22.Kapitel

354 13 0
                                    

Zack und ich hatten das ganze Wochenende zusammen verbracht und uns dem Projekt gewidmet. Heute, an dem Montagmorgen, wo es endlich Zeit war, das Projekt final vorzustellen, wurde ich jedoch nervös.
Direkt zu Anfang wurden Zack und ich an die Tafel gerufen. Mit wackeligen Schritten lief ich nach vorne und spürte dabei nur missbilligende Blicke auf mir. Zack beeilte sich, um zu mir aufzuschließen und drückte direkt meine Hand, als er bemerkte, wie unwohl ich mich fühlte. Die ganze Schule dachte sowieso schon, dass wir zusammen wären (was wir jetzt natürlich auch offiziell waren), von daher störte es mich nicht.

Meine Deutschlehrerin, Frau Hiller, saß gespannt ganz hinten im Raum, hatte ihre Beine überschränkt und sah uns erwartungsvoll an. Sie hielt einen Notizblock in der Hand und klopfte ungeduldig mit einem Kugelschreiber auf diesen. „Ihr könnt anfangen", kam es schließlich von ihr.
Zack öffnete die Powerpoint, welche wir noch gestern fertiggestellt hatten.
„Ist Liebe eine Illusion?", prangte dick und fett auf dem Deckblatt, Zack aber klickte schnell weiter, stellte kurz das Inhaltsverzeichnis vor und ging dann fließend ins erste Thema über.
„Okay, also Avery und ich sollten Fragmente einer Sprache der Liebe von Robert Barthes lesen und dieses Werk dann auf die Leiden des jungen Werthers von Goethe beziehen.
Dabei haben wir uns intensiv mit der Frage auseinander gesetzt, ob Liebe eine Illusion ist, da Robert Barthes eben diese Thematik kritisch hinterfragt.
Im Falle des Werthers trifft das definitiv zu, da er Lotte nur für das liebt, was er denkt, was sie ist, oder sein sollte. Sie ist nur ein Platzhalter. Den Werther reizt an ihr nur, wie attraktiv sie ist, mehr nicht.", er machte eine kurze Pause. Eigentlich sollte ich jetzt reden, aber etwas hielt mich auf. Zitternd hielt ich die Karteikarten in der Hand. Mein Griff verstärkte sich so sehr, dass ich drohte, das Papier zu zerknicken. Seit wann hatte ich eine solche Prüfungsangst?
Augenblicklich beantwortete ich mir die Frage selbst, als ich meinen Blick über meine Klassenkameraden schweifen ließ.
Ich wusste wieso. Seitdem sie mich ansahen, als wäre ich Abschaum, als wäre ich ekelhaft und dreckig.

Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie Zack mich sorgenvoll ansah und schließlich seine Karteikarten niederlegte. Wieso tat er das?
„Wie dem auch sei, Avery und ich haben auch den Gegenbeweis, das Liebe nicht nur eine Illusion ist. Denn, wenn eine Person inspirierend auf einen wirkt, wenn man immer bei der Person sein will, weil sie einen glücklich macht, oder weil man mag, wie sie redet, lacht, handelt und minimal fünfzig Dinge aufzählen kann, die einem an der Person gefallen, auch wenn schon die sogenannte „rosarote Brille" ab ist... auch wenn man mit ihr zusammenbleibt in guten und in schlechten Zeiten und sie immer unterstützen und glücklich sehen will... dann kann das keine Illusion sein. Wenn romantische Gefühle eine Illusion wären, dann wären auch Traurigkeit und Glücklich sein eine Illusion, diese bezeichnen wir doch aber auch nicht als solche. Demnach haben wir auf die Frage, ob Liebe eine Illusion ist, klar die Antwort nein gefunden. Wie gesagt, es gibt Ausnahmefälle wie den Werther, da dieser nur eine Vorstellung und nicht die Person wie sie wirklich ist liebt, aber bei mir und Avery ist das beispielsweise ganz anders." Ich schluckte.
Zack hatte das so gefühlvoll erzählt, dass mein Herz drohte, aus meiner Brust zu springen. Er hatte mir gerade eine Liebeserklärung vor der gesamten Klasse gemacht. Er meinte es wohl wirklich ernst mit mir. Der Schwarzhaarige sah einen kurzen Moment zu mir herüber, seinen Blick konnte ich dabei nicht deuten.
Er drehte seinen Kopf wieder der Klasse zu und richtete seinen Blick auf Frau Hiller. Wir waren noch lange nicht mit unserem Vortrag fertig. Jetzt wäre der Moment, wo Zack eigentlich die Folie wechseln- und zum nächsten Thema springen müsste.

Stattdessen sagte er nach einer langen Pause ernst: „Was aber definitiv eine Illusion ist, ist das diese Schule angeblich ihre Schüler unterstützt und schützt." Frau Hiller zog augenblicklich scharf die Luft ein und die anderen Schüler fingen an zu tuscheln.
Was tat Zack da? Das war so nicht geplant.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah ich ihn sorgenvoll an. In seinem Blick fand ich nur Entschlossenheit. Was auch immer er vor hatte, er würde es durchziehen. Um jeden Preis. „Letzte Woche wurde hier ein Mädchen vergewaltigt. Und Sie...", er deutete auf Frau Hiller, „Waren eine sehr wichtige Zeugin in diesem Fall. Sie haben selbst gesehen, dass Herr Stein das arme Mädchen festgehalten und vergewaltigt hat. Trotzdem entschieden Sie sich, den Vergewaltiger, statt das Opfer zu schützen, indem Sie nicht für das Mädchen aussagten. Damit sind Sie kein Stück besser als die Direktorin, welche Herr Stein schützt, weil sie ihn immer nach der Schule fickt."

Ein entsetztes Raunen ging durch den Raum.
Meine Augen waren so groß wie Untertassen. Ich hätte nicht gedacht, dass Zack das hier ansprechen würde. Aber irgendwie war es auch eine Erleichterung und ich war ihm dankbar, dass er meinen Namen nicht benutzte.
„Zack Weiler!", rief Frau Hiller warnend, „Diese Auseinandersetzung hat hier nichts in meinem Unterricht zu suchen!" Nun wurde auch ich sauer. „Und ob sie das hat!", ernst blickte ich sie an, „Ich bin das Mädchen, welches von Herr Stein vergewaltigt wurde und das wissen Sie ganz genau, weil Sie es gesehen haben. Was ist das hier für eine Schule, die eher den Vergewaltiger, als das Opfer schützt?!" wutentbrannt stierte ich meine Deutschlehrerin an. „Verlasst sofort dieses Klassenzimmer", stieß Frau Hiller unter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich werde das hier der Direktorin melden, das wars mit eurem Abschluss. Verlasst verdammt nochmal dieses Klassenzimmer!"
„Alles gut, ich sage lieber die Wahrheit, anstatt das ich schweige und noch eine Sekunde länger an dieser korrupten Schule bleiben muss." Ich stolzierte Richtung Ausgang.

Zack machte noch eine theatralische Verbeugung vor der Klasse und raunte ein sarkastisches, „Das war unser Vortrag, ich hoffe, er hat euch gefallen.", ehe er mir folgte.

Love Is An IllusionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt