Jake drehte sich um und musste mit ansehen wie das Schicksal seinen Lauf nahm. Das Reh sprang aus dem Wald, Leah ging zu Boden und allem Anschein nach hatte sie sich verletzt. Er blieb stehen wo er war, verdeckt durch den massiven Stamm einer Eiche und sah zu der Frau herüber, die sein Herz ihr eigen nennen konnte. Immer wieder startete sie den Versuch aufzustehen nur um zu realisieren, dass es nicht klappte. Das war seine Schuld. Wäre er nicht in den Wald gegangen, wäre das Reh wahrscheinlich niemals auf den Weg gesprungen. Ihre Verletzungen waren das Ergebnis seiner mangelnden Selbstbeherrschung. Und er bereute es zutiefst. Es wurde immer dunkler und er erkannte, dass sie es nicht selbst schaffte hier wegzukommen. Leahs Rufe um Hilfe gingen ihm durch Mark und Bein. Er könnte einfach einen Rettungswagen rufen und fertig, aber was dann? Das helle Licht würde ihn sichtbar machen und von der Stelle entfernen konnte er sich nicht. Sie würde ihn hören und sehen. Also war er entweder dazu verdammt abzuwarten oder aber er half auf welche Weise auch immer. Sie rief erneut um Hilfe, doch führte das zu keinem Erfolg. Hier war niemand. Kein Wunder um diese Uhrzeit. Jake ballte seine Hände zu Fäusten und schloss die Augen während er nun mit dem Rücken am Baumstamm lehnte. Ihre Verzweiflung und ihren Schmerz konnte er deutlich hören. Das war anders als wenn sie miteinander schrieben. Hier und jetzt konnte er jede Emotion von ihr erkennen und das machte etwas mit ihm. Es riss die Mauern ein, welche er zu seinem Selbstschutz um sich herum aufgestellt hatte. Tief atmete er durch, doch noch immer tat sich nichts. Sie würde ohne seine Hilfe hier nicht wegkommen. Und so stieß er sich vom Baumstamm ab hinter welchem er bis eben noch gestanden hatte und lief durch das Dickicht in ihre Richtung.
Leah rief erneut um Hilfe und spürte wie sich Verzweiflung in ihr breit machte. Sie hatte gewiss keine Lust hier im Wald auf dem Boden zu übernachten. Aber aufstehen war einfach keine Option. Vielleicht schaffte sie es auf ihr gesundes Bein und anschließend hätte sie humpeln können, doch wusste sie selbst, dass es kaum machbar war. Nicht wenn ihr Fuß wirklich gebrochen war. Noch einmal sah sie sich um und rief um Hilfe als sich plötzlich etwas links von ihr im Wald tat. Etwas bewegte sich durch die Büsche und nur schemenhaft nahm sie Umrisse wahr. Was immer es auch war, es war groß und dunkel. Angst stieg in ihr auf und drängte die bis eben noch dominierende Verzweiflung in den Hintergrund. Ihre Hände tasteten den Boden ab. Sie brauchte etwas um sich zur Wehr zu setzen und fand schließlich einen größeren Stein. Das Geräusch kam immer näher und Leah hob die Hand, bereit den Stein zu werfen falls nötig als eine Gestalt am Wegrand auftauchte. Schwarz gekleidet, die Kapuze mitten ins Gesicht gezogen. Ihr Herz setzte für einen Moment aus aber nur um im nächsten den Takt zu beschleunigen. Sofort beschleunigte sich auch ihr Atem. Sie hatte Angst, definitiv und es wurde nicht besser als diese Person ein paar Schritte auf sie zu machte. Leah hob die Hand mit dem Stein höher, bereit sich zu verteidigen. "Stop!" entwich es ihr. Ihre Stimme war bei weitem nicht so gefestigt wie sie es sich gewünscht hatte. "Keinen Schritt weiter oder ich schwöre bei Gott, ich..." Die Gestalt hob beide Hände in Brusthöhe und blieb stehen. Leah versuchte irgendwie nach hinten zu rutschen, einfach hier wegzukommen und hatte doch keine Chance. Was zuvor nicht geklappt hatte, konnte auch jetzt nicht funktionieren. "Hau ab!" forderte sie. Sie brauchte Hilfe, ja, aber die Person lief rum wie der nächste Serienkiller. Sie sah schon die Schlagzeilen: junge Frau tot im Wald aufgefunden.
"Leah" Sie hörte ihren Namen leise aus dem Mund des Fremden. Woher wusste er wie sie hieß? Es handelte sich definitiv um einen Mann, das war klar und machte die Situation überhaupt nicht besser. Er machte wieder einen Schritt auf sie zu. "Bleib stehen, Herrgott nochmal!" Jake blieb erneut stehen. Leah schlug das Herz bis zum Hals. Die Angst sorgte dafür, dass Adrenalin durch ihren Körper schoss und sie leicht zu zittern begann. Diese körperliche Reaktion brauchte sie jetzt ganz sicher nicht. "Es ist alles gut. Ich will dir nur helfen" sagte er ruhig und langsam wurde es richtig dunkel. Seine Kleidung machte das alles nicht weniger unheimlich. "Ich will deine Hilfe nicht! Ich brauche deine Hilfe nicht! Hau ab!" sagte sie und beobachtete ihn ganz genau. Jede seiner Regungen versuchte sie wahrzunehmen auch wenn es immer schwieriger wurde.
Er atmete tief durch. Solch eine Reaktion hatte er nicht erwartet. Sie hatte panische Angst vor ihm. Vor dem Mann, dem sie ihre Gefühle offengelegt hatte. Und ihm dämmerte es. Sie erkannte ihn nicht. "Okay, ganz ruhig" versuchte er es erneut und blieb wo er war. "Ich kann dich hier rausholen. Ich will nichts weiter als dir zu helfen, Leah" Erneut sagte er ihren Namen und erneut wunderte sie sich woher er sie kannte. "Klar und im nächsten Moment holst du dir was du willst und ich erlebe den nächsten Tag nicht" antwortete sie, den Stein noch immer in der Hand haltend. "Ich würde dir nie weh tun" sagte er sanft. "Ich wollte dich immer nur in Sicherheit wissen weil ich es mir nie verzeihen könnte wenn dir etwas zu stößt. Das war in Duskwood so und auch hier" Ihre Augen weiteten sich. Das war doch nicht möglich. Nein, das war nicht möglich. Sie zögerte. "J....Jake?" Er hatte gesagt, dass er in ihrer Nähe war, aber das er tatsächlich so nahe war, konnte sie nicht ahnen. Stand er hier wirklich vor ihr? "Ja, Leah" Sie ließ den Stein fallen und Tränen schossen in ihre Augen. Als er erkannte, dass sie ihm glaubte überbrückte er mit ein paar weiteren Schritten schnell den Abstand zwischen ihnen und kniete sich zu ihr. Leah konnte nicht anders. Sie legte ihre Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Das war das erste Mal, dass sie seine richtige Stimme gehört hatte und auch das erste Mal, dass sie sich trafen außerhalb vom Netzwerk und dem Chat. Sie ließ es zu zu weinen und drückte sich fester an ihn. Er roch so unglaublich gut nach Moschus und einem Schuss Pfefferminz.
Jake legte seine Arme um sie und hielt Leah einfach nur fest. Sie brauchte ihn jetzt und diese körperliche Nähe. Er konnte regelrecht spüren wie die Angst von ihr abfiel und Erleichterung wich. Gefühle zu deuten fiel ihm schwer, doch handelte er bei ihr instinktiv richtig. "Alles ist gut. Ich bring dich nach Hause" sagte er und strich sanft über ihren Rücken. Diese direkte Nähe ließ ihn nicht mehr klar denken. Es war als würde die Zeit stehen bleiben, einfach so. Am liebsten wollte er hier und jetzt für immer so mit ihr verweilen. Langsam löste er sich und blickte zu ihrem Fuß. Seine Finger strichen sanft über ihren Knöchel und sofort erntete er dafür einen Schmerzlaut ihrerseits. "Das sieht nicht gut aus" sagte er und war darauf bedacht sie nicht anzusehen. Die Dunkelheit und die Kapuze welche tief in seinem Gesicht hing verhinderte, dass sie ihn direkt sah. "Okay, bringen wir dich hier raus" Er legte seine Arme unter ihre Beine und an ihren Rücken, dann hob er sie hoch. Leah legte ihren Kopf wieder an seine Schulter und ihre Arme um seinen Hals. Sie entschied sich dafür ihn nicht zu bedrängen und ohnehin wollte sie gerade einfach nur hier weg. Der Weg war nicht weit und doch fragte sie sich ob er es schaffte sie den ganzen Weg zu tragen. Schwer war sie nicht, doch kostete es dennoch einiges an Kraft.
Nur kurze Zeit später erhellte ein Licht hinter ihnen den Weg und man konnte deutlich Motorengeräusche hören. Jake blieb stehen und drehte sich um. Da kam doch tatsächlich ein Auto. Hätte er nur ein paar Minuten länger gewartet. Er trat zur Seite und der Geländewagen hielt direkt neben ihnen. Die Fensterscheibe fuhr nach unten und ein Herr mittleren Alters sah sie an. "Brauchen Sie Hilfe?" Jake nickte. "Ja, meine Freundin ist verletzt. Sie ist umgeknickt und hat sich den Fuß verletzt" Leah sah von Jakes Schulter zu dem Wagen. "Ach was, das geht schon" Der Mann sah von Jake zu Leah und zurück zu Jake. "Sie haben Glück. Ich fahre gerade Streife durch meinen Wald. Ich bin der örtliche Förster. Ich kann sie ins Krankenhaus fahren" Noch nie war Jake so froh über ein Auto im Wald gewesen. "Wenn es Ihnen keine Umstände macht" sagte er und der Mann schüttelte den Kopf. "Nein, keine Sorge. Ich helfe gern"
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Duskwood - Mein virtueller Freund (Jake/MC)
FanfictionHallo Zusammen. Diese Geschichte spielt nach Episode 10, das heißt nach dem Finale von Duskwood. MC heißt hier Leah, sie ist mein Charakter.