Die unerwartete Bedrohung

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"Revon!", begrüßte mich die Göttin herzlich. Meine Leibgarde stellte sich hinter mir in einem Halbkreis auf und sank ehrfürchtig auf ein Knie, bevor sie nach einem kurzen "Erhebt euch" Wrods wieder Stellung bezogen.

Für die fünf war es die größte Ehre ihre Göttin persönlich und noch dazu in ihrer menschlichen Gestalt zu sehen. Trotzdem wahrten sie eine ernste Miene, auch wenn das Glitzern in vielen Augen und die geröteten Wangen nicht zu übersehen waren.

Die Kutsche stand einige Meter entfernt am Fuße der Lichtung und der Kutscher versorgte die schwarzen Hengste, die sichtlich erschöpft von unserem rasanten Tempo waren.

"Was ist so dringend, dass ich diese weite Reise auf mich nehmen sollte?", fragte ich, ohne auf ihre Begrüßung einzugehen.

"Revon, etwas ist passiert", sagte Wrod, sichtlich besorgt. "Etwas, das verheerende Folgen für beide Länder haben könnte."

"Das sagtest du bereits in deinem Brief", gab ich nüchtern zurück.

Wrod sah mich mit einem Ausdruck, irgendwo zwischen Mitleid und Bedauern an.

"Revon..."

"Der Grund? Oder war es doch nicht so wichtig?", fragte ich weiterhin starr geradeaus.

Ich wollte dieses Land so schnell wie nur möglich wieder verlassen. Außerdem wusste ich nicht, was so anscheinend unglaublich Schlimmes passieren könnte, denn die Göttin stand hier mehr oder weniger ruhig vor mir und ich sah kein Chaos oder irgendwelche Anzeichen für ein Problem. 

Wahrscheinlich übertrieb die Göttin und es war gar nicht so schlimm, wie es in ihrem Brief geklungen hatte.

"Wie geht es dir?", kam anstatt einer Antwort zurück und der absolut unpassende Themenwechsel ließ mich spöttisch die Augenbrauen hochziehen.

Wie es mir ging? War das ihr Ernst?

Das alles war doch wohl ein schlechter Scherz, erst die Sache an der Grenze und nun Wrods kontextlose Frage zu meinen Gefühlen.

"Wenn ich nur hier bin, damit du mich nach meinen Gefühlen ausfragen kannst, dann verschwende ich hier nicht weiter meine Zeit. Kutscher!"

Ich drehte mich zum Gehen um, doch Wrod ergriff meine Hand. Sie bewegte sich so schnell, dass ich erst Sekunden später wirklich realisiert hatte, dass ihre blasse Hand meine umklammerte und daraufhin zuckte ich unwillkürlich zusammen und entwand mich ihrem Griff rasch. Ihre langen, dünnen Finger blieben trotz allem ausgetreckt nach mir.

"Bitte bleib, es ist wichtig!"

"Dann hör auf, mich über meine Gefühlslage auszufragen.", zischte ich erbost. Ich konnte die ungläubigen Blicke der Fünf förmlich auf meiner Haut spüren.

Eine Göttin so anzufahren?!

Das hätte sich niemand von ihnen auch nur im Traum getraut.

"Auf ein Wort unter vier Augen, eure Majestät". Etwas Bitteres klang in ihrer melodischen Stimme mit, während sie ihre Hand mit der anderen umfasste und sanft massierte, als hätte ich sie plötzlich festgehalten.

Ich gab meiner Leibgarde ein Zeichen und sie zogen sich zurück.

Wir gingen langsam zu der umgestürzten Säule, auf der wir an jenem Tag des Krieges gesessen hatten. Erinnerungen kamen in mir auf, doch ich versuchte, sie weitestgehend zu verdrängen.

Wrod setzte sich, doch ich blieb, wo ich war.

"Fürchtest du, angegriffen zu werden?"

"Was?" Ein wenig perplex sah ich die Göttin an.

Who am I? | Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt