Raben sind sonderbare Vögel.
Sie gelten als Vorboten des Bösen und sollen jedem, der sie im Traum sieht, ein großes Unglück vorhersagen.Yvaine hatte in dieser Nacht wieder einen dieser Unheil verkündenden Träume.
Sie saß auf einer Bank im Park unter der großen knorrigen Eiche, deren Blätter langsam die Herbstzeit ankündigten. Ein leichter Windhauch strich durch ihr dunkles Haar.
Eine Frau lief gerade mit einem kleinen Mädchen an der Hand den Weg zur Kirche entlang.
Kaum waren sie in Sichtweite geraten, verschwanden sie auch schon wieder hinter der Ecke des Cafés.Ein krächzender Schrei zerschnitt die Luft.
Erschrocken spähte Yvaine nach der Ursache dieses grausigen Geräusches.Auf der Wiese hockte ein schwarzer Vogel.
Ein Rabe.
Er pickte ein paar Mal mit seinem harten Schnabel in den feuchten Boden.Mit anmutiger Leichtigkeit gesellte sich ein Zweiter zu ihm, das Gefieder ebenso dunkel, wie das seines Freundes.
In sekundenschnelle hockten dort auch ein Dritter und Vierter.Die Sonne verschwand hinter der grauen Wolkendecke.
Der Wind nahm zu und zerrte am bunten Laub der Bäume.
Bald würde es anfangen zu regnen.
Ein Rauschen fuhr durch das Geäst und ließ Yvaine ihren Schal enger ziehen.Mit lautem Gekrächze sammelten sich nun immer mehr und mehr Raben auf der Wiese.
Sie standen schon dicht an dicht und dennoch kamen immer mehr von allen Seiten herangeflogen.Ein schreckliches Kribbeln lief ihr den Rücken herunter.
Hunderte der pechschwarzen Vögel hockten nun auf der Wiese.
Diese Sache wurde langsam unheimlich. Ihre Großmutter hatte immer gesagt, dass Raben Unglück brachten.
Dieser abergläubische Humbug hatte Yvaine allerdings noch nie sonderlich beeindruckt, doch Hunderte von diesen Viechern konnten ganz sicher nichts Gutes verheißen.Ich muss hier weg, schoss es ihr durch den Kopf.
Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr sicher. Ihr war, als würde sie beobachtet werden.
Als sie von der Holzbank aufstand, verstummte das Gekrächze, was bis eben noch alle anderen Geräusche übertönt hatte.
Wie angewurzelt stand sie plötzlich da.
Ein lebendiger schwarzer Teppich aus Raben erstreckte sich über die ganze Wiese.Jeder einzelne Vogel hatte ihr seinen Kopf zugewandt und sah ihr mit leeren Augen entgegen.
In der Ferne erklang ein Trommeln, wie von einem uralten Instrument, das längst verstummt war und nun wieder zum Leben erwachte.
Sie suchte mit den Augen die Quelle dieses Geräusches, fand sie aber nirgends.Mit jedem Trommelschlag nahm ihre Angst zu.
Das donnernden Geräusch wurde lauter und lauter.
Die Raben saßen noch immer reglos da.
Konnten die Vögel spüren, dass ihre Angst wuchs?
Es war wie eine Szene aus einer Tierdokumentation.
Die Raben waren die Raubtiere und sie ihre Beute.Ihr Blick zuckte hin und her und nahm jedes einzelne Tier wahr.
Mit einem einzigen lauten Donnern, als sei es der Urknall gewesen, verstummte die unsichtbare Trommel.
Nebel kam auf.Einer der Raben stieß einen markerschütternden Schrei aus. Sofort zuckte sie zusammen.
Als wäre dies das Zeichen gewesen, erhoben sich alle Vögel krächzend in die Luft.
Ehe Yvaine zurückweichen konnte, war sie schon umhüllt von schwarzen Schwingen, einer geflügelten, schwarzen Armee, die sie umkreiste.Für den Bruchteil einer Sekunde, riss Yvaine erschrocken die Augen auf.
Schnell hob sie schützend die Hände vor das Gesicht und duckte sich instinktiv weg, als könnte sie sich so retten.
Sie schrie so laut sie konnte, doch kein Ton kam über ihre Lippen.Die Raben hackten mit ihren harten Schnäbeln auf sie ein und zerkratzten ihre Kleidung, bis sie auf Fleisch trafen. Blut sickerte in den grünen Stoff ihrer Jacke.
Das letzte Geräusch, das sie wahrnahm, war das Krächzen eines einzelnen Raben.
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Federn aus Pech
FantasyRaben sind sonderbare Vögel. Seit einigen Monaten sieht Yvaine sie in ihren Träumen und mit ihnen auch ihren Tod. Diese Träume sind jedoch nur der Anfang eines gewaltigen Abenteuers, dass Yvaines ganze Wirklichkeit auf den Kopf stellen wird und ein...