Bri kam unsanft auf die Füße. Sie hob ihren Rucksack auf und half Oliver dabei, in den Tunnel hinunterzuklettern. Alles war still, die Bewohner Novembers schliefen tief und fest. Der Tunnel lag in dieser Nacht so ruhig da wie eh und je.
Drei Tage waren vergangen, seit Bri Henry in dem Verließ unter der Erde gesehen hatte. Seit dem hatte sie auf einen günstigen Moment gewartet, um wegzulaufen.
In irgendeiner Weise hatte sie geglaubt, all das eines Tages wieder hinbiegen zu können. Die Sache mit ihren Schwestern, mit den Schulz', mit Henry. Doch nun war Bri klargeworden, das es so nicht sein würde. Die meisten der Schulz' waren tot. Henry, der Einzige, der ihr versprochen hatte, sie vor diesen nichtvorhandenen Zahlen in ihrem Kopf zu schützen, wünschte sich nun, dass man sie dafür zu Tode folterte.
Was früher oder später passieren würde. Die Piratenjäger hatten bestätigt, dass Bri ihnen nicht trauen konnte. Dass sie alles dafür tun würden, diesen Krieg zu gewinnen. Und wenn sie das Paradies wollten, würden sie es sich holen. Es bestand kein Zweifel mehr.
Wollte Briseis Bandowski weiterleben, musste sie November verlassen. Weitere Schritte hielt ihr Plan noch nicht bereit.
„Komm, Oli", sagte Bri und führte ihn in Richtung Meer. Sie steuerte den Tunnel nach Echo an, um dann in die Zwischenstädtischen Gebiete zu gelangen.
Oliver hatte noch kein Wort gesprochen, seit er in November war. Bri konnte es dem Jungen auch nicht verdenken. Dass er die Massenvernichtung in dem Arbeitslager überlebt hatte, kam einem Wunder gleich. Samuel hatte erzählt, dass er dort von einem Piratenjäger gefunden worden war, dessen Schwester einst an dem gleichen Gendefekt gelitten hatte wie Oliver. Sein Mitleid war es gewesen, das den Jungen zurück zu seinem Vater und letztendlich zu Briseis gebracht hatte. Nachdem Bri Samuel von ihren Fluchtplänen erzählt hatte, hatte er sie gebeten, Oliver mitzunehmen.
Als sie beinahe den Hafen erreicht hatte, unter dem der Tunnel weiterführte, sagte jemand plötzlich hinter ihnen: „Bisschen spät, um ganz allein hier langzugehen, findest du nicht?"
Bri blieb langsam stehen und ließ den Kopf hängen. Seufzend drehte sie sich um. Adrian Zimmerman lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und musterte sie im Halbdunkeln.
„Was war dein Ziel?", fragte er nach einer Weile.
Bri zuckte die Schultern. „Spielt das eine Rolle?"
Adrian nickte zu Oliver, der den Blick auf den Boden gerichtet hielt. „Weiß Schulz, dass er bei dir ist?"
Bris Kiefer versteifte sich. „Es war Samuels Idee. Du hast gesehen, wie ihr ihn da oben behandelt."
Adrian nickte, dann schwiegen sie. „Warum bist du mir gefolgt?", fragte Bri schließlich.
Adrian holte tief Luft. „Ganz sicher nicht, um euch aufzuhalten."
Bri schnaubte. „Sicherlich."
Er strich sich übers Kinn. „Hör zu. Ich liebe deine Schwester über alles." Bri verzog das Gesicht. „Und hätte ich ihr angetan, was du Henry angetan hast ... würde ich auch das Weite suchen."
Diese Worte trafen Bri vollkommen unerwartet. „Was?"
Adrian schüttelte den Kopf. Bri war sich nicht sicher, doch er schien regelrecht verzweifelt. „Sag mir, was ich tun soll, Briseis. Mein Ziel war es, den Krieg zu beenden. Nicht, ihn durch Henrys Entführung vollkommen neu anzufachen." Er sah sie flehend an. „Also sag mir, wie ich das mit ihm wieder hinbiegen soll."
Es war beinahe traurig, wie sehr Bri diese Verzweiflung im Blick des Präsidenten berauschte. „Dir liegt etwas an Menschen?", fragte sie verachtend.
Obwohl ihre Worte vor Sarkasmus trieften, nickte Adrian ernst.
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16521 Band 1: Der Pirat, der Bär und der Regen
Novela JuvenilII Watty Award 2022 II Die Welt wurde zerstört durch Naturkatastrophen und Kriege, der letzte bewohnbare Kontinent ist Septentrio - ein Land, regiert von Hunger, Krankheiten und giftigem Regen. Um der Not zu entfliehen laufen immer mehr Menschen zu...