All The Love | Harry Styles | On Hold

02 One Way Or Another

Tatsächlich finden wir nach einiger Zeit ein gemütliches Café, das auch warme Gerichte anbietet und sich abends in eine kleine Cocktailbar verwandelt.
Während ich vor dem Abflug schon eine kurze Anreise von Nürnberg nach München hinter mir hatte, kommt Sophie aus einem Münchner Vorort. Sie ist 17 Jahre alt und besucht die 11. Klasse eines Gymnasiums.

"Hast du eigentlich Geschwister?", frage ich sie, nachdem wir uns in eine versteckte Nische gesetzt haben. Auf dem Tisch flackert ein kleines Teelicht, die Wände bestehen aus rauem Sandsteingemäuer und auf Wandvorsprüngen und in Ecken stehen antike Gebilde und Figuren aus Draht und dunklem Stahl. Ein junger Kellner bringt uns die Karten.

"Ja, zwei ältere Brüder", antwortet sie mir dann. Ich kann sehen, dass sie ein gutes Verhältnis haben, dass sie stolz ist, von ihnen erzählen zu können, ihre Augen funkeln und das Strahlen weicht nicht aus ihrem Gesicht.

"David ist 25 und bei der Bundeswehr. Wir bekommen ihn kaum zu sehen, aber wenn er mal wieder nach Hause kommt, ist es umso schöner! Matthias ist 19 und bei ihm muss ich mir keine Sorgen machen, dass er auch bald weg ist. Der faule Sack genießt viel zu gerne die Vorzüge von Hotel Mama!"

Sie lacht und ich frage mich mal wieder, ob ich sehr viel verpasse, nur weil ich Einzelkind bin; stelle mir vor, wie es wäre, auch so von meinen Geschwistern erzählen zu können. Vor- und Nachteile. Vermutlich wünscht sich jeder mit Geschwistern ab und zu, diese aussetzen oder gar verkaufen zu können, und anders herum. Wir müssen noch lernen, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben können und nicht immer besitzen zu wollen, was wir nicht haben; einfach stolz sein, wie Sophie.

Wieder erscheint der Kellner und lehnt sich, nachdem ich ihm meine Auswahl genannt habe, amüsiert gegen den dunklen Fachwerkbalken - der unseren von den übrigen Tischen abgrenzt - um Sophies Bestellung entgegen zu nehmen, die nach einer lustigen Geschichte über ihren Bruder immer wieder anfängt loszuprusten. Ihre blauen Augen lachen bereits Tränen und ich halte mir den Bauch. Zwar habe ich die Hälfte der Geschichte gar nicht verstanden, weil sie immer wieder abbrechen musste, aber wer muss bitte nicht lachen, wenn sich sein Gegenüber gleich wegschmeißt? Und Sophies Lachen ist sehr ansteckend. Sie kneift die Augen zusammen und lässt mich ihre weißen Zähne sehen, während sie vor und zurück wippt und ihre blonden Locken mitschwingen.
Der Kellner hält uns bestimmt für bescheuert, aber das ist egal. Ich bin in meinem Leben schon so vielen Menschen begegnet, die vieles an mir verändern wollten. Viele Menschen, die mich beschließen ließen: I don't give a fuck. I am who I am!

Er scheint Zeit zu haben, ein entspanntes Grinsen hängt schief in seinem Gesicht und lässig hat er die Arme vor der Brust verschränkt, in einer Hand Notizblock und Stift, wartet geduldig bis Sophie ihm mit roten Wangen ihre Wahl sagen kann und verschwindet dann mit einem Zwinkern. Wir sehen uns an, ich schiele in die Richtung, in die er verschwunden ist, und lasse meine linke Augenbraue zweimal in die Höhe zucken. Diesmal liegt Sophie fast auf dem Tisch vor lachen und hält sich die Hand vor die Augen. Als sie wieder Luft bekommt, keucht sie: "Mach das nie wieder!"

"Was denn?", grinse ich sie an und wackle mit der Augenbraue.

"Ahh, du willst mich umbringen!", bringt sie zwischen zwei Lachern hervor.

"Ich weiß nicht, was du meinst." Unschuldig blicke ich sie an und ziehe meine Augenbraue immer wieder hoch. Irgendwann bewirft sie mich mit ihrer orangen Stoffserviette, und bevor das in eine Schlacht ausartet, werden unsere Getränke gebracht. Gott sei Dank, langsam habe ich Angst, Sophie stirbt mir an unserem ersten Tag gleich weg, so rot ist sie mittlerweile. Ihr Gesicht nimmt mit der Zeit wieder eine natürliche Farbe an und ich werde wohl niemals vergessen, dass sie sich von Anfang an mit ihrem Lachen in mein Herz gespielt hat, noch bevor wir uns richtig kannten.