Das Kind

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! Achtung !
Das Kapitel enthält verstörende Inhalte.

Die Nymphe fiel Tarjo um den Hals und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Ihr war es egal, dass er von oben bis unten mit Blut bedeckt war. Sie wollte in seiner Nähe sein. Sie brauchte seine Nähe. Tarjo hatte sie beschützt. Er hatte sie verteidigt und dafür war sie ihm unendlich dankbar.
"Ich hatte solch eine Angst." flüsterte sie und krallte sich fester in sein Hemd. Arie schluchzte noch lange und brauchte viel Zeit um sich zu sammeln. Erneut brach diese emotionale Überforderung wie ein Sturm über ihr ein. Sie konnte damit nicht umgehen. Nein, das konnte sie nicht. Tarjo fuhr ihr sanft über den Rücken und gab ihr so viel Zeit, wie sie brauchte. Als sie sich zurückzog sah er auf und ihre grauen Augen funkelten. Die Baumwesen waren noch immer da. Sie standen regungslos auf der Straße und beobachteten den jungen Mann. Sie waren bestimm 25 Fuß hoch. Im Grunde waren es sich bewegende Bäume. Sie hatten keine Gesichter und wirkten kaum menschlich.
"Wer?... Was ist das?" fragte er Marielle, die sich die Tränen zum hundertsten Mal aus den Augen wischte.
"Das sind meine Freunde. Du würdest sie als Beschützer oder Krieger des Waldes bezeichnen. Sie sind immer da wenn man sie braucht... zumindest fast immer." sie ging auf eines der Wesen zu und berührte es. Ihre zierliche Hand strich über das raue Holz.
"Ich danke euch." sie unterhielt sich eine ganze Weile mit den Baumwesen. Der Söldner verstand kein einziges Wort. Es war eine Sprache, die er nie zuvor gehört hatte. Er stand auf und das Blut tropfte von seinen Kleidern. Er beobachtete Marielle und die Baumwesen eine Zeit lang. Ihr schönes weißes Kleid war ebenfalls mit Blut bedeckt. Poups Blut. Der hässliche Mann lag mit bezarr verdrehten Körperteilen auf der Erde. Ein Oberschenkelknochen war freigelegt und der Arm hing nur noch an einzelnen Hautfetzen am Körper. Neben Poup lag Zutor. Das Einzige, was bei ihm noch normal aussah war sein Schnauzbart. Der Rest war vollkommen verstümmelt. Auf diese Art und Weise zu sterben war bestimmt sehr schmerzhaft, dachte Tarjo. Sein Blick glitt weiter und dort, wo er Jordan vermutet hätte war... nichts. Es gab keine Leiche von dem ekelhaften dürren Jungen. Wo war er? Tarjo hätte schwören können, dass die Baumwesen auch ihn erwischt hatten. Aber nein, es gab keine Leiche. Der Söldner fuhr sich übers Kinn. Jordan musste entkommen sein. Mit Sicherheit war er in den Wald gerannt und war so seinem Schicksal entgangen. Tarjo wusste, dass der Wald für jeden Menschen gefährlich war. Also würde der Junge dort nicht lange überleben. Doch in ihm war ein eigenartiges Verlangen aufgestiegen. Jordan musste sterben und zwar durch seine Hand. Also beschloss er den grässlichen Mann zu suchen und ihn zu bestrafen. Dafür... das er Marielle angefasst hatte. Diese Tatsache macht Tarjo so unendlich wütend und er wusste nicht warum... doch er wusste warum. Weil er Marielle als die seine ansah. Diese Erkenntnis ließ ihn schwer aufatmen. Er wollte die Nymphe für sich haben. Er wollte, dass sie ihm gehört. Dieser Wunsch war viel größer geworden, als aus dem Irrlichterwald zu verschwinden. Marielle soll ihm gehören. Er wollte sie haben, um jeden Preis.

"Wir werden ihn suchen." seine Stimme klang entschlossen. Die Dryade unterbrach ihr Gespräch mit den Baumwesen und sah über die Schulter.
"Wen werden wir suchen?" fragte sie verwirrt. Ein dumpfes Grollen ertönte, als Tarjo zu ihr ging. Das Grollen kam von den Baumwesen. Die Riesen wollten nicht, dass der Söldner in Marielles Nähe kam. Doch als sie etwas in der fremden Sprache sagte, verstummten die Kreaturen. Er stand nun neben der Nymphe und hätte er seinen Arm ausgestreckt, hätter die Baumwesen berühren können. Sie bestanden aus dunklem verschlungenem Holz. Die verschiedensten Ranken und Dronen wuchsen auf ihnen. Er glaubte diese Pflanzen schon Mal irgendwo gesehen zu haben, doch er erinnerte sich nicht daran wo. "
Wen werden wir suchen?" wiederholte sie sanft. Als sie bemerkte, dass er von ihren Freunden sichtlich eingeschüchtert war, fügte sie hinzu:" Sie werden dir nichts tun. Ich habe mit ihnen gesprochen. Also mach dir darüber keine Sorgen. Nun sag mir wen wir suchen werden?" Tarjo sah nocheinmal skeptisch in die Höhe, dannach konzentrierte er sich vollkommen auf Marielle.
"Nach Jordan." sagte er schlicht und sofort weiteten sich ihre grauen Augen. Sie sah verwirrt zu Zutor und Poup.
"Aber... das kann doch nicht..." ihre Stimme zitterte.
"Er ist nicht dort." der Söldner deutete zu den Leichen. "Er ist wahrscheinlich in den Wald geflüchtet. Wir müssen ihn suchen und töten. Ganz einfach. Er wird bald keinen Ärger mehr machen können."
"Ich weiß nicht... der Wald wird sich schon um ihn kümmern." Sie klang nicht ganz so überzeugt.
"Oder die Baumschrate kümmern sich um ihn."
"Nein." Und damit war das Thema zu Ende. Er würde keine Diskussion führen, denn er wusste war er wollte. Er wollte Jordan tot sehen. Letztlich nickte Marielle und stimmte ihm zu. Auch sie wollte absolut sicher sein, dass er starb. Und sie hatte nichts gegen einen etwas schmerzhafteren Tod.
"Du musst mein Wegweiser sein."
"In Ordnung. Danach bringe ich dich zur Straße und unsere Wege trennen sich endlich." Die Situation war abgekühlt und ihre Zuneigung zu Tarjo schwand ebenfalls. Sie würde ihm noch helfen Jordan zu finden und danach... kann endlich Ruhe einkehren.
"Was waren das für Leute?" fragte sie plötzlich, während Tarjo zu Tam ging. Das Pferd stand etwas abseits, sie war nicht weit weggelaufen. Was für ein ruhiges Tier, dachte die Nymphe. Es hat so ein Vertrauen zu seinem Herren. Sie sah ihn zu, wie er Tams weißen Stirnfleck streichelte.
"Diebe? Räuber? Ich weiß nicht." Er nahm die Zügel seiner Stute.
"Die haben die Kutsche gefunden und wollten sicher gehen, dass keiner der Besitzer überlebt hat. Oder sie hatten was ganz anderes vor..."er zuckte mit den Schultern.
"Was wollte dieser... Jordan von mir? Wollte er mich töten, weil ich eine 'Dryade' bin?"
Tarjo hielt inne. Was sollte er darauf antworten? Er wollte es mit der Wahrheit versuchen.
"Er wollte dich vergewaltigtigen. Er wollte dir weh tun und... dich wahrscheinlich danach töten." Er sah sie prüfend an und erwartete eine schockiert Reaktion, doch sie nickte nur. "Wir müssen dort entlang. Die Fußspuren sind eindeutig." er zeigte in eine bestimmte Richtung und setzte sich in Bewegung. Marielle folgte.
So liegen für ein paar Stunden, bis die Dunkelheit einbrach. Sie sprachen kaum miteinander und die Nymphe hatte viel Zeit zum Nachdenken. Jordan hatte sie töten wollen, dass hatte sie sich gedacht. Was 'vergewaltigen' jedoch bedeutete, war ihr schleierhaft. Das Wort hatte sie noch nie gehört, sie wusste also nicht was es bedeutete. Es konnte jedenfalls nichts gutes sein und wahrscheinlich wollte sie es nicht einmal wissen.
Tarjo hatte seine blutige Kleidung gewechselt, baute sein Nachtlage auf und setzte sich wie immer auf die braune Decke. Marielle kam sofort zu ihm. Sie kniete sich hin und hielt ihm die Handgelenke hin. "Ich bin bereit."
Tarjo lächelte. "Nein, ich werde dich nicht fesseln. Wenn du gehen willst, dann kannst du gehen."
"Ich... Ich danke dir." Sagte sie etwas verwirrt. Sie hatte sich auf das Seil eingestellt. Sie war nun erleichtert, aber auch irgendwie...enttäuscht. Sie fühlte sich sicher in Tarjos Nähe und deshalb wäre das Fesseln nicht so schlimm gewesen.
"Du musst mir nicht danken." Er lächelte noch immer. "Gute Nacht." Er legte sich hin. Die Nymphe tat dasselbe. Sie ließ sich auf weichem Moos, nicht weit von Tarjo entfernt, nieder. Irgendwann schlief sie ein.
In der Nacht war es ruhig. Ab und zu erfüllte ein Eulenschrei die Dunkelheit. Erst kurz vor Sonnenaufgang geschah etwas eigenartiges.
Marielle hatte einen leichten Schlaf. Die Natur hatte ihr beigebracht immer wachsam zu sein, auch in der Nacht. Ihre ausgeprägten Ohren vernahmen ein leises Rascheln. Sie sah zu Selpi, das Irrlicht saß neben ihr und wedelte.
"Was ist da?" flüsterte sie zu dem kleinen Irrlicht.
"Keine Gefahr?" Das Licht verneinte blinkend. Kurz war es still, nur die Insekten Summen. Doch plötzlich raschelte es erneut im Gebüsch zu ihrer linken. Die Nymphe könnte bei Nacht genau so gut sehen, wie am Tage. Zielsicher schoss sie mit einer Hand zwischen die Sträucher. Sie bekam ein dünnes sehniges etwas zu fassen. Das Ding begann zu kreischen. Das Geräusch war so schlimm, dass sie ein Schauder durchfuhr. Auch Tarjo vernahm das Schreien und Quiecken. Er fuhr aus dem Schlaf und rief instinktiv:"Marielle, alles in Ordnung?" "Ich bin hier." antwortete sie. Je näher er kam, desto entsetzlicher wurde das Kreischen. Als er sah, was die Nymphe festhielt zog sich alles in ihm zusammen. Es war ein abstoßendes Geschöpf. Es war klein und hatte die Form eines Menschen, doch ansich war es überhaupt nicht menschlich. Im ersten Moment mochte man meinen, es sein ein verhungerndes Kind, doch es hatte verstümmelte Flügel am Rücken. Feder fetzten hingen noch am Fleisch. "Was ist das für ein... Ding." fragte Tarjo entsetzt. Seine Müdigkeit war mit einem Schlag weg. "Ein Kind." eine unbefriedigende Antwort. Das 'Kind' strammpelte wie wild und verstummte nur um Luft zu holen. Dadurch, dass es kaum Kraft hatte war ees einfach festzuhalten. "Wieso sind dort..." "...diese Zeichen auf seinem Körper?" beendete Marielle seinen Satz. "Es ist ein Windkind. Es gibt nicht viele und das hier... sowas habe ich noch nie gesehen. Windkinder sehen anders aus. Aber ich bin mir sicher, dass es eins ist. Die Flügel sind eindeutig." sie hob das Geschöpf etwas an, um es besser zu betrachten. Die rießgen blauen Augen flehten die Nymphe an. Es hatte große Angst. "Siehst du das?" Tarjo kam näher um Marielles Beobachtung zu sehen. "Es ist nicht gefährlich, oder?" Sie lachte kurz und schüttelte den Kopf. "Siehst du das?" wiederholte sie. "Man hat es irgendwo festgekettet. Irgendjemand hat es gefangen genommen." Ein Metalring war an dem dünnen blutigen Ärmchen befestigt. Als dei Dryade sich die Fesseln ansehen wollte fauchte das Kind, entblößte zwei spitze Zähne und wurde noch wilder. "Wer hat dir das nur angetan?" sagte sie sanft. Sie presste das Kind an ihre Brust, bis es sich beruhigt hatte. "Wo ist nur deine Mutter?" ihr tat es in der Seele weh, dass das Geschöpf so sehr litt. Als es endlich aufhörte zu strampeln und nur noch schwer atmete, fragte Tarjo:" Was ist ein Windkind?"

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