Hilferuf (3/4)

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Eine Woche nach dem Ereignis von den ersten beiden Teilen:
Sicht von Philipp

Ich öffnete das Fenster und ein angenehmer, kühler und sanfter Wind wehte mir entgegen. Frische Frühlingsluft. Ich trat weg von meinem Küchenfenster und drehte mich zum Küchentisch. Das Frühstück war bereit. Ich hatte für zwei gedeckt, denn ich hatte Thomas nach seinem Krankenhausaufenthalt zu mir geholt. Denn in den Angstzuständen die er hatte, konnte er unmöglich alleine wohnen. Ein leises Poltern über mir verriet mir, dass mein Freund gerade aufstand. Ich lief zur Treppe und blickte nach oben. Er kam mir schon entgegen. „Morgen." murmelte er verschlafen. „Guten Morgen. Gut geschlafen?" fragte ich. Thomas nickte. Schweigend liefen wir zum Tisch und setzten uns. Im Augenwinkel beobachtete ich meinen Freund während er sich ein Brötchen nahm. Es tat mir weh, ihn mit Pflaster und Verbänden übersäht zu sehen. Ausserdem sass er nicht wie normalerweise auf dem Stuhl. Mein Freund warf immer wieder einen verängstigten Blick zum Fenster. Innerlich seufzte ich und nahm mir ebenfalls ein Brötchen. „Muss das Fenster offen stehen?" fragte Thomas nach einer Weile. „Etwas frische Luft soll hineinkommen." sagte ich, aber eigentlich war mir klar dass es meinem Freund nur Angst machte. „A- aber..." begann er. „Nein. Ist schon gut. Ich werde es schliessen." unterbrach ich ihn und stand auf. „Danke." murmelte Thomas beschämt während ich das Fenster schloss.

Am Nachmittag:
„Was meinst du? Wollen wir seit langem mal wieder einen Spaziergang machen? Du brauchst dringend frische Luft. Getraust du dich?" fragte ich Thomas, der seit Stunden, oder eher Tagen nur im Wohnzimmer sass und verängstigte Blicke in Richtung Fenster warf. „Ich weiss nicht." antwortete er zögerlich. „Ich bin ja bei dir. Dir kann nichts passieren." lächelte ich sanft. „Aber bitte keine grosse Runde." bat mein Freund als er aufstand. „Wie geht's dir heute eigentlich?" fragte ich. „Ok." murmelte Thomas. Ich wollte nicht weiter darauf eingehen. Mein Freund sagte dies seit Tagen. Dabei ging es ihm nicht „ok". Es ging ihm schlecht. Das konnte ich ihm ansehen. Als wir die Schuhe angezogen hatte, öffnete ich die Haustür mit Seitenblick zu Thomas. Die warme Frühlingssonne leuchtete in meinen Flur. Mein Freund wich hinter mich. Ich trat einen Schritt hinaus und sah mich um. Es war niemand in Sicht. „Hier ist niemand. Komm." lächelte ich Thomas zu. Wir gingen langsam nach draussen. Dabei blieb mein Freund immer ganz dicht bei mir und sah sich ängstlich um. Nach kurzer Zeit überquerten wir die Strasse und liefen in die Richtung des kleinen Parks. „Frische Luft tut so gut." fragte ich gut gelaunt und blickte Thomas an. Er lief unsicher neben mir her und warf hektische Blicke auf die Gegend um uns. „Ja, ich denke, es ist ganz gut." nickte er leise. Er tat mir in der Seele weh. Er war nicht mehr der starke Sanitäter den ich kannte. Er war völlig zurückgezogen, verängstigt und nicht mehr wieder zu erkennen. Plötzlich drückte er sich an meine Seite und ich hörte ihn schneller atmen. „Was ist?" fragte ich alarmiert und blieb stehen. Sanft legte ich meine Hand auf Thomas' Schulter und folgte seinem verängstigten Blick. Ich sah einen Mann mit schwarzen Hosen und schwarzem Mantel. „Er hat Angst vor schwarz gekleideten Menschen." fiel mir ein. Der Mann beachtete uns gar nicht, sondern zückte sein Handy und rief jemanden an. Dabei blieb er stehen. Ich legte meinen Arm um Thomas und sah ihn an. „Der hat uns noch nicht einmal gesehen. Beruhige dich bitte, Kleiner." Mein Freund starrte weiterhin ohne zu blinzeln diesen Mann an und meckerte nicht einmal darüber, dass ich ihn „Kleiner" genannt hatte. Der Mann kam weiter auf uns zu, sprach allerdings aufgebracht in sein Handy. „Bist du zu unfähig für das? Können wir den Termin nicht einfach auf später verlegen? Ich bin auf dem Weg ins Büro, aber dort muss ich zuerst dringend zum Chef und..." Er verschwand mit zügigem Schritt aus unserem Blickfeld. Ich sah zu meinem Freund. Langsam löste er sich aus der Schockstarre, als ich ihm sanft über den Rücken strich. „Ich hätte niemals gedacht, dass du solche Angst vor schwarz gekleideten Personen hast." sagte ich nach einer Weile und seufzte tief. Thomas sah mich unsicher an. „Komm, dort vorne ist eine Bank. Da können wir ums setzen." lächelte ich und führe meinen Freund dort hin. Leicht zitternd liess er sich darauf nieder. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin immer für dich da." sagte ich sanft. Mein Freund wollte etwas erwidern, starrte dann aber ängstlich wieder auf den Weg. Wieder folgte ich seinem Blick. Da lief eine Frau in einem langen, schwarzen Mantel mit ihrem Hund. „Alles ist gut. Die geht nur spazieren." raunte ich Thomas zu. Seine Schockstarre dauerte nicht so lange wie die vorherige. Plötzlich fühlte ich, wie meine Hand welche ich in meiner Jackentasche hatte, ergriffen wurde. Überrascht sah ich zu meinem Arm. Mein Freund hatte seine Hand zu meiner in meine gesteckt. Ich lächelte ihm zu. „Siehst du? Die Frau hat nur Augen für das Häufchen, welches ihre Dogge gerade gemacht hat." sagte ich leise und rutschte näher zu ihm. Thomas grinste leicht. „Dieser Hund macht aber ganz schön  grosse Häufchen für seine Grösse." murmelte er. „Du machst ja Scherze!" freute ich mich. Die Frau kam näher. „Versuche ruhig zu bleiben. Sie wird dir nichts tun, ehrlich." flüsterte ich. Der Hund erblickte uns und kam zu uns. Hechelnd stand er vor uns und wedelte mit dem Schwanz. Die Frau kam zu uns hinüber. Der Griff meines Freundes verstärkte sich, aber im Augenwinkel sah ich, dass er ihr zulächelte. „Entschuldigung. Mein Hund liebt Fremde." sagte die Frau und nahm ihr Tier sanft weg. „Kein Problem. Ihre Dogge ist sehr süss." hörte ich Thomas sagen. Ich versuchte, nicht überrascht auszusehen. „Danke. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag." lächelte die Frau und lief davon. „Ihnen auch." rief ich ihr hinterher. Als sie aus unserem Blickfeld verschwunden war, strahlte ich meinem Freund zu. „Wow! Du hast dir deine Angst gar nicht anmerken lassen, wenn du überhaupt welche hattest." „Ich fühlte mich sicherer, als ich deine Hand fühlte." gestand Thomas. Ich lächelte. Worte brauchte es nicht, um meine Antwort zu verstehen. Mein Freund umarmte mich. Noch mehr lächelnd schlang ich meine Arme um ihn. „Ich bin so unfassbar stolz auf dich. Du hast deine Angst ein Stückweit überwunden." flüsterte ich in sein Ohr. „Mit deiner Hilfe." kam es zurück. „Ich bin dir so unglaublich dankbar, Philipp." Langsam löste ich die Umarmung. Ich werde dir immer helfen. Egal wann, weshalb, wie, wo und was der Grund ist." sagte ich.

Thomas Schmidt und Philipp Stehling StoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt