Dieser Abend verfolgte mich in den nächsten Tagen, als Joko schon längst nicht mehr da war.
Er hatte mir seine Gefühle einfach ins Gesicht geschleudert und ich konnte nun zusehen, wie ich damit klar kam. Und damit das mal klar war: Ich kam überhaupt nicht damit klar. Klar? Ich wurde noch verrückt.
Keuchend stand ich im Fitnessstudio vor dem Spiegel und stemmte Gewichte, während meine Gedanken Achterbahn fuhren. Rauf und runter. Links und rechts. Ich kam auf keine gerade Antwort. Ergeben schloss ich die Augen und atmete tief durch.
Heute Abend würde ich Jan wiedersehen und das löste gemischte Gefühle in mir aus. Ja, ich vermisste ihn. Ich vermisste die Leichtigkeit zwischen uns, die zwischen Joko und mir seit langer Zeit schon abhanden gekommen war. Ich musste nicht ständig auf der Hut sein, sondern konnte mich fallen lassen. Wir hatten uns in dieser Woche einige Male geschrieben. Trotzdem wusste ich nicht, was mich heute Abend erwarten würde.
Jan wollte reden. Über was genau? Das hatte ich nicht herausfinden können, obwohl ich das ein oder andere Mal versucht hatte, etwas aus ihm heraus zu bekommen. Beharrlich hatte er auf heute bestanden und irgendwann hatte ich es aufgegeben. Ich musste mich wohl noch ein paar Stunden gedulden.
Mein Blick wanderte zur Uhr, nachdem ich die Hantel beiseite gelegt und mir mit einem Handtuch übers Gesicht gewischt hatte. Jetzt noch rauf aufs Laufband und dann konnte ich nach Hause.
Während ich durch das gut besuchte Studio lief und das nächste freie Laufband ansteuerte, konnte ich mal wieder nicht anders, als an die Unterschiede zu denken. Die Unterschiede zwischen Joko und Jan. Eigentlich waren sie gar nicht so unterschiedlich. Eigentlich waren die beiden sich ähnlicher, als man meinte. Ich hatte da eindeutig einen Typ, aber in mancher Hinsicht waren sie auch wie Tag und Nacht. Es machte diese ganze Situation nicht gerade leichter für mich.
Ich seufzte, als das Laufband sich in Bewegung setzte und ich in einen gemütlichen Laufschritt verfiel. Nach all den Wochen fühlte es sich nicht mehr wie Folter an. Also nicht direkt. Später würde ich es vermutlich wieder mal bereuen.
Aber jetzt mal ganz theoretisch gesprochen. Wirklich nur theoretisch. Wenn Jan und ich zusammen kommen würde... Halt! Stopp! Jetzt hören Sie mir doch erst mal zu, bevor Sie mir dazwischen quatschen. Ich weiß, Joko hier, Joko da, aber jetzt einfach mal ganz theoretisch gesprochen. Wie sollte das funktionieren?
Es würde wie bei Joko und mir auf eine Fernbeziehung hinauslaufen, die noch komplizierter wäre, da Jan in Köln lebte. Seine Kinder dort lebten. Seine Arbeit dort war. Also würden wir uns noch seltener sehen, weil ich keine anderen Gründe hatte in Köln zu sein. Ab und zu nur dort war. Reichte mir das? Ich wäre wieder die meiste Zeit allein. Wollte ich das? Vor zehn Jahren hätte ich dem vielleicht zugestimmt, aber jetzt war ich älter und hatte die Erfahrung gemacht, dass es ein schönes Gefühl war, abends nicht in eine leere Wohnung zu kommen. Jemanden da zu haben, mit dem man seinen Tag und seine Probleme besprechen konnte.
Wieder drängte sich der Montagabend in meine Gedanken.
„Ich liebe dich. Du bist mein Gegenstück."
War ich das? Ich schüttelte den Kopf, um die Stimme aus dem Kopf zu bekommen.
Ich konnte Joko nicht so einfach eine zweite Chance geben, nicht wahr? Es würde doch wieder nur in einer Katastrophe enden. Zerbrochenes Geschirr konnte man nicht reparieren. Kaputt war kaputt. Wir konnten nicht einfach da weiter machen, wo wir vor zwei Jahren aufgehört hatten. Dinge waren gesagt worden, die man nicht einfach vergaß. Ich konnte es zumindest nicht vergessen.
„Ich möchte deiner wert sein. Ich versuche deiner wert zu sein."
Und doch zog es mich immer wieder zu ihm hin. Wenn Joko bemerkt hätte, wie nah dran ich am Montag gewesen war, ihn zu küssen, wäre er höchstwahrscheinlich nicht am nächsten Morgen gefahren.
Vielleicht musste ich auch einfach mal wieder flachgelegt werden. Vielleicht wurde ich aufgrund dieser ganzen sexuellen Spannung einfach schon so wirr im Kopf, dass ich gut von schlecht nicht unterscheiden konnte. Möglich wäre es. Rational war bei dieser Geschichte gar nichts mehr.
Die richtige Chemie mit Jan konnte ich nicht leugnen. Da war immer noch etwas zwischen uns, dass den Raum in Brand stecken konnte. Es war kein sanftes Kribbeln, dass langsam anfing und in einem wohligen Gefühl endete wie bei Joko. Es war pure Hitze. Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen. Ja, ich war auch scharf auf Joko. Das leugnete ich ja gar nicht. Aber es war eben anders. Ich konnte es schlecht in Worte fassen. Erstaunlich, ich weiß.
Jedenfalls, keine Ahnung, wie das mit Jan und mir funktionieren sollte, wenn wir den Schritt gingen. Es würde verdammt kompliziert werden. Außerdem war da noch seine Familie. Hallo? Wie sollte das denn ablaufen? War ich dann Teilzeit Vater? Gerade eine unvorstellbare Sache.
Im Übrigen gab es einen noch viel größeren Grund, der gegen Jan und mich sprach. Falls es so kommen würde, musste Jan und Joko miteinander auskommen. Ich meine, klar. Unser Wohnarrangement würde hinfällig werden, allerdings würden sie sich zwangsläufig wohl häufiger über den Weg laufen und keinen Schimmer, wie das ablaufen würde. Joko schien mir im Moment nicht gerade Herr seiner Sinne zu sein, wenn es um Jan ging. Da hatten wir zumindest eines gemeinsam.
Ich stellte das Laufband einige Stufen höher und versuchte mich auf meine Schritte zu konzentrieren. Links. Rechts. Links. Rechts. Aber auch das schnellere Tempo konnte meine verrückten Gedanken nicht abstellen.
Hatte jemand da draußen einen Tipp für mich? Einen hilfreichen? Irgendjemand?
Scheinbar musste ich das mit mir selbst ausmachen. Ich würde Jan in weniger als drei Stunden gegenüberstehen. Vorfreude, die ich nicht leugnen konnte, erfüllte meinen Bauch.
Ich zog das Tempo noch einmal an. Rannte vor meinen eigenen, wirren Gedanken davon.
Was ich also damit sagen wollte, wenn ich denn überhaupt was sagen wollte. Jan und ich. Das war keine gute Idee. Egal, was mein Körper mir gerade signalisieren wollte. Alles sprach gegen uns, aber was interessierte mich mein Geschwätz von gestern, richtig?
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Postemotionale Wirklichkeit
FanficIch warne Sie vor: Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie beinhaltet Betrug und Lügen. Viel Schmerz und ein paar heftige Streitereien. Joko und ich schenken uns nichts. Unsere Beziehung mag vielleicht zwei Jahre her sein, aber vorbei...