Strand von Mauritius küsste. Bei der Erinnerung, was noch alles in dem Urlaub passiert war, färbten sich meine Wangen rosa.

Vorsichtig strichen meine Hände über das vergilbte Papier. Ich blätterte weiter in dem Album und schwelgte bei jeder Seite und mit jedem Foto mehr in Erinnerungen.

"Woran denkst du?", hörte ich eine schwache Stimme fragen. Ich blickte auf und sah in Felix' müde Augen. Wie lange war er wohl schon wach, ohne dass ich es mitbekommen hatte?

"Ach, nichts besonderes, ich schaue mir nur gerade dieses Album mit Bildern von uns an." Ich klappte es zu und legte es beiseite.

Vorsichtig nahm ich Felix' Hand in meine. Ich strich geistesabwesend mit meinem Daumen über seinen Handrücken, wobei ich aufpassen musste, dass ich nicht gegen seine Infusion stieß. Die Nadel versorgte Felix mit Überlebenswichtigen Nährstoffen. Genau wie der Schlauch, der in seiner Nase steckte.

Ich hielt seine Hand, so wie ich es unzählige Male gemacht hatte. Das hatte damals angefangen, als wir auf die Testergebnisse seiner Untersuchung warteten. Wir saßen nebeneinander auf den harten Stühlen im Wartezimmer. Sein Bein wippte unaufhörlich auf und ab und er spielte nervös mit seinen Händen herum. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, griff nach seiner Hand und strich mit meinem Daumen über seinen Handrücken. Erstaunlicherweise wurde Felix dadurch wirklich ruhiger. Und so machten wir es bei jedem weiteren Arzt Besuch, der darauf folgte.

Ja, wir waren wirklich oft beim Arzt nach Felix' Diagnose - Krebs. Die Ärzte hatten es zu spät entdeckt, so dass es keine Heilungschancen mehr gab. Ich erinnere mich noch, wie still es tagelang in unserer Wohnung war. Wir beiden versuchten das Gehörte zu verarbeiten und suchten unseren eigenen Weg damit umzugehen.

Aber das Leben ist nun mal keine Autobahn, die immer nur geradeaus läuft und über die man drüber rast. Viel mehr ist es eine Landstraße, mit Kurven und Unebenheiten und du weißt nie, was sich hinter der nächsten Ecke verbirgt.

Und so blieb ich bei Felix und hielt vor jeder Behandlung seine Hand und strich mit meinem Daumen über seinen Handrücken - so auch jetzt.

In den letzten Monaten hatte sich der Krebs rasend schnell ausgebreitet. Die Ärzte sagten mir, dass sie ihm nur noch wenige Wochen zu leben gaben. Ich besuchte ihn so oft wie es laut den Ärzten möglich war. Aber es tat weh, ihn so schwach und gebrechlich zu sehen - Felix war schon immer schlank gewesen, aber mittlerweile war er spindeldürr.

Ich malte kleine Kreise auf seine Hand. Dabei stieß ich gegen das kühle Metall des Rings an seinem Ringfinger. Das Gegenstück dazu befand sich an meiner Hand. Ich wusste ganz genau, was in seinen Ring eingraviert war. Felix und Alex und ein kleines Herz - so wie in das Schloss an der Hohenzollernbrücke.

"Sieh uns an, Alex", sagte Felix plötzlich mit brüchiger Stimme. "Wir sind alt geworden."

"Du vielleicht", antwortete ich. "Ich sehe immer noch jung und knackig aus."

Felix stieß ein heiseres Lachen aus, was in einen Hustenanfall überging. Einzig das laute und bedrohliche Piepsen der Maschinen, die Felix' Herzschlag maßen, konnte das übertönen.

Fast augenblicklich öffnete sich die Tür und eine junge Krankenschwester kam herein.

"Herr von der Laden?" Felix und ich drehten uns gleichzeitig zu ihr im. Sie schaute uns einen Moment verwirrt an, bis sie begriff. "Ah, Entschuldigung, ich meine Alexander. Alexander, Sie müssen Felix nun leider verlassen, er braucht Ruhe."

Ich nickte nur knapp und wendete mich dann wieder Felix zu. Ich nahm seine Hand und bewegte sie zu meinem Mund. Vorsichtig, als könnte er zerbrechen, drückte ich meine Lippen auf seinen Handrücken. Ich sah dabei fest in seine Augen, in der ein kleiner Funke glitzerte. Das bewunderte ich an Felix - auch nach all diesen harten Jahren hatten seine Augen nie diesen Glanz verloren. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, bei dem Gedanken, dass dies vielleicht das letzte Mal war, dass ich dieses Funkeln sehen konnte.

"Ich liebe dich so sehr, Felix. Egal was war, meine Liebe war das einzige, an dem ich nie auch nur einen Augenblick lang gezweifelt habe. Und ich bin dir so unendlich dankbar, dass ich dich lieben durfte. Und Verdammt, ich habe dich geliebt, mit jeder Faser meines Herzens! Und ich liebe dich auch immer noch."

Eine Träne glitzerte auf Felix' Wange. Ich wischte sie zärtlich mit meinem Daumen weg und lächelte ihn an. Ich spürte, wie sich auch in meinem Hals ein Kloß bildete, aber ich schluckte ihn runter und lächelte tapfer weiter.

"Ich liebe dich, Alexander von der Laden. Du weißt gar nicht, wie glücklich du mich jeden Tag gemacht hast. Du warst der Grund, wieso ich seit fünf Jahren täglich kämpfe. Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich." Gegen Ende wurde seine Stimme immer leiser, bis sie nur noch ein Flüstern war, trotzdem verstand ich jedes Wort.

Es fühlte sich an wie ein Abschied, ein Abschied für immer. Und wenn ich ehrlich war, wusste ich, dass es auch einer war - Felix' Zeit war abgelaufen.

Ich sah ein letztes Mal in seine Augen und wendete dann langsam den Blick ab. Die Krankenschwester hatte sich diskret im Hintergrund gehalten und uns mit Tränen in den Augen beobachtet. Ich gab ihr ein Zeichen und nickte ihr zu. Sie wischte sich über die Augen, schniefte und kam dann zu mir. Die Bremsen meines Rollstuhls wurden gelöst und langsam wurde ich aus dem Raum heraus gefahren.

Ich warf einen letzten Blick über die Schulter zurück zu Felix. Er hatte die Augen geschlossen und seine Brust hob und senkte sich kaum merklich. Dann schloss sich die Tür hinter mir.

Es war das letzte Mal, dass ich Felix sah.

In dieser Nacht verstarb er.

flash mich//dizziWo Geschichten leben. Entdecke jetzt