"Trauer und Wut"

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Das Universum hat eine komische Art von Humor. Jedes Mal wenn ich denke, es wird besser, zeigt es mir, dass es nicht so ist. Das letzte Mal, war es so, als Heather ein neuen Job bekam. Alles wendete sich dem besseren zu. Wir konnten uns zum ersten Mal wirklich Sachen leisten, als mein Vater alles zerstörte. Dieser trank eines Nachts so viel, das er im Koma landete. Es war düster. Es war nicht nur so, dass ich wirklich Trauer empfand, nein die Krankenhausrechnungen häuften sich immer mehr und mehr und ich sah, wie alles erneut zusammen brach. Diesmal ist es anders.

Schlimmer.

Viel schlimmer.

Ihr Tod ist jetzt 2 Wochen her. 2 Wochen, in denen meine Freunde alles getan haben um für mich da zu sein. 2 Wochen, die ich mit Schuld und Trauer verbracht habe. Schuld, weil ich feiern war, während das Leben langsam und qualvoll ihr Körper verließ. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, war die Fast-Vergewaltigung eventuell ein Denkzettel vom Universum, um mir mitzuteilen, das man gefälligst nicht feiern geht, wenn die eigene Schwester im Sterben liegt. Ein Zeichen....dabei wollte ich einfach nur einmal vergessen.

Eigentlich, wenn ich genau darüber nachdenke, habe ich die letzten 2 Wochen nur verschwommen in Erinnerung. Ich weiß noch wie Nayeli oft betete. Ich wusste nicht das sie gläubig ist, aber jedes Mal wenn sie ein Gebet sprach wirkte sie so ausgeglichen und glücklich, also hinterfragte ich nichts. Carla nahm mich ständig in den Armen, das war zwar nicht nötig, ich lies es aber über mich ergehen, weil ich kaum die Kraft besaß, aus dem Bett zu kommen, um meine Zähne zu putzen geschweige denn, mich aus den Armen einer Starken Frau zu befreien.
Ariella wollte mich abfüllen, weil sie der Meinung ist, dass Alkohol immer eine Lösung ist. Carla und Nayeli haben ihr daraufhin das Alkohol aus der Hand gerissen und die restlichen Flaschen im Haus versteckt. Es fühlt sich noch immer unfassbar surreal an.

Unruhig wälze ich mich auf dem Sofa, doch es ist hoffnungslos. Ich finde keine Ruhe. Bestürzt setze ich mich auf. Ich stehe auf und erschrecke, als ich beinah über etwas stolpere. Oder sollte ich eher sagen, über jemand ? Ich schaue runter, auf Carlas schlafendem Körper. Dann gleitet mein Blick zu den anderen. Sie alle, also Nayeli, Carla, Hunter, Ariella, Kaden und sogar Malcom haben es sich auf dem Boden mit Schlafsäcken gemütlich gemacht, weil sie mich nicht allein lassen wollten. Naja. eigentlich hatten sowohl Nayeli, als auch Carla Malcom gezwungen hier zu bleiben. Hunter hielt es für selbstverständlich, Kaden wollte kein "Arsch" sein und der Rest hat sich ergeben.

Ich klettere über sie, während ich sie stumm betrachte. Es hat etwas beruhigendes zu wissen, das man Menschen an seiner Seite hat die einem immer helfen, auch wenn ich weiß, das das nicht für ewig hält. Sie sind zwar für mich da, aber sie führen ihre eigenen Leben.

Ich hab das Gefühl zum ersten mal seit langem wieder Lächeln zu können, bei deren Anblick. Malcom hat sein Arm ausgestreckt, auf dem sich Nayelis Kopf befindet. Hunter nimmt mit sein ganzen Körper gefühlt den ganzen Boden ein. Carla und Ariellas Armen haben sich ineinander verfangen, wie ein frisches Ehepaar, auf Flitterwochen und Kaden...ist nicht da. Ich schaue mich im Wohnzimmer um. Um sicher zu gehen, das ich mich nicht verguckt habe, aber das Ergebnis bleibt gleich. Kadens Schlafsack ist leer. Ich trete in den Flur und von dort aus ins Speisezimmer, als ich ihn auf unserem Balkon entdecke.

Kaden sitzt, wahrscheinlich wegen der Wärme in Kalifornien, welche ein selbst Nachts heimsucht, Oberkörper frei auf eines der Stoffstühle und zieht regelmäßig an ner Zigarette. Nach kurzer Überlegung öffne ich die Balkontür. Er würdigt mich nichtmal eines Blickes, als ich mich neben ihn setze. Sein Blick ist auf seinem Handy geheftet. Ich schiele heimlich zu ihm hinüber und erkenne schnell das er auf Mel's Insta Seite ist. Ich habe mir Urlaub von meinem zweit-Leben genommen. Ich habe gerade einfach nicht die Kraft um mit Kaden zu spielen.

„Was machst du hier ?" fragt er, ohne sein Blick von Bildschirm zu heben. „Das gleiche könnte ich dich auch fragen." erwidere ich stur nach vorne blickend. Die Wahrheit ist, das schlafen gerade wirklich schwer erscheint. Es gibt tausend und ein Sorgen, die mich nicht in frieden lassen. Eines davon ist Heathers Beerdigungsplanung, die andere meine Mutter und die tausend andere Sorgen sind mein Studium und mein Vater, welcher wahrscheinlich noch garnicht weiß das er seine älteste Tochter verloren hat.

Ich fahre mir müde übers Gesicht, als ich spüre wie eines angenehmen Briese mich umhüllt.„Ich mein, meine Schwester ist gestorben, was ist deine Entschuldigung?" frage ich apathisch. Jetzt hebt er endlich sein Blick und schaut mich an. Doch ich schaue noch immer stur nach vorne. Ich trau mich irgendwie nicht in Kadens Augen zu schauen. Jeder Gedanke und jedes einzelne seiner Gefühle, welches er mit ihn preisgibt, ist immer so ausdrucksvoll, das man das Gefühl hat es am ganzen Körper zu spüren. Und das ist das letzte was ich jetzt will.

„Hört es irgendwann auf ? Dieser Schmerz...diese Leere und...dieser Schock, welcher sich tief in dir vergräbt." frag ich gebrochen in die Stille hinein. Weil...weil die Stille unangenehm ist und ich brauche antworten, außerdem hat Kaden Erfahrung mit großen Verlusten gemacht. Er verlor seine Mutter und seine Schwester. Ich habe auch meine Mutter verloren, aber der Unterschied ist, das ich stets wusste das sie nicht tot ist. Also hat ich stets Hoffnung, das sie eines Tages zurückkehrt.

Aber hier handelt es sich um den Tod. Der Tod ist endgültig. Die Hoffnung sinnlos und die Schmerz zig mal intensiver.  Ich höre, wie er seufzt. „Die Trauer." fängt er an. „Wird mit der Zeit ein Teil von dir, welche du lernst zu akzeptieren und wertzuschätzen. Sie wird nicht immer da sein und das ist auch gut so, aber wenn sie da ist, wirst du sie willkommen heißen und dein geliebten Toten aller Ehre erweisen."

Überrascht schaue ich ihn dann doch an. Er ist der Letzte von dem ich sowas tiefgründiges erwartet hätte. Kaden ist diesmal derjenige der stur nach vorne schaut. Ich hasse es, das zu zu geben aber seine Worte bewegen etwas in mir, etwas von dem ich dachte es verloren zu haben. Aber ich kann es einfach nicht benennen. Ich spüre wie meine Augen anfangen zu brennen und blinzle mehrmals um zu verhindern das ich in Tränen ausbreche. „Ich...ich habe das Gefühl nie wieder glücklich zu sein. Als würd ich für immer so fühlen."

„Das versucht dir nur die Leere einzureden, Lilith. Um die brauchst du dir keine Sorgen machen. Die vergeht." ich höre ihn lachend schnaubend. „Nein, es ist nicht die Leere, die alles kaputt macht.." Sein Ton hat etwas unfassbar bitteres an sich. „Wut. Es ist die Wut, die alles zerstören wird und was die angeht, die wirst du noch spüren. Und sie wird alles noch viel mehr erschweren"

Erst als dieses tolle Gefühl in mir verschwindet, wird mir klar was es war. Hoffnung, doch durch Kaden, welche diese erst in mir geweckt hat und sie dann zertrampelt hat, weiß ich, das ich sie eine Zeitlang nicht fühlen werde.

Sondern Leere und Schmerz.
Sehnsucht und Schuldgefühle
Trauer und Wut
Letzteres fürchte ich, wie nichts anderes.

Million dollar loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt