2. Kapitel - Fluchtpläne

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Wie sich herausstellte, war es keine gute Idee, planlos durch die Gänge und Stollen des Erebors zu wandern. Vor allem Leuten, die versuchen auszubrechen, kann ich das ganz und gar nicht empfehlen. Was auch immer man von Zwergen halten mag, sie sind nicht nachlässig, auch nicht wenn es darum geht, Wachen aufzustellen. Mehrmals gelang es uns nur mit knapper Not, uns vor den Wachen zu verbergen, die durch die Gänge patrouillierten. Trotzdem gelangten wir irgendwann in bewohnte Gegenden des riesigen Höhlensystems und von da an, konnten wir der Hauptstrasse folgen, auch wenn wir uns hier noch öfter verstecken musste. Aus Richtung des Tores kam ein kühler Luftzug herab und sagte uns, dass es nicht mehr weit war. Wieder hörten wir das Stampfen von eisenbeschlagenen Stiefeln und das Klirren von Kettenpanzern und schauten uns nach einem Versteck um.

«Da hinein», zischte Langfinger und zeigte auf eine Tür in der Nähe und wir hasteten los. Gerade als der erste Zwerg der Patrouille um die Biegung kam, wischten wir durch die Tür und lehnten uns von innen dagegen.

«Das war knapp», kommentierte ich.

«Wer sind Sie denn? Und was machen Sie hier?», erklang eine empörte Stimme aus dem Raum, in den wir geflohen waren. Die Stimme kam von einem pummeligen Zwerg mit schneeweissem Haar und Bart und einem Zwicker auf der Nase, der seine Augen unnatürlich gross erscheinen liess. Hinter ihm in den Schatten des Raumes standen Regale an Regalen, alle mit Büchern und Schriftrollen vollgestopft. Eine Bibliothek.

«Ich brauche eine Karte von Mittelerde», erklärte ich dem Zwerg mit fester Stimme.

Der Zwerg sah mich schel an. «Wir vergeben keine Karten an Menschen. Und schon gar nicht an Fremdländer.»

«Oh, vielleicht schon», zischte Langfinger und zog ein Messer. «Du darfst wählen, Zwerg: Was ist dir lieber, eine Karte zu verlieren oder dein Leben?»

«Folgen Sie mir», erwiderte der alte Zwerg gepresst und führte uns zwischen die hohen Regale zu einer Wand, an der mehrere grosse Landkarten hingen und noch mehr eingerollt in einem niedrigen Regal daneben lagen. Eine besonders grosse Karte war auf einem Kartentisch ausgebreitet. Ich zog eine andere Karte aus meinem Rucksack hervor und glich sie mit der grossen Karte ab und erkannte, was ich schon länger befürchtet hatte: Meine Karte war hoffnungslos veraltet.

Auch der Zwerg hatte es bemerkt und wirkte jetzt eher neugierig und weniger eingeschüchtert. «Sehr interessant, diese Karte zeigt das Land wie es etwa um das Jahr 1500 des Dritten Zeitalters war», stellte der Zwerg interessiert fest und trat neben mich. «Oh, und die Namen sind nicht nur in der Schrift der Elben sondern auch der Zwerge angegeben. Bemerkenswert, Elben und Zwergen haben sich eigentlich nicht besonders gut verstanden zu der Zeit. Momentmal, diese Karte reicht viel weiter nach Osten, als es damals üblich war oder heute üblich ist.» Der Zwerg beugte sich näher über meine Karte und ich zog sie weg.

«Das geht Sie nichts an, geben Sie mir einfach eine aktuelle Karte», blaffte ich ihn an.

«Nun, mein Herr, ich habe keine Karte für Sie, die Sie lesen könnten. Wir verfassen unsere Karten in der Sprache der Zwerge und nicht in der Gemeinsprache», sagte der Zwerg abweisend.

«Dann gib uns eben eine in der Sprache der Zwerge», knurrte Langfinger. «Die Länder und Flüsse werden ja wohl so viel anders nicht heissen.»

Der Zwerg lachte bellend. «Nein, das nicht, aber ihr müsstet immernoch unsere Schrift lesen können.»

«Dann trifft sich gut, ich kann nämlich Angerthas-Runen lesen», entgegnete ich. Daraufhin guckte der Zwerg ziemlich schockiert und begann zu stottern.

«Her jetzt mit der Karte!», drohte Langfinger und griff wieder nach seinem Messer. Der Zwerg sah zu, dass er Beine bekam und brachte uns schnell eine Karte, die sich gut mitnehmen liess. Zusammen mit der alten Karte packte ich sie in meinen Rucksack nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sie auch tatsächlich die richtige Gegend zeigte. Dann verdrückten Langfinger und ich uns aus der Bibliothek.

Die blaue Zauberin (LotR FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt