Der Wald

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"Ich weiß nicht ob es deine Gefährten sind, aber ich kann dich zu Menschen führen, die heute Nacht durch den Wald geirrt sind." Ihre Stimme war leise und unsicher.
"Ich werde ewig in deiner Schuld stehen." Tarjo war erleichtert. Er deutete eine kurze Verbeugung an, um seinen Dank zu zeigen.
"Dann komm mit mir." Arie drehte sich nach rechts und verschwand ohne ein Geräusch zu machen im Wald. Tarjo folgte ihr. Sie gingen weit und entfernten sich mehr und mehr vom Bach. Das kleine Irrlicht, Selpi, saß regungsloß auf Marielles Schulter. Seine kleinen weißen Augen waren stets auf Tarjo gerichtet. Es war etwas unheimlich, doch er hatte sich an das kleine Geschöpf gewöhnt. Irgendwie fand er es niedlich. An das Mädchen des Waldes hingegen konnte er sich nicht gewöhnen. Sie sah so schön und erschreckend zugleich aus. Sie war jung, aber das bedeutete nicht, dass sie ungefährlich war. Der Söldner wusste zu wenig über ihr Spezies. Er kannte weder ihre Absichten, noch ihr Verhalten. Er wusste nicht einmal genau als was man sie bezeichnete.
"Bist du eine Nymphe?" fragte er gerade heraus. "Du siehst so menschlich aus, aber ich weiß, dass du kein Mensch bist." Die junge Frau sah scheu über die Schulter.
"Manche nennen mich und mein Volk Nymphen, Dryaden, Waldhexen oder Mädchen des Waldes. Such dir etwas davon aus, es hat keine Bedeutung für mich." Ihre Antwort war kalt.
"Wieso kannst du unsere Sprache?"
"Meine Schwestern haben viel mit den Menschen zu schaffen, deshalb haben sie es mir beigebracht. Und sie hatten recht, nun habe ich auch mit den Menschen zu tun." Ihre Stimme klang verächtlich.
"Bist du hier alleine? Gibt es hier noch mehr... Nymphen?" er musterte ihr rundes Hinterteil. Er würde niemals wieder eine so schöne Frau sehen, davon war er überzeugt.
"Warum möchtest du das wissen." Marielle blieb abrupt stehen. Sie sah unsicher aus. "Warum möchtest du wissen, ob noch mehr vom meinen Schwestern hier sind?" Ihre Reaktion hatte ihn überrascht. Er wollte sie mit seiner Frage nicht beunruhigen, er hatte nur etwas über ihr Volk erfahren wollen.
"Ich..." er strich sicht durchs schwarze Haar. "Ich wollte nur ein wenig mit dir reden. Dich kennenlernen..." Seine Antwort schien ihr nicht zu genügen.
"Warum willst du mich kennenlernen? Was willst du?" erneut stellte sie diese eigenartige Frage, die er bereits beantwortet hatte. Warum? Was wollte sie hören. Sie ging ein paar Schritte zurück, um Distanz aufzubauen.
"Ich bin ein neugieriger Mann... ich wollte wircklich ohne jede Absicht wissen, ob du alleine bist. Nicht weil ich das ausnutzen will, sondern weil es mich wundern würde. Du siehst so jung und unerfahren aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wie du alleine in so einem Wald leben kann. Eine junge Menschenfrau könnte das zumindest nicht." er hasste sich für diese wirren Worte.
"Ich bin kein Mensch." sagte sie schlicht und setzte sich wieder in Bewegung. Aber sie ging nun vorsichtiger und sah immer wieder über die Schulter.

Nach einer Wegstunde führte das Mädchen Tarjo auf eine kleine Lichtung. Sie war aufgeregt und hatte tatsächlich etwas Angst. Arie war noch nicht vielen Menschen begegnet. Der Söldner war der Erste, der sie einschüchterte. Sie befürchtete schlimmes, als sie sagte:"Dort hinten sind sie." sie deutete auf den Rand der Lichtung. Brombeerstäucher verdeckten die Sicht auf das, was sich dahinter verbarg.
"Meth? Kobi?" rief er und sah die Nymphe skeptisch an.
"Sie können dich nicht hören." sagte sie leise.
"Wieso nicht?" Sie schwieg und sah zu Boden. Hier stimmte irgendwas nicht. Sofort rannte Tarjo los. Er durchquerte die Lichtung mit einem Satz und kämpfte sich durch die Sträucher. Dornen zerkratzten seine Arme, aber er spürte es kaum. Das Adrinalin schoss ihm in die Adern. Was hatte diese Waldhexe mit seinen Freunden gemacht? Hatte sie sie irgendwelchen Waldgöttern geopfert oder wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen? Er musste eine Zeit lang suchen, bevor er etwas fand. Etwas schreckliches. Der Boden war bedeckt mit Ranken und Dornen. Die Pflanzen waren um totes Fleisch geschlungen, hatten es erdrückt und verzehrten es. Er konnte Kobis bizarr verrenkten Körper erkennen. Sein Bein war gebrochen und der Knochen ragte ein Stückweit hinaus. Seine Finger waren auf verstörende Art und Weise von Ranken umschlungen. Tarjo riss wutentbrannt die Dornen vom Körper seines Freundes. Er konnte das Gesicht kaum wiedererkennen. Die Augen richteten sich weitaufgerissen zum Himmel. Der Mund war leicht geöffnet, so als hätte er schreien wollen. Er versuchte weiter das Unkraut von dem leblosen Menschen zu zerren, doch es hatte keinen Sinn. Die Dornen waren überall. Neben Kobi lag Lomos. Der Alte Mann sah älter und kränker aus, als jemals zuvor. Kein Wunder, denn auch er wurde von Pflanzen verschlungen. Seine Augen waren glasig und auf seinem Lippen lag der selbe stumme Schrei. Als der Sölder endlich begriffen hatte, dass er nichts mehr für seine Gefährten tun konnte, ging er zurück auf die Lichtung. Das was er in diesem Moment fühlte, war kaum zu beschreiben. Er richtete seinen Blick auf Marielle. Sie hatte sich keinen Zentimeter bewegt. Sie stand nackt und unschuldig vor ihm. Weder Reue, noch Schuld war in ihrem Gesicht zu erkennen. Ihr blick war auf den Boden gerichtet.
"Was hast du mit ihnen gemacht." sagte Tarjo ruhig. Er zwang sich die Kontrolle zu bewahren. Es fiel ihm schwer.
"Sie sind für ihr Schicksal selbst verantwortlich." meinte sie, ebenfalls ruhig, doch der junge Mann spürte, dass die Angst in ihn zu keimen begann.
"Selbst verantwortlich? Du hast sie umgebracht! Ich weiß nicht wie, aber das ist auch egal. Ich möchte wissen warum! Warum hast du Kobi und Lomos umgebracht? Und was hast du Meth angetan? Was? Antworte!" Seine Stimme war mit jedem Wort lauter geworden. Er war fast taub vor Schmerz gewesen, doch jetzt brodelte Wut in ihm. Diese zarte junge Frau hatte Kobi umgebracht. Einen erfahrenen Schwertkämpfer. Wie? Wie zum Teufel?
"Warum verdammt nochmal hast du sie ermordet?" schrie er beinahe und trat einen Schritt auf sie zu.
"Ich..." Mari schluckte, doch sie zog sich nicht zurück. Sie blieb standhaft. Sie wollte nicht nachgeben. Sie wollte keine Anst zweigen, obwohl sie die hatte.
"Menschen sind bösartig. Sie sind habgierig und zerstörrerisch. Menschen haben in diesem Wald nichts zu suchen. Deine Freunde sind für ihr Schicksal selbst verantwortlich. Sie haben es sich selbst zuzuschreiben..." sie brach ab, als Tarjo auf sie losging. In einer Sekunde hatte er die Distanz zwischen ihnen überwunden. Er packte sie am Hals und schob sie Rückwärts. Sein Griff war fest und unangenehm, aber nicht schmerzhaft. Er war größer als sie, um einiges. Seine körperliche Überlegenheit und seine Wut flößten ihr ungeheuerliche Furcht ein. Sie hatte gewusst, dass er wütend sein würde. Doch sie hätte nicht gedacht, dass er sie angreifen würde. Sie kannte das Verhalten der Menschen nicht so gut, wie sie angenommen hatte.
"Wie hast du sie umgebracht? Wie?" sein Griff verstärkte sich. Und er drängte die nackte Nymphe so weit zurück, bis ihr Rücken an einen Baum stieß. Sie keuchte, legte die Hände auf seinen muskulösen Arm und wollte ihn wegdrücken. Tarjo war um einiges stärker und behielt sie dort, wo er sie haben wollte. In seiner Gewalt.
"Warum hast du mich hier her geführt und nicht auch umgebracht? Warum hast du nicht dasselbe mit mir gemacht?... Du bist so schwach... du bist so klein... wie konntest du Kobi töten? Wie hast du das geschafft? Verdammte Scheiße, wie?!" Sie blickte ihn verzweifelt an. Seine wutentbrannten Augen trafen ihre. Sie sah so hilflos aus, doch er empfand kaum Mitleid. Sie war das Monster, nicht er. Sie hatte gemordet und er wollte Rache. Er brauchte Rache. Für ihn würde es wie Gerechtigkeit sein. Er würde selbst für Gerechtigkeit sorgen. Er würde...
"Ich habe deine Freunde nicht umgebracht..." keuchte sie und krallte die Fingernägel in seinen Unterarm. "Ich habe sie nicht einmal gesehen... nicht lebendig..." Tarjo verstand ihre Worte zuerst kaum. Doch als sie abermals nach Luft schnappte, lockerte er seinen Griff. Los ließ er sie jedoch nicht.
"Wer war es dann?" knurrte er.
"Der Wald." sagte sie schnell. "Der Wald ist gefährlich, besonders für die, die ihn nicht kennen." Ihr Körper zitterte vor Anspannung. "Der Wald hat die zwei Männer verschlungen. Der Wald war es. Ich habe sie in der Nacht gefunden, da waren sie bereits tot." Ihre großen grauen Augen bettelten ihn förmlich an. "Der Wald ist gefährlich." wiederholte sie. Tarjo wusste nicht was er denken sollte. Sprach die Nymphe die Wahrheit oder log sie? Zumindest glaubte er, dass sie Kobi niemals mit ihrer eigenen Körperkraft hätte töten können. Lomos vielleicht, aber nicht Kobi. Er ließ seinen Arm sinken. Mari atmete hörbar auf. Er musterte noch einmal ihr Gesicht. Suchte nach dem kleinsten Anzeichen einer Lüge, doch stattdessen fielen ihm ihre Lippen auf. Sie hatte volle rosige Lippen. Sie waren verführerisch geschwungen und luden ihn beinahe ein. Er wollte... er musste... Er war schockiert über sich selbst. Gerade hatte er eine Wut in sich getragen und nun wollte er eine völlig Fremde küssen. Ein junges Ding, was nicht einmal ein Mensch war. Sofort ging er einen Schritt zurück um Abstand zu gewinnen. Sie war wunderschön, ja, aber hinter ihm im Gebüsch lagen seine toten Freunde. Wie konnte er da auf ihre Lippen achten? Wie konnte er da den Drang verspüren sie zu küssen.
"Du glaubst mir also, Tarjo Sorin?" fragte sie unsicher und kraftlos. Er nickte. Der Söldner schämte sich. Seine Freunde waren tot und er... er wollte sie küssen. Er versuchte so dur wie möglich seinen Gefühle zu verbergen. Es war beinahe ein Sturm aus Verlangen, Wut, Schuld und Verwirrung, der in ihm tobte.
"Ja, ich glaube dir."

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