„Herzlich willkommen! Hier sind Joko und Klaas."
Adrenalin schoss durch meinen Körper, als ich aus dem Schatten heraus trat und zusammen mit Joko die LED Fläche betrat. Ich winkte gut gelaunt ins Publikum und sah in viele strahlende Gesichter, als sich auch schon zwei Arme um meine Schultern schlangen. Ich lachte laut und nahm den Kuss entgegen, den Joko mir auf die Wange drückte. Der Applaus wurde noch um einiges lauter. Selbst als das Licht ausging und Steven angekündigt wurde, wollte es nicht ruhiger werden. Die Menge rastete förmlich aus und ich verstand mein eigenes Wort nicht mehr. Steven versuchte noch mit beruhigenden Gesten das Publikum runterzufahren, doch vergeblich.
Ich würde ja vermuten, dass es daran lag, dass Joko mich weiterhin nicht loslassen wollte und seine Arme nur umso fester um mich legte. Er ließ mich nicht mal los, als Steven bei uns ankam und wir uns zur Begrüßung in einer dreier Umarmung wiederfanden.
Es war offiziell. Jetzt auch gut sichtbar für alle.
Sie sind vielleicht verwundert und ich sehe da auch das ein oder andere Fragezeichen in Ihrem Blick. Nun, wie sich herausgestellt hatte, waren wir nicht so allein im Urlaub gewesen, wie wir es gehofft hatten. Es waren Fotos von uns aufgetaucht. Von diesem einen Tag am Strand. Sie wissen schon. Als wir alle zum Strand gegangen waren und Joko sich wenig subtil auf mich gelegt hatte. Ganz zu schweigen von den Küssen.
Die Schattenseite des Promidaseins. Ich meine, wir kannten das Spielchen. Schließlich war es kein Neuland für uns, obwohl wir gar nicht das eigentliche Ziel gewesen waren. Die nächste Schattenseite, wenn man mit jemandem wie Matthias Schweighöffer befreundet war. Die Schnappschüsse von uns waren dabei nur aus Zufall entstanden und der Paparazzi hatte wahrscheinlich sein Glück gar nicht fassen können, als er uns entdeckt hatte. Der berühmte goldene Schnappschuss.
Jedenfalls war es jetzt raus. Vergebliche Liebesmüh, da anwaltlich vorzugehen und die Veröffentlichung zu verhindern. Hatten wir vor Jahren noch versucht, aber jetzt war es sinnlos. Wusste die Öffentlichkeit eben, dass wir wieder zusammen waren. Das brachte mich nicht unbedingt um meinen Schönheitsschlaf.
Also war unser erster öffentlicher Auftritt heute bei Joko und Klaas gegen ProSieben ein Statement. Kein Schriftliches, aber zumindest ein Aussagekräftiges.
Wir hielten uns beide nicht wirklich zurück und zeigten deutlich, dass diese Verbindung zwischen uns nicht nur beruflich war. In einer Umbaupause ließ ich mich sogar auf Jokos Schoß sinken und lehnte meinen Kopf müde an seine Schulter. Entspannt schloss ich die Augen und blendete die Awws und Oohs des Publikums aus. Störte mich nicht. Ließ mich sogar leicht Lächeln und wenn ich das leise Gekicher an meinem Ohr richtig deutete, fand Joko es genauso amüsant.
Die Euphorie des Publikums trug uns durch die erste Sendung. Anders konnte ich es nicht beschreiben. Ich glaube nicht, dass wir jemals besser performt hatten. Kein Spiel verloren und auch das Finalspiel war ein Klacks. Wir waren einfach nicht zu stoppen, obwohl eine Sache am Ende mich doch ein wenig in meiner Euphorie stoppte.
„Ich muss noch eine Sache mit dir besprechen", fing Joko vor dem Finale plötzlich an. „Wenn wir das Finale gleich gewinnen..."
„Seid euch eurer Sache nicht zu sicher", grätschte Steven dazwischen. Doch Joko winkte nur ab.
„Easy. Mach mal keinen Stress. Mit sechs Vorteilen können wir gar nicht verlieren. Also, wenn wir gleich gewinnen, musst du mir in einer Sache vertrauen und zwar würde ich die fünfzehn Minuten gerne für mich beanspruchen."
„Was?"
Empört sah ich ihn an.
„Reg dich nicht auf! Du sollst schon auch dabei sein, aber später erst. Ich würde dich dann dazu holen lassen."
Mein Blick wurde skeptisch angesichts seines aufgeregten Lächelns.
„Was hast du vor?"
„Ja, das kann ich jetzt noch nicht sagen, aber vertrau mir. Es wird gut."
„Werde ich da Spaß dran haben?"
„Absolut. Es wird dir gefallen."
„Ist es illegal?"
Jetzt lachte Joko ausgelassen.
„Vielleicht. Für manche Leute bestimmt. Vertrau mir einfach dieses eine Mal. Ich meine, du hast mir schon öfter vertraut, aber das ist jetzt wichtig. Ich arbeite da schon sehr lange dran."
Damit weckte er nur die Neugier in mir. Das war fatal. Wenn ich eines nicht war, dann geduldig und da die Ausstrahlung der Sendung noch einige Wochen dauern würde, musste ich ja noch ewig auf die Auflösung warten. Passte mir gar nicht. Ihnen?
„Na schön. Einverstanden."
„Mega."
Wir schüttelten uns die Hände, was Stevens Stichwort fürs Finale war.
Welches wir natürlich gewannen. Ich meine, hallo? Wer hatte denn bitte noch Zweifel daran gehabt? Sie da hinten etwa? Frechheit!
Dieser Sieg sorgte allerdings dafür, dass ich die nächsten Wochen ziemlich nervös und angespannt war. Was hatte Joko geplant? Warum durfte ich nicht bei der Planung dabei sein? Die Neugier brachte mich fast um und ich bekam keinen Ton aus Joko heraus. Auch nicht aus den anderen Kacknasen. Niemand wollte mir etwas verraten.
Also wartete ich. Wartete den Rest des Septembers und bis zum Ende des Oktobers.
In der Zwischenzeit waren wir beschäftigt mit... Ach, das interessiert Sie gar nicht? Sie wollen lieber wissen, was Joko da geplant hatte? Ich soll Sie nicht so auf die Folter spannen? Dann wissen Sie mal, wie es mir ging.
Ich verspreche Ihnen, zu dem Teil kommen wir noch, aber vielleicht sollte ich noch eine Sache einschieben. Es wird sich für Sie lohnen. Garantiert.
Schließlich können wir nicht den wichtigsten Teil des Septembers auslassen: meinen Geburtstag. Um genauer zu sein, mein 36. Geburtstag und wenn Sie mich kennen, dann wissen Sie, wie wichtig mir mein Geburtstag ist. Ein Tag, an dem es nur um mich geht. Etwas Besseres konnte es gar nicht geben. Doch meine Erzählung beginnt am Abend davor.
Ich war in Berlin und es war Samstagabend. Musste ich da mehr sagen?
Natürlich lief es darauf hinaus, dass wir in der Firma eine kleine Feier veranstalteten und alle Mitarbeiter waren dazu eingeladen, denn wenn es eines gab, was diese Firma konnte, dann war es feiern.
So saß ich also gerade mit einem Bier in der Hand vor der flackernden Feuerschale im Hinterhof unserer Firma und ließ meinen Blick schweifen. Da es schon spät am Abend war, waren die Meisten nicht mehr ganz so standfest. Musik donnerte im Hintergrund und sorgte dafür, dass hier und da getanzt wurde. Basti und Frank lachten laut, als Max seinen Stuhl verfehlte und stattdessen Katha auf dem Weg nach unten mitriss. Julia versuchte noch Katha festzuhalten, doch zu spät. Benni musste von Patrick zurückgezogen werden, da er ebenfalls gefährlich mit seinem Stuhl schwankte. Alles so wie immer.
Mein Blick wanderte weiter und wurde natürlich von einem ganz speziellen Mann angezogen. Joko stand weiter hinten neben Arne und unterhielt sich mit ihm. Unsere Blicke trafen sich und meine Gegenwehr war quasi nicht existent. Ich versuchte das Grinsen zu unterdrücken, indem ich mir auf die Unterlippe biss und anschließend einen Schluck von meinem Bier nahm. Joko nickte mir zu und grinste dabei ebenfalls albern, hörte aber nicht auf mit Arne zu reden. Als ob er noch alles mitbekam. Wir wissen doch alle, wie schlecht er im Multitasking war.
Unser kleines Geplänkel wurde allerdings von meinem Handy unterbrochen. Ich setzte mich etwas auf und holte es aus meiner Tasche. Jan rief an. Was wollte er um diese Uhrzeit noch? Wir hatten erst vor ein paar Tagen wegen der Spendensache miteinander gesprochen. An einem Samstagabend um kurz vor elf wollte er doch bestimmt nichts Geschäftliches mehr besprechen, oder?
Ich drückte ihn weg und schrieb ihm eine Nachricht.
Gerade schlecht. Ist es dringend? Ich ruf' morgen zurück.
Damit steckte ich das Handy wieder weg und doch fing es einen Augenblick später wieder an zu klingeln. Mit gerunzelter Stirn holte ich es erneut hervor. Wieder rief er an. Schien wirklich dringend zu sein.
„Hey. Was ist los?"
„Klassi!"
Mein Stirnrunzeln vertiefte sich, als ich seine undeutliche Stimme hörte.
„Ja. Alles gut bei dir?"
„Klaasi. Hallo Klaasi!"
„Ja, bin dran. Hörst du mich? Warte mal eben."
Vielleicht lag es nur an der lauten Musik oder den lauten Gesprächen, aber ich verstand Jan kaum. Ich stellte mein Bier ab und stand auf, um mir eine etwas ruhigere Ecke zu suchen.
„So, jetzt ist es etwas ruhiger. Warum rufst du um die Uhrzeit an?"
„Soll ich nicht?"
Jetzt, mit der Stille um mich herum und der Musik weiter weg, hörte ich, was da nicht stimmte. Da war etwas, was mich stutzig gemacht hatte. Jetzt schockierte es mich.
„Sag mal, bist du betrunken?"
Ein Kichern am anderen Ende der Leitung.
„Aber Klassi, ich trink' doch gar keinen Alkohol."
So klang seine etwas undeutliche Aussprache und die lang gezogenen Wörter aber nicht. Das klang eher nach jemandem, der vor zwei Stunden hätte aufhören sollen, zu trinken.
„Scheint sich geändert zu haben. Ist was passiert? Geht's den Kindern gut?"
Wenn Jan zu Alkohol griff, musste etwas gewaltig falsch laufen. Gab es Probleme mit Tatjana? Mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, was ansonsten in seinem Leben gerade los war. Seit er mir von dem ZDF Deal erzählt hatte, waren keine privaten Worte mehr zwischen uns gefallen. Das schlechte Gewissen schob ich aber in diesem Moment beiseite.
„Alles tiptop."
„Wirklich? Geht's dir gut?"
„Mir geht's prima. Natürlich tut es das."
„Von wegen. Alles an diesem Gespräch sagt mir, dass es dir nicht gut geht. Nicht mal ansatzweise."
„Doch. Wirklich prima."
„Okay. Schön. Dann leg' ich wieder auf."
Ich wartete einen Moment.
Stille. Ein leises Schnauben. Schmatzen.
„Klaasi?"
„Ja?"
„Ich vermisse dich."
Hatten Sie damit gerechnet? Ich jedenfalls nicht und es traf mich ziemlich unvorbereitet. Ich lehnte mich an die Außenwand des Gebäudes und schloss die Augen.
„Jan..."
„Ich vermisse dich so sehr, dass ich mich irgendwie betäuben musste."
Gerade konnte ich gar nichts sagen. Gefühle drohten wieder aufzutauchen, die ich versucht hatte, mit aller Macht klein zu halten. Es war nicht fair.
„Ich habe deine Stimme vermisst."
Es wurde nicht besser.
„Ich weiß, ich sollte nicht, aber ich will dich sehen."
Wieder ein leises Schnauben. Rascheln. Ich konnte den Geräuschen nur lauschen, weil ich immer noch wie betäubt war.
„Ich liege hier allein und kann nur an das letzte Mal denken, als wir uns gesehen haben und an deinen Blick. Ich hab' mir das nicht eingebildet, oder? Da war was in deinen Augen, oder?"
Okay. Okay. Moment. Ruhe jetzt. Sssch. Auch Sie da. Einfach mal das Maul halten jetzt. Ich muss nachdenken. Ich muss...
Verzweifelt fasste ich mir an den Kopf und wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Ich konnte ihm jetzt nicht sagen, wie zwiegespalten ich wirklich war. Das würde alles wieder von vorn beginnen lassen. Ich hatte mich entschieden. Punkt. Daran war jetzt nichts mehr zu ändern.
„Tu dir das nicht an."
„Sag es mir. Ich werde es morgen eh wieder vergessen haben."
Ich biss mir verzweifelt auf die Unterlippe, um keinen Ton von mir zu geben. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf.
„Ich kann nicht."
„Sag mir, denkst du jemals darüber nach, wie gut wir zusammen sein könnten? Wir könnten das beste Team sein, das die Welt jemals gesehen hat."
Nein. Nein, das konnten wir nicht. Ich war bereits Teil eines großartigen Teams und da war kein Platz für ein neues Team. Das durfte es einfach nicht sein.
Mit deutlich weichen Knien rutschte ich ein wenig an der Häuserwand herunter und legte den Kopf in den Nacken, starrte in den dunklen Nachthimmel.
„Du weißt, dass das nicht möglich ist."
„Warum nicht?"
„Jan..."
„Ich hatte dich fast, nicht wahr?"
Wieder wurde die Luft aus meinen Lungen gepresst. Ich atmete zittrig ein, nur um in einem Stoß wieder auszuatmen. So hatte ich mir den Abend vor meinem Geburtstag nicht vorgestellt.
„Tu das nicht", bat ich ihn erneut. „Frag mich das nicht. Ich kann dir keine Antwort geben."
Wieder hörte ich ein Rascheln am anderen Ende. Gluckern und schmatzen. Geräusche, die mir einen Stich versetzten. Ich hatte ihn so weit gebracht. Jan war der kontrollierteste Mensch, den ich kannte. Er war niemand, der Dinge dem Zufall überließ oder freiwillig die Kontrolle abgab. Ihn jetzt so zu erleben, machte mich fertig.
„Kannst du bitte aufhören zu trinken?"
„Ich weiß nicht. Ich komme so langsam auf den Geschmack. Außerdem hast du doch bald Geburtstag."
„Dann tu mir den Gefallen und leg das Bier weg oder was auch immer du da trinkst."
„Bier. Hat Olli hier gelassen."
Danke Olli! Nicht.
„Dein Geburtstag, ne? Ich hab' hier noch ein Geschenk für dich. Ich würde dir ja mich zum Geburtstag schenken, aber ich befürchte, das willst du nicht."
Oh Gott, er musste damit aufhören. Er musste wirklich damit aufhören. Ich war kurz davor, alles stehen und liegen zu lassen und zu ihm nach Köln zu fahren. Zum Glück lagen hunderte Kilometer zwischen uns, sonst hätte mich nichts davon abgehalten.
„Bewahr es für mich auf. Wir sehen uns sicher bald."
„Okay."
Dann legte Jan genauso unerwartet auf, wie er angerufen hatte und ich lehnte weiterhin an der Wand, lauschte ungläubig dem Tuten in meinem Ohr.
Was ich in diesem Moment nicht wusste... Dieses Geschenk von dem er sprach, würde ich erst im Dezember persönlich von ihm bekommen.
Nur sehr langsam ließ ich das Handy sinken. War das gerade wirklich passiert? Vielleicht hatte auch ich zu tief ins Glas geschaut.
„Klaas?"
Ich fuhr mir mit der Hand über Mund und Bart und steckte das Handy weg, bevor ich Joko entgegen blickte, der gerade um die Ecke kam. Anscheinend war ich zu lange weg gewesen. Ich hatte während des Gesprächs vollkommen das Zeitgefühl verloren.
„Hier."
Joko kam auf mich zu und schaute mich fragend an.
„Alles okay?"
Nein. Nichts war okay. Ich war überhaupt nicht okay. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte weg. Ich wollte gerade ganz woanders sein.
Doch als ich seine warme Hand in meinem Nacken spürte, beruhigte sich das Chaos in meinen Gedanken. Ich blickte zu ihm auf und begegnete seinem warmen Blick. Sein Daumen strich langsam auf und ab, fuhr dabei durch die kurzen Haare in meinem Nacken.
„Ich glaube, wir können uns bald auf den Heimweg machen. Viel ist mit der Bande nicht mehr anzufangen."
Wir vergessen so viel mehr, als das wir uns an Sachen erinnern. Vielleicht müssen wir das. Vielleicht macht es das erträglicher. Vielleicht konnte ich nur so weiter machen.
Also tat ich das einzig Richtige: Ich zog Joko zu mir herunter und küsste ihn. Küsste ihn mit allem, was ich hatte und ging danach mit ihm nach Hause.
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Postemotionale Wirklichkeit
FanfictionIch warne Sie vor: Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie beinhaltet Betrug und Lügen. Viel Schmerz und ein paar heftige Streitereien. Joko und ich schenken uns nichts. Unsere Beziehung mag vielleicht zwei Jahre her sein, aber vorbei...