Die Versuchung

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Clay

Ein Schlag in den Magen.

Im Takt zu ‚Enemy' von Imagine Dragons tippt mein Finger auf das Sofapolster. Die Augen geschlossen und Bluetooth-Kopfhörer im Ohr.

Ein angewinkelter Kinnhaken. Und ein Seitenhieb zwischen die Rippen.

Falls ihr euch fragt, was ich hier gerade tue, das ist meine theoretische Attacke auf Raven oder Wayne. Muss ich mir noch genauer überlegen. Aber einer der beiden wird auf jeden Fall sein blaues Wunder erleben. Vermutlich eher Raven, einfach, weil er noch hier ist.

Plötzlich reißt jemand ein Kopfhörer aus meinem Ohr und fragt. „Willst du mich wirklich die ganze Zeit ignorieren?" Raven sieht mich so an als wäre ich ein irrationales Kindergartenkind. Ich tue so, als würde ich ein Moment überlegen, dann lächle ich ihn zuckersüß an. „Ja."

Er verdreht nur die Augen und steckt sich frech meinen Kopfhörer in sein Ohr. „Naja, zumindest ist dein Musikgeschmack ganz gut", murmelt der Schwarzhaarige und lehnt sich gelangweilt nach hinten, in den Sessel, der gegenüber von meinem Sofa steht.

Toll, jetzt mögen wir auch noch dieselbe Musik. Ich seufze. Wenn ich einmal fair gegenüber Raven sein würde, dann ist mir auch klar, dass er genauso wenig etwas mit mir zu tun haben will wie ich mit ihm. Und ich kann's ihm nicht mal verübeln.

„Okay,...was ist der erste Punkt des Praktikums?", frage ich schließlich nach einer Weile. Raven schaut überrascht von dem Buch ‚Und wir tanzen über die Flüsse' von Sophie Bichon hoch, welches er aus meinem Regal genommen hat. Ich bin ein bisschen verwundert darüber, dass er ausgerechnet das Buch gewählt hat. Aber anscheinend gefällt es ihm gut.

„Moment", Raven holt sein Handy heraus und sucht kurz nach dem Praktikums-Plan. „Als erstes müssen wir dem anderen unseren Top 1 Lieblingsplatz zeigen." Ich runzle  die Stirn, denn so genau weiß ich nicht, was mein Lieblingsplatz ist. Ich habe einige, mindestens drei.

„Darf ich mir das ausleihen?", unterbricht Raven meine Überlegungen und hebt das Buch auf seinem Schoß hoch. Erstaunt hebe ich die Augenbrauen, aber nicke langsam. Er scheint sich ehrlich zu freuen, als er es einsteckt und dieser grimmige Zug um sein Mund verschwindet.

„Von mir aus fange ich an", ich stehe auf und ziehe mir meine Jeansjacke über. „Es ist zwar nicht mein absoluter Lieblingsplatz, aber auf Platz 2 ist er schon. Wir können uns ja hocharbeiten."

„Das erste Mal, dass du etwas schlaues von dir gibst", schmunzelt er provokant, während er mir nach unten folgt, aber dieses Mal habe ich das Gefühl, dass er mich nicht wirklich provozieren will, sondern eher so spaßeshalber. „Das kann ich von dir nicht gerade behaupten." 
„Das kann man auch als Kompliment deuten, Clay", meint Raven trocken.

„Ich habe nur versucht auf deinen Scherz einzugehen", verteidige ich mich und warte ungeduldig, dass er endlich seine Schuhe anhat. „Mhmm, hätte ich jetzt auch gesagt", ohne auf mich zu warten, geht er aus dem Haus geradewegs zu seinem Motorrad.

„Wo gehts hin?", fragt er mich, während er sein Helm aufzieht. „Also eigentlich nur einmal hier die Küste runter", sage ich bis mir etwas auffällt. Das darf jetzt nicht wahr sein. Ausgerechnet heute. „Worauf wartest du dann noch?", der Schwarzhaarige sieht mich fragend an. Sein Blick wandert zu meiner  Maschine, die ein bisschen trostlos vor unserem Haus steht.

„Die Bremse hat gestern den Geist aufgegeben", murmle ich, worauf ein unangenehmes Schweigen herrscht, da wir beide wissen, was das bedeutet. Trotzdem werde ich das niemals laut sagen. Entweder er sagt es oder gar nicht.

I Will Be The One For You [On Hold]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt