Angriff ist die beste Verteidigung

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Kevin staunte nicht schlecht, als ich mich in den nächsten Wochen nicht ein einziges Mal über das Training beschwerte. Ich zog durch. Ging jeden Tag joggen und verbrachte mindestens zwei Stunden pro Tag im Fitnessstudio. Steckte all meinen Frust und meine Wut in den Sport und lenkte mich so erfolgreich von jedem Gedanken an Joko ab, obwohl das gar nicht so einfach war.
Mittlerweile hatte ich auch die Sache mit dem sportfreien Montag gestrichen. In den letzten zwei Wochen gönnte ich mir vor den Aufzeichnungen ausgiebige Joggingrunde von der Firma zum Studio. Mit einigen Umwegen kam ich auf immerhin gute 5 km. Das schaffte ich in letzter Zeit ohne danach tot umzufallen und ich konnte nicht verhindern, dass es mich ein wenig stolz machte. Endlich lohnte sich diese ganze Quälerei. Finden Sie nicht auch, dass mein Po straffer aussah? Schauen Sie ruhig genauer hin! Keine Scheu.
Gerade zog ich mir meine Sportklamotten an und wollte mich auf den Weg ins Studio machen. Duschen und alles Weitere wartete dort auf mich. Handy, Schlüssel, Portemonnaie verstaute ich in der Bauchtasche. Ja, ja. Lachen Sie mich ruhig aus! Das war auch schon Thema in der Firma gewesen. Ich legte mir noch meine speziellen Kopfhörer um den Hals und es konnte losgehen.
„Klaas, warte mal eben!", wurde ich aufgehalten, als ich an den vielen Glastüren vorbeiging.
Ich hielt inne und drehte mich um. Jakob kam auf mich zu. Er hielt einige Papiere in der Hand und räusperte sich verlegen.
„Können wir das nicht nachher besprechen? Ich muss los."
„Ich wollte nur kurz..." Er setzte ab, fuhr sich über den etwas zu langen Bart und richtete seine Brille. „Joko kommt am Mittwoch her und ich habe mich gefragt, ob wir vorher mal reden können."
Fragend zog ich eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. Warum wollten plötzlich alle mit mir reden? Finden Sie nicht auch, dass vor ein paar Monaten angebrachter gewesen wäre? In den letzten Wochen hatten wir es erfolgreich geschafft, diesem Thema aus dem Weg zu gehen. Ich hatte es zumindest geschafft. Mein Verhältnis zu Jakob war verständlicherweise merklich abgekühlt und beschränkte sich ausschließlich auf das Berufliche. Jetzt sprach er den Elefanten im Raum an. Nur weil Joko sich angekündigt hatte.
„Na klar. Wann passt es dir am besten? Direkt morgen früh? Oder sollen wir zusammen zu Mittag essen?"
Sehen Sie? Ich konnte sehr erwachsen sein.
„Oder, nein warte, wir treffen uns morgen Abend auf ein Bier bei mir. Oder ist dir Wein lieber? Wir könnten aber auch am Mittwoch Joko zusammen vom Bahnhof abholen."
Sie erkennen Sarkasmus doch, wenn Sie ihn hören, oder?
„Klaas..."
„Vergiss es!", sagte ich wütend und wandte mich ab.
„Können wir nicht vernünftig darüber reden?", rief er mir hinterher.
„Nein!"
Thema beendet.
Ich riss die Tür zum Treppenhaus auf und joggte die Treppen runter. Dabei begegnete ich zwei Mitarbeitern, die mich verdutzt ansahen, weil ich die Kurven nahm, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. War vielleicht gar nicht so falsch gedacht.
Weil ich mich bereits im Büro aufgewärmt hatte, konnte ich gleich loslegen, als ich auf den Gehweg trat und mir die Cappy tiefer ins Gesicht zog. Es empfing mich ein noch etwas kühler Frühlingstag, der den kommenden Sommer ankündigte. Hektischer Verkehr und noch hektischere Menschen begegneten mir auf Berlins Straßen. Ehrlich gesagt, konnte ich es gar nicht erwarten, aus Berlin herauszukommen. Ich hatte das Gefühl erdrückt zu werden von allem. Da beneidete ich Joko fast in seinem Häuschen außerhalb von München. Vielleicht sollte ich darüber nachdenken, mir eine Wohnung weit weg von dem chaotischen Alltag zuzulegen. Ein Glück war Geld nicht mein Problem.
Als ich an einer Ampel warten musste, setzte ich die Kopfhörer auf und blendete Berlins Chaos einfach aus. Meine Lauf-Playlist hatte ich mit wenigen Handgriffen am Start und als ich weiter über die Straße joggte, erreichten mich schon die ersten Zeilen.
Die Musik lenkte mich auch von meinen eigenen wirren Gedanken ab, die dank Jakob nur wieder an die Oberfläche kommen wollten. Bisher hatte ich versucht zu verdrängen, dass Joko in dieser Woche hier sein wollte. Wegen der 15 Minuten, obwohl das nur ein blödes Alibi war, um mir weiter auf die Nerven zu gehen.
Denn, wenn Sie glauben, dass der Trottel seit München einen Gang zurückgeschaltet hatte und mich in Ruhe ließ, lagen sie falsch. Verdammt falsch. Bilder und Nachrichten. Normaler Alltagswahnsinn. Als ob nichts gewesen wäre und trotzdem wollte er mir beharrlich weiter seinen Standpunkt und seine Argumente aufdrängen. Er bombardierte mich mit einer Mischung aus beidem. Als wäre alles ok. Als wäre ich hier der Dumme, der sich anstellte. Als müsste er nur oft genug sagen, dass es ihm nichts bedeutet hatte und wir in der Zeit doch gar nicht zusammen waren. Als ob es das besser machen würde.
Männer! Wie hielten Frauen das nur aus? Wie war es möglich, dass die Menschheit sich weiter fortpflanzte, obwohl manche von uns solche Idioten sein konnten? An den guten Manieren konnte es jedenfalls nicht liegen. Jetzt empfand ich fast so etwas wie Mitleid für jede Frau, mit der ich jemals etwas angefangen und der ich übel mitgespielt hatte. Was keine besonders große Auswahl war, aber auch ich hatte dunkle Momente hinter mir.
Ein leises Pling unterbrach meine Gedanken und den Song, den ich nicht einmal wahrgenommen hatte.
Ich schaute auf meine Uhr, um die Nachricht zu checken.
Komm morgen Abend schon nach Berlin. Soll ich uns einen Tisch im Grill Royal reservieren?
Ich wusste gar nicht, dass Joko schon mittags Alkohol trank. Wie besoffen musste er sein, um zu glauben, dass ich mich mit ihm im Grill Royal zeigen würde? Nicht mehr in diesem Leben.
So ignorierte ich die Nachricht einfach, wie die letzten gefühlt eintausend Nachrichten. Hatte bis jetzt allerdings nicht viel gebracht. Das schien ihn nur noch hartnäckiger werden zu lassen.
Da war auch schon das nächste Pling.
Ich kann auch für uns kochen. Aber hast bestimmt nichts im Kühlschrank.
Genervt verdrehte ich die Augen, weil er damit gar nicht so falsch lag. Der Typ kannte mich leider zu gut.
Ich versuchte mich wieder mehr auf meine Atmung und meinen Laufschritt zu konzentrieren, als die nächste Nachricht den neuen Song von Danger Dan unterbrach. Und wieder. Und wieder. Alter! So langsam machte er mich aggressiv. Vorbei war es mit meiner entspannenden Runde, um ein wenig runterzukommen und mich auf die Sendung vorzubereiten. Nächstes Mal musste ich dran denken den Nicht-Stören Modus einzuschalten. Der Höhepunkt war dann sein eingehender Anruf, den ich in der passenden Stimmung annahm.
„Was zur Hölle willst du?", rief ich so laut, dass eine Passantin neben mir erschrocken zusammen fuhr und fast ihre Taschen fallen ließ. Ich warf ihr einen entschuldigenden Blick zu und lief hastig weiter.
„Klausi! Wieso bist du denn so schlecht drauf?"
„Weil du mich nervst."
„Ich wollte doch nur wissen, ob ich für morgen was einkaufen soll."
„Wenn die in deinem Hotel keinen Zimmerservice haben, solltest du das vielleicht tun", sagte ich und überquerte die nächste Kreuzung.
„Ich gehe doch nicht ins Hotel."
„Hast du es schon so nötig, dass du in der Firma schlafen musst?"
Ich weigerte mich das Offensichtliche anzunehmen. Das konnte er sich gleich abschminken.
„Ich schlaf' bei dir. So wie ich es seit anderthalb Jahren mache."
„Vergiss es!", sagte ich die Worte heute schon zum zweiten Mal.
„Klaas. Das ist doch albern."
„Gute Taktik! Die hilft dir bestimmt."
Leicht schnaufend bog ich in die nächste Straße ein. Ich war es nicht gewohnt, während des Joggens zu sprechen, sodass ich versuchte mir die Luft besser einzuteilen. Sonst wurde ich nicht von so nervigen Gesprächen unterbrochen.
„Stör ich dich gerade bei etwas?"
„Is' dir doch sonst auch egal."
„Du klingst so außer Atem."
„Ich jogge."
„Du joggst?"
„Ja."
„Es ist Montag."
„Danke. Ich hab' selbst einen Kalender."
Ich verdrehte die Augen, schaute nach links und rechts und überquerte die Straße.
„Aber hast du nicht gleich Aufzeichnung?"
„Ich jogge zum Studio."
„Zum Studio?"
„Was wird das hier für ein Verhör? Das geht dich eigentlich gar nichts an."
„Kann es sein, dass du es ein wenig übertreibst mit dem Sport?"
„Auch das geht dich nichts an."
Ich wich einem entgegenkommenden Dackel aus, der wild an seiner Leine zog. Der brauchte dringend mal eine Stunde beim Rütter.
„Klaas, jetzt mal ernsthaft. Mir kommt das etwas viel vor. Das ist so von null auf tausend. Du hast dir doch sonst keine Gedanken um Sport gemacht."
„Kennst mich eben nicht mehr."
Ein Polizeiauto samt eingeschalteter Sirene fuhr an mir vorbei. Typisch Berlin!
„Das lässt sich einfach ändern."
„Von wegen. Du nervst mich schon genug."
„Offensichtlich nicht genug. Also doch essen gehen."
„Joko. Ich weiß, was du vorhast und es bleibt bei nein."
„Welches nein? Ich hab' kein nein gehört. Ich reservier für morgen."
Das durfte doch nicht wahr sein. Wie viele Körbe musste ich ihm noch geben, damit er es verstand?
Jetzt schon viel mehr schnaufend, bog ich in die Straße zum Studio ein. Ich kam an unserem Stammimbiss vorbei, an dem wir sonst immer zusammen vor der Sendung zu Mittag gegessen hatten. Joggte am ersten Eingang zu den Studios vorbei, wo heute eine Politsendung für das Erste aufgezeichnet wurde. Dann konnte ich von Weitem meinen Eingang erkennen. Dass die Zeit mit Joko am Telefon viel schneller rumgegangen war, musste ich ihm nicht unbedingt auf die Nase binden.
„Dann sage ich es dir jetzt: Nein. Kein Essen. Kein gemeinsamer, öffentlicher Auftritt. Ich habe außerdem schon was vor."
„Sag es ab!", kam die dezente Ansage.
Ich joggte durchs Tor, winkte den Sicherheitsleuten zu und betrat das Gelände vom Adlershof.
„Ich werde deinetwegen nicht all meine Pläne über den Haufen werfen. Such dir wen anders für deine Abendplanung!"
„Es geht aber um uns."
„Zu wenig. Zu spät. Jetzt hör auf, mich zu nerven."
Ich legte auf und schob mir auch gleich die Kopfhörer in den Nacken. Erschöpfte holte ich ein paar Mal tief Luft, ehe ich langsam auslief und die Hände auf den Oberschenkeln abstützte. Ich schloss die Augen und atmete kontrolliert ein und aus. Dann streckte ich den Rücken durch und legte den Kopf in den Nacken.
Jetzt brauchte ich ein Date für morgen Abend, damit ich nicht Zuhause sein musste.

Postemotionale WirklichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt