2. Kapitel

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Kurz nachdem die Sonne aufgegangen war, hatte eine feindliche Patrouille das Lager der Clans betreten und für Aufsehen gesorgt. Lilienwolke hatte vom Kriegerbau aus zugesehen, wie die vier fremden Katzen einen rostroten Kater von ihren Rücken gleiten ließen. Lilienwolke erkannte Horizontgeist beinahe nicht. Seine Ohren waren zerfetz worden und an der Kehle hatte er eine tiefe Wunde gehabt. Die Clans, insbesondere der TalClan hatte um den verlorenen Krieger getrauert. Feuerglanz und ihre Familie lagen noch immer bei dem Kater und trauerten um ihn.

***

Lilienwolke machte sich auf den Weg zum Frischbeutehaufen. Sie schauderte, als sie die Ratten und den Zweibeiner Abfall darauf liegen sah. Aber sie musste essen. Auch wenn es nur für ihre Jungen war. Seit dem Brand war etwa ein Viertel Mond vergangen und seit Horizontgeists Tod waren weitere drei Sonnenaufgänge verstrichen. Lilienwolkes Bauch wurde immer runder und die Jungen konnten wirklich jederzeit kommen. Um genau zu sein, waren sie sogar schon überfällig. Sie hatte den Haufen erreicht und wählte eine kleine Ratte. In der Nähe des großen Baues ließ sie sich nieder und begann vorsichtig an der Ratte zu nagen. Angeekelt verzog sie das Maul. Die Beute schmeckte nach Zweibeinern, Donnerweg und Krähenfraß. Sie nahm einen weiteren Bissen, der ihr jedoch beinahe im Hals stecken blieb. Ein unglaublicher Schmerz durchzuckte sie und ließ sie nach Luft ringen. In letzter Zeit hatte sie sich an das Stechen und Ziehen in ihrem Bauch gewohnt, genauso wie an die Tritte ihrer ungeborenen Jungen, doch dieser hier war anders. Stärker. Wie ein Dachs wankend stand sie auf und lief zu einer ruhigen Ecke des Unterschlupfes, indem die Clans sich niedergelassen hatten. Auf dem Weg dorthin, begegnete sie Stacheleis. Der Kater erkannte sofort was los war und stützte sie. Dankbar lehnte sie sich an ihn. Eine weitere Wehe erfasste Lilienwolkes Bauch und sie keuchte. Besorgt blickte Stacheleis zu ihr hinab und beschleunigte sein Tempo noch einmal. Endlich erreichten sie den schattigen Flecken neben einem verkrüppelten Busch. Kaum lag sie am Boden, machte Stacheleis kehrt und suchte nach einem Heiler. Lilienwolke schloss die Augen und wimmerte leise vor Schmerzen. Warum tut das so weh? Sie verkrampfte sich. Einen Moment dachte die Kätzin, es würde nie ein Heiler kommen. Doch dann bog Rotkehlchenflug zusammen mit Stacheleis um die Ecke. Gleich darauf folgte Luftsturm. Rotkehlchenflug befahl Luftsturm:
„Gehe Stöcke sammeln. Sie müssen dick sein." Die Abstände zwischen den Wehen wurden immer kürzer. Lilienwolke glaubte dies Schmerzen nicht länger aushalten zu können. Luftsturm erschien und ließ drei dicke Stöcke neben dem Kopf der Kätzin fallen.
„Gut", maunzte Rotkehlchenflug und schickte Luftsturm wieder weg um ein feuchtes Moos zu holen.
„Wenn ich ‚Jetzt!' sage, musst du pressen, verstanden?", befahl der Heiler. Der rote Kater konnte die Antwort wegen seiner Taubheit nicht hören, doch er sah, dass Lilienwolke nickte. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis die nächste Welle kam und Rotkehlchenflug seine Erlaubnis gab. Mit aller Kraft presste die Kätzin. Ihr Bauch schien zu explodieren und sie knurrte vor Anstrengung. Stacheleis kauerte sich zu ihrem Kopf und murmelte in ihr Ohr:
„Komm schon! Du schaffst das!" Und noch leiser fügte er hinzu:
„Für unsere Jungen musst du stark sein. Ich liebe dich!" Lilienwolke schnurrte. Plötzlich glitt etwas Glitschiges neben ihr ins Gras und Rotkehlchenflug hob es hoch und zerbiss die Hülle, die es umgab.
„Ein Kater", miaute er und gab das Junge Stacheleis. Dieser sah es liebevoll an und begann das Junge gegen den Strich zu lecken. Der Kater begann zu maunzten und wimmern, als seine Atmung angekurbelt wurde. Schnurrend schob Stacheleis ihn zu Lilienwolke, die ihn mit warmen Augen ansah. Er hatte ein hellgraues Fell mit einer dunklen Tigermusterung. Lilienwolke wusste nun Bescheid, wer der Vater war. Vorher war sie sich unsicher gewesen, ob Luftsturm oder Stacheleis der Vater ihrer Jungen war, doch jetzt war sie sich sicher.
Stacheleis ist der Vater! Dieser Gedanke gab ihr die Kraft für ihr nächstes Junge. Eine starke Wehe erfasste ihren Körper und sie jaulte auf. Obwohl Rotkehlchenflug es ihm verboten hatten, kam Luftsturm zu Lilienwolke gerannt und kuschelte sich an ihren Rücken. Lilienwolke bemerkte Stacheleis' wütenden, verletzen, aber vor allem eifersüchtigen Blick, der auf dem grau-weiß gefleckten Kater lag. Lilienwolke konnte ihn nicht mehr mit einem Blick beruhigen, denn die nächste Wehe kam und Rotkehlchenflug rief:
„Jetzt!" Lilienwolke presste und krümmte sich auf dem erdigen Boden. Stacheleis versuchte sich nicht anmerken zu lassen wie nervös er war. Für Lilienwolke war es sichtbar, doch für die beiden anderen Kater, die ihn nicht so gut kannten, blieb es unsichtbar.
„Luftsturm du gehst bitte und Stacheleis, du holst Perlenkraut, Brenneselblüte oder Blütenpfote. Schnell!" sagte der Heiler. Die Kater sprinteten davon. An ihre Stelle trat Gipfelschatten, die Schwester von Stacheleis, die ebenfalls über Stacheleis und Lilienwolkes Liebe zueinander Bescheid wusste. Eine weitere Wehe erfasste sie und fragend sah sie zu dem Heiler des MeerClans. Gipfelschatten stand auf und nahm einen der Stöcke ins Maul und gab ihn an Lilienwolke weiter.
„Zum draufbeißen", meinte sie und Lilienwolke nickte nur. Bei der nächsten Wehe konzentrierte sie sich auf ihre Atmung und biss die Zähne fest zusammen.
„Gut so!", ermutigte Rotkehlchenflug sie. Der Schmerz ließ nach und er Heiler betastete Lilienwolkes Bauch mit den Pfoten.
„Okay, nach der nächsten Wehe musste du fest pressen", forderte er sie auf. Lilienwolke nickte stumm und wartete.
Nach einer Ewigkeit kam Stacheleis mit Perlenkraut zurück. Er spähte vorsichtig um die Ecke und blinzelte Lilienwolke aufmuntert zu. Doch so hoffnungsvoll er auch tat, er war sich ganz und gar nicht sicher ob das normal war und ob die Kätzin die Geburt überhaupt überlebte. So wie es schien ließen Lilienwolkes Kräfte langsam nach. Sie muss es schaffen! Immer wieder ermutigte er sie in Gedanken weiter zu machen. Fest nahm er sich vor nicht zu ihr zu laufen, als sie bei der nächsten Wehe schrie. Inzwischen waren auch die restlichen Katzen auf die werfende Königin aufmerksam geworden und es wurde getuschelt und ängstliche Blicke getauscht. Lilienwolke wimmerte vor Schmerz und Stacheleis konnte sich nicht mehr halten. Er zwang sich dazu langsam zu ihr zu gehen. „Lilienwolke, ich bin da", flüsterte er und leckte ihr beruhigen das Ohr.
„Pressen", befahl Perlenkraut streng. Lilienwolke musste sich bemühen diese Kraft aufzubringen. Am Rande ihres Blickwinkels wurde es schwarz und langsam wurde sie bewusstlos.
„Lilienwolke, nein! Bleib wach!", riefen Perlenkraut und Stacheleis gleichzeitig und rüttelten die Kätzin an der Schulter. Doch sie regte sich nicht. Stacheleis sah verzweifelt zu der Heilerin. Perlenkraut blickte ihm in die Augen und Erkenntnis blitze darin auf.
Jetzt weiß sie wer wirklich der Vater ist, dachte Stacheleis. Der Kater rüttelte Lilienwolke und stupste sie immer wieder an, bis diese blinzelnd die Augen öffnete.
„Oh, Lilienwolke!", schnurrte der graue Kater.
„Stacheleis", hauchte sie Kätzin. Eine Wehe überrollte Lilienwolke und sie presste. Endlich erblickte auch das zweite Junge das Licht der Welt. Es war eine Kätzin mit dreifarbigem Fell. Lilienwolke hatte keine Zeit sich ihr Junges näher anzusehen. Die letzten beiden Jungen kamen schneller. Es waren eine Kätzin und ein Kater. „Ich glaube, das waren alle. Dankend nickte Lilienwolke den Heilern zu und rollte sich um ihre Jungen zusammen. Diese Jungen würde sie niemals hergeben und sie immer mit ihrem Leben beschützen, auch wenn sie dabei starb. Stacheleis berührte sie mit der Nase an der Wange und verschwand lautlos.

WarriorCats - Schatten der Vergangenheit // AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt