Fremde

22 2 4
                                    

"Wie weit ist es noch?" er versuchte mit ihr Schitt zu halten.
"Wir sind gleich da." Marielle führte Tarjo zurück zur Straße. Irgendwann auf dem langen Weg hatte er akzeptiert, dass Meth zurück bleiben musste. Es war nicht leicht gewesen, doch letztlich blieb ihm nichts anderes übrig.
"Und da ist sie." sie streckte ihre graziele Hand aus und deutete auf die ihm bekannte Straße. Hier hat alles angefangen. Und hoffentlich würde es es hier auch enden. Er hatte nicht die geringste Lust auf weitere Waldbewohner zu stoßen. Eine weitere Außenandersetzung wollte vermieden werden.
"Danke, dass du mich zurück geführt hast." er lächelte sie warmherzig an und sie lächelte strahlend zurück. Sie war heute anders. Schon den ganzen Tag hatte sie ein strahlen in den Augen und ein Lächeln auf den Lippen. Naja vielleicht war sie einfach glücklich den Menschen los zu werden. Sie hatte vermutlich genug von ihm. Bald würden sich ihre Wege trennen.
"Weist du wie lange ich der Straße folgen muss, bis ich den Waldrand erreiche?" sie standen sich auf dem Weg gegenüber.
"Es sind vielleicht zwei Tage zu Fuß. Wenn du reitest einer." Stille trat ein. Kurz, aber sehr unangenehm.
"Willst du mich vielleicht ein Stück begleiten?" fragte Tarjo vorsichtig.
"Begleiten?" Marielle sah ihn prüfend an.
"Ja... ein kleines Stück..." vielleicht hätte er sie nicht fragen sollen. Doch unerwartet nickte sie. Er mochte Marielles Gegenwart. Er schätzte ihre Ruhe und er genoss es ihre klugen Augen zu beobachten. Tarjo fasste Tams Zügel und verfiehl in einen gemütlichen Schlendergang. Die Nymphe lief neben ihm. Selpi, der auf Marielles Schulter gesessen hatte, flitze zu der schwarzen Stute und nahm seinen gewöhnten Platz ein. Es blinkte, woraufhin Marielle kicherte.
"Was sagt dein kleiner Freund?" Tarjo wollte endlich verstehen, wie sie mit dem Licht sprechen konnte.
"Es sagt, dass es dein Pferd vermissen wird. Selpi liebt Tiere, besonders die, die es tragen. Es ist ein faules Irrlicht." Tarjo lächelte.
"Wie kannst du es verstehen. Es wollte mir bei unserem ersten Treffen etwas erzählen, doch ich habe es nicht verstanden. Ich kann sein flimmern und zappeln nicht verstehen." er sah sie interessiert an.
"Es ist eigentlich ganz einfach, Irrlichter kommunizieren mit einer Art Zeichensprache. Das Blinken der Irrlichter war die erste Sprache, die ich erlernt habe. Ihr Menschen würdet dazu Muttersprache sagen."
"Aber du kannst doch gar nicht antworten, also auf ihrer Sprache. Aber Selpi versteht dich trotzdem. Wie ist das Möglich?" Das blaue Licht begann zu flimmern.
"Tarjo, Selpi funktioniert anders. Es besteht aus reinem Licht. Es ist eine andere Lebensform und kann andere Dinge. Es versteht alles und jeden. Die Bäume, die Tiere, uns Nymphen und auch euch Menschen. Selpi ist pures Leben und kann mit jedem anderen sprechen. Besser kann ich es nicht erklären." Nun begann Selpi erneut zu zappeln. "Was sagt es?" Es ging unbewusst etwas langsamer.
"Es hält dich für dumm."
"Für dumm?" er war nun etwas gekränkt.
"Ja, für dumm, schwer von Begriff, eingeschränkt, idiotisch..."
"Ja ja, ist schon gut. Ich hab's verstanden. Dafür, dass die Menschensprache nicht deine Muttersprache ist, fallen dir viele Begriffe für 'dumm' ein." neckte er sie zurück.
"Wieso hält es mich für 'dumm'?" fügte er hinzu.
"Selpi mag Menschen nicht besonders. So wie die meisten Waldkreaturen... und so wie die Nymphen." eine weitere Pause entstand. Eine Weile gingen beide schweigen die Straße entlang.
"Weshalb?" fragte der junge Mann endlich. Die Nymphe seufzte schwer. Sie wollte eigentlich nicht darüber sprechen, dennoch tat sie es.
"Die Mensche haben mir und meinem Volk nur Probleme gemacht. Sie haben meiner Heimat geschadet, sie haben meine Schwestern ermordet und sie haben meine Freunde gefoltert. Seit Jahrhunderten herrscht dieser Krieg. Er wird niemals enden. Niemals. Erst, wenn ein Volk ausgelöscht wird, wird der Krieg auf hören. Ihr Menschen seid so geschaffen. Ihr braucht den Krieg und das Leid. Ihr nährt euch an eurer Stärke und an eurem Wachstum. Ihr braucht es, wie der Wolf das Reh oder die Schlange die Maus. Es ist eure Natur und dafür verurteile ich euch nicht..." sie dachte kurz nach.
"Wofür verurteilst du uns dann?" hackte er nach.
"Der Wolf, der das Reh tötet um zu überleben, hat jedes Recht dazu. Doch ein Wolf der tötet, nur weil er Spaß daran hat, der wird von mir verurteilt. Und ihr Menschen seid ein rießiges Rudel solcher Wölfe. Habgierig und verschwenderisch..." Wow. Sie hatte ja irgendwie recht, doch ihre Worte trafen ihn. Tarjo hatte auch nichts anderes erwartet, aber trotzdem fühlte er sich nun gekränkt. Plötzlich blieb er stehen. Marielle war überrascht, denn sie dachte das Thema wäre zu Ende. Für den Söldner nicht.
"Ihr Waldleute seid nicht unschuldig. Ihr habt genauso getötet und gemordet. Unschuldige, Frauen und Kinder. Kobi und Lomos waren unschuldig. Beide wollten mit euch und eurem Wald nichts zu tun haben..." er wurde lauter "und trotzdem wurden sie umgebracht. Einfach so, weil sie gerade am falschen Ort zur falschen Zeit waren. Das ist genauso falsch und verwerflich. Wir wurden angegriffen. Riesige Baumwesen haben uns angegriffen. Ohne jeglichen Grund. Wir haben keine Berdohung dargestellt. Nein! Wir wollten keinem was tun... Wir wollten nur---" seine Stimme brach. Er hatte das mir Kobi und Lomos noch nicht verarbeitet. Ihr Tot war so plötzlich gekommen. Und die Sache mit Meth war ebenfalls schlimm. Doch sein Freund lebte wenigstens noch... wahrscheinlich.
"Tarjo..." Marielle wusste nicht was sie sagen sollte. Sie fühlte sich schlechte. Sie sollte sich nicht so fühlen, denn das was sie gesagt hatte war die Wahrheit gewesen. Weshalb also fühlte sie sich schlecht? Tarjo war ein Mensch, er war genau wie alle anderen Menschen. Alle Menschen waren gleich! Sie sollte sich gut fühlen. Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt. Der junge Mann war ihr Feind. Er hatte sie gefesselt. Er hatte sie gezwungen ihm zu helfen und nun ging sie mit ihm freiwillig spazieren. Sie fühlte sich nun nicht nur schlecht, sondern auch dumm. Sie spürte, wie wenig Erfahrung sie hatte. Sie war naiv und dumm. Sie hatte dem Menschen vertraut, doch Menschen sind nicht vertrauenswürdig. Genau das sind sie nicht.
"Tarjo Sorin..." sie zwang sich ihm direkt in die Augen zu sehen.
"Hier trennen sich unsere Wege." er sah sie ausdruckslos an. Er war noch immer mit seinem Inneren Zorn beschäftigt.
"Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder." fügte sie leise hinzu.

Selpi hatte das Gespräch der beiden nur kurz verfolgt. Er war auf etwas anderes Aufmerksam geworden. Etwas bewegte sich. Es war nicht weit weg. Was es war, wusste das kleine Irrlicht nicht, doch es spürte seine Präsenz. Es spürte, dass es nichts gutes im Schilde hatte. Die winzigen weißen Augen beobachteten die Umgebung. Da! Schon wieder! Die Blätter raschelten und ein Umriss war zu erkennen. Was will es? Wieso ist es hier? Herrin... Herrin.... Selpi zappelte wild. Sie flimmerte und flackerte, doch Marielle war zu sehr mit Tarjo beschäftigt. Normalerweise achtete sie immer auf ihre Umgebung. Dieser Mensch! Er lenkt sie ab. Er lenkt sie zu sehr ab! Nun nahm auch Tam die fremde gestalt wahr. Die Stute bließ durch die Nüstern und stieg unruhig von einem Bein aufs andere. Sie wurde unruhig und dem Söldner fiehl es nicht auf. Normalerweise hatte er ein Auge für das Verhalten seiner Stute. Ich muss was unternehmen. Herrin... Herrin, hier ist etwas. Hier ist etwas böses. Das Irrlich flitzte aus dem Sattel und schwebte vor Marielles Füße. Erneut zappelte es und schrie förmlich in seiner eigenen stummen Sprache. Es wurde nicht beachtet. Jeder Versuch Aufmerksamkeit zu erlangen war zwecklos. Erneut raschelte es und Zweige brachen, doch diesmal viel näher. Und nun spürte es Selpi. Sie spürte es deutlich. Menschen. Eine ganze Gruppe. Und sie waren direkt hinter den nahen Bäumen.

IrrlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt