01 Clouds

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Endlich! Raus aus dem Alltag. Weg von all den Idioten, die es irgendwie geschafft haben, sich in die 12. Klasse zu schummeln und nun gemeinsam mit mir zwei Monate vor den Abiprüfungen stehen. Raus aus dem Alltag und raus aus Deutschland. Meine Sprachreise ruft - auf englisch.

Da Englisch neben Deutsch und Mathe mein drittes schriftliches Abiturfach ist und ich so gut wie möglich abschneiden soll - wofür auch immer, schließlich habe ich nicht vor, etwas mit NC zu studieren und ansonsten achtet später doch kein Schwein mehr auf deinen Abischnitt - haben mir meine Eltern einen fünfwöchigen Sprachkurs in London "geschenkt". So kurz vor dem Abschluss ist das zwar ungewöhnlich, aber da ich insgesamt recht gut in der Schule bin und meine Eltern sehr durchsetzungsfähig sind, hat die Schule die Sache auch abgenickt.

Das alles kommt mir nur entgegen. Manchmal frage ich mich wirklich, was sich heutzutage alles auf einem humanistischen Gymnasium tummelt. Meine Klassenkameraden sind zum Kotzen, ohne Übertreibung. Ok, die meisten. Ich habe natürlich auch ein paar Freunde, aber die Mehrheit will ich nach der Schule wirklich nie wieder sehen!

Meine beste Freundin beneidet mich unglaublich, dass ich fünf Wochen London genießen darf, auch wenn ich dort trotzdem zur Schule gehen werde, und anfangs war sie glaube ich auch etwas sauer, dass ich sie mit den Idioten alleine lasse, aber hey! Die Chance lasse ich mir nicht entgehen und schließlich sind wir beste Freundinnen, was immer auch ist, wir lieben uns trotzdem! Forever und so! Mal im Ernst, wir sind eher solche, die sich die ganze Zeit Beleidigungen an den Kopf werfen und dadurch unsere Liebe ausdrücken. Zwei Verrückte, die sich gefunden haben.
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Mein Flug geht in 40 Minuten und ich freue mich so un*fucking*fassbar! Meine Reisetasche habe ich bereits aufgegeben und meine Eltern bin ich nach langem "Meld dich bei uns. Lern fleißig. Stell nichts an. Wir haben dich lieb!" auch endlich losgeworden und konnte die Sicherheitskontrolle passieren. Ich liebe meine Eltern, keine Frage, und ich verstehe mich auch unglaublich gut mit ihnen, aber wie Eltern nun mal sind, können sie auch ganz schön nervig sein. Vorallem, wenn ich gerade voller Endorphine ins Abenteuer aufbrechen will.

Jetzt sitze ich hibbelig auf der Stuhlkante im Wartebereich vor meinem Gate. Die Gummisohlen meiner dunkelroten DocMartens quietschen über den glatten Hallenboden und die Frau, in der Stuhlreihe mir gegenüber guckt schon ganz genervt. Ich tue ihr den Gefallen und höre auf, mit den Beinen zu schaukeln, starre stattdessen durch die große Fensterfront hinaus aufs Rollfeld. Mein Flugzeug steht noch nicht bereit und auch sonst hält sich der Verkehr da draußen eher in Grenzen. Also widme ich mich lieber der Beobachtung meiner Mitmenschen.

Die Frau, die mir den genervten Blick zugeworfen hat, tippt hektisch auf ihrem Smartphone herum und legt dabei ihre Stirn in Falten, was sie grimmig und alt aussehen lässt. Ein gut gekleideter Herr in Anzug und mit Aktentasche telefoniert lautstark mit seinem Chef, weil er gezwungen war, einen Flug später zu nehmen und seinem Chef das nicht zu gefallen scheint. Dabei läuft er ununterbrochen neben meinem Platz hin und her und macht mich noch nervöser als ich ohnehin schon bin.

Nicht, dass ich noch nie geflogen wäre oder Angst davor habe, ich liebe Fliegen, kommt gleich nach langen Auto- und Zugfahrten, weil ich einfach gerne aus dem Fenster schaue, die Landschaft an mir vorbeiziehen lasse und dabei die Musik an und die restliche Welt ausschalte. Aber in London bin ich bisher nie gewesen, in ganz England nicht. Ich freue mich einfach.

Die junge Mutter neben mir versucht gerade ihren etwa vier jährigen Sohn davon abzuhalten, das große Glasfenster mit seiner kleinen Faust zu bearbeiten. Der Junge hat einen erfreuten Schrei ausgestoßen, als ein Flugzeug, ich nehme an, Zielflughafen London, aufs Feld gerollt kam und in Windeseile mehrere Wagen und Arbeiter in gelben Warnwesten aufgetaucht sind, um die Gepäckstücke in den Bauch der Maschine zu laden. Er lässt sich nicht beruhigen und ich muss lächeln bei der Freude, die der Kleine ausstrahlt und lautstark verkündet.

All The Love | Harry Styles | On HoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt