★Kapitel 2★

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Mit klopfendem Herzen fuhr Yvaine in ihrem Bett hoch. Ein Schweißtropfen lief ihr die Stirn hinunter.
Sie hatte wieder einen Albtraum gehabt. Es war wieder ein Rabe da gewesen.

Yvaine stand an einer Klippe.
Viele hundert Meter ging es in die Tiefe. Ein starker Wind toste und ließ die Wellen des Meeres mit einer Wucht schäumend gegen das dunkle Gestein knallen.
Ein Rabe kam schreiend aus der Ferne auf sie zugeflogen.
Wild flatterte er mit den Flügeln.
Yvaine wusste, dass seine Unruhe nicht ihr galt, sondern etwas hinter ihr.
Als sie ein lautes stampfen hörte, drehte sie sich um und sah eine dunkle Kapuzengestalt.
Das Gesicht war im Schatten verborgen gewesen. Yvaine riss die Augen auf und wollte etwas sagen, doch schneller als sie reagieren konnte, streckte die Kapuzengestalt die Hände nach ihr aus und stieß sie mit einer gewaltigen Kraft von der hohen Klippe.

Vor dem Aufprall hörte sie wieder das Krächtzen des Rabes.
Sie schloss die Augen und wartete auf den erlösenden Aufprall, als sie schon wach und schwer atmend in ihrem Bett saß.

Sie legte eine Hand auf ihre Brust. Ihr Herz klopfte so stark, dass sie das Gefühl hatte es festhalten zu müssen, damit es nicht zersprang.
Nachdem sie sich mit ein paar tiefen Atemzügen beruhigt hatte, wischte sie sich die Stirn mit der Handfläche trocken und schlug die Bettdecke zurück.
Es war zwar noch recht früh, doch schlafen konnte sie nun ohnehin nicht mehr.

Yvaine sah zu ihrem Fenster herüber. Durch die Fensterläden, fiehlen dünne Lichtstrahlen in das Zimmer.
Der Wecker auf ihrem Nachttisch zeigte 7:07 Uhr an. Mit einem langen Seufzer stand sie schließlich auf, schwang die Arme in die Höhe und fing an sich zu strecken. Sie spürte, wie ihre Muskeln erwachten und als sie fertig war, fühlte sie sich auch etwas munterer, als zuvor.

Unten war ihr Vater schon auf den Beinen. «Guten Morgen, Dad.»
Fröhlich kam Yvaine die Treppe heruntergeschlendert, eine Hand an dem elegant geschliffenen Holzgeländer.
Der Geruch von frischem Kaffee stieg ihr in die Nase und sie musste grinsen.
Was sie schon immer mit ihrem Vater verband war: das Gefühl von Geborgenheit, Zartbitterschokolade und der Geruch von Kaffee und feuchter Erde.
Das alles fühlte sich nach Zuhause an.

«Guten Morgen Yve. Hast du gut geschlafen?»
Yvaine hatte ihrem Vater noch nie etwas von ihren Albträumen erzählt, die sie regelmäßig heimsuchten. Natürlich vertraute sie ihm und sie wusste auch, dass sie immer zu ihm kommen konnte, wenn sie etwas plagte, doch diese Träume waren seltsam und Yvaine konnte sich nicht überwinden irgendjemandem davon zu erzählen.

«Jap», sagte sie schließlich nur.
Ihr Vater holte eine zweite Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter die Kaffeemaschine. Sie war einmal ein Geschenk ihrer Mutter gewesen.
Sie und ihr Vater waren einmal in Deutschland gewesen und hatten dort eine Art Wanderurlaub verbracht, wo ihre Mutter ihm diese Kaffeemaschine als Geburtstagsgeschenk gekauft hatte. Auch sie wusste, dass er ein absoluter Kaffeeliebhaber war.
Er trank ihn am liebsten schwarz und ohne Zucker. Yvaine konnte sich nicht dazu überwinden.
Sie setzte sich an den großen Holztisch und als ihr Vater ihr die Tasse reichte, gab sie einen Schuss Milch und zwei Stück Zucker dazu. Sie rührte mit dem kleinen Edelstahllöffel das heiße Getränk um und beobachtete, wie sich in der Mitte der Tasse ein kleiner Strudel bildete.

Ihr Vater riss sie aus ihrer Trance.
«Ich wollte dich nochmal daran erinnern, dass ich heute später nach Hause komme. Ich gehe nach der Arbeit noch zu Pete», erklärte er.
«Richtig, heute ist ja Donnerstag. Wer spielt denn?»
Jeden Donnerstag ging ihr Vater zu seinem Kumpel Pete, der eine Straße weiter mit seiner Familie wohnte. Sie sahen sich immer zusammen ein Rugbyspiel an.

«Du wüsstest auch nicht welche Mannschaft es ist, wenn ich es dir sage.» Yvaine schnippte mit dem Finger und verzog wissend das Gesicht.
«Stimmt auch wieder - Gut, dann bestell ihnen schöne Grüße und habt viel Spaß.»
Yvaines Vater trank seinen letzten Schluck Kaffee und verließ das Haus.

Federn aus PechWo Geschichten leben. Entdecke jetzt