Mit Stille kam ich normalerweise gut klar. Ich konnte mich auf die wichtigen Dinge fokussieren und wurde nicht abgelenkt. Stille konnte also gut sein. Produktiv sein. Aber gerade machte sie mir zu schaffen.
Am Abend nach dem Dreh betrat ich die stille Wohnung. Es war ein starker Kontrast zu den letzten Tagen in München. Leider gewöhnte ich mich jedes Mal viel zu schnell daran, dass noch jemand im Haus war, deswegen brauchte ich einen Moment, als ich aus den Schuhen stieg.
Ich bitte Sie. Ersparen Sie mir diesen Blick! Weder brauche ich Ihr Mitleid noch Ihre Süffisanz. Ich werde nicht alles über den Haufen werfen, wegen ein paar verrückter Tage. So impulsiv bin ich nicht. Dafür sollten Sie mich gut genug kennen.
Ich hängte meine Jacke auf, den Haustürschlüssel daneben und schlenderte ins Wohnzimmer. Wie automatisch schaltete ich als Erstes den Fernseher ein. Schluss mit der Stille. Das ertrug ja keiner. War mir gerade egal, was da lief. Hauptsache ein paar Hintergeräusche. Ich zog die Vorhänge zu und schaltete das Licht der großen Stehlampe neben der Couch an. Joko hatte schon vor längerer Zeit alles mit dem Handy gekoppelt und irgendwelchen Schnickschnack installiert, damit ich das Licht und die Heizung und was weiß ich noch von unterwegs steuern konnte. Aber die meiste Zeit nutzte ich es nicht. Nennen Sie mich altmodisch, aber ich brauchte das alles nicht.
Mein Handy zog ich aus der Hosentasche und legte es auf den Couchtisch. Dann ging ich rüber zur Küche. Ich hatte mächtig Kohldampf, aber absolut keine Lust zu kochen. Ein weiterer Nachteil auf der Liste. Joko konnte kochen. Das war praktisch. Machte es mir einfach. Wenn er da war, brauchte ich mir keine Gedanken um das Essen zu machen. Und leider war Fast Food gerade tabu. Dumme Diät. Blöder Sport. Es war hart, aber wer schön sein will und so. Sie wissen schon.
Also wühlte ich mich durch den Küchenschrank und hoffte auf etwas Schnelles und Unkompliziertes zu stoßen. In der hintersten Ecken fand ich dann tatsächlich noch eine Dose Ravioli. Meine Rettung. Ich fummelte einige Momente mit dem Dosenöffner herum, ehe ich den Inhalt in einen Topf schüttete und den Herd anmachte.
Relativ unmotiviert rührte ich mit einem Löffel im Topf herum. Wie oft mir etwas angebrannt war, konnte ich schon nicht mehr zählen. Kochen gehörte einfach nicht zu meinen Stärken. Bisher war ich gut klargekommen, aber mit dem schlechten Essen sollte jetzt Schluss sein. Ich musste mir also was überlegen.
Wofür wohnte ich eigentlich in Berlin? Hier gab es an jeder Ecke kleine Hipster Läden mit den neusten Essenstrends aus aller Welt. Am Geld mangelte es mir nun wirklich nicht. Vielleicht sollte ich mir also überlegen, demnächst einfach unterwegs irgendwas mitzunehmen. Warum mühte ich mich eigentlich mit kochen ab, wenn es so leicht sein konnte?
Plötzlich meldete sich mein Handy. Ich runzelte die Stirn und legte den Löffel beiseite. Was war denn jetzt noch? Hatte Schmitti das Material schon zu Gesicht bekommen? Dafür hatte ich jetzt echt keine Nerven mehr.
Ich schnappte mir das Handy vom Tisch und tippte auf den Bildschirm.
Klausi? Bist du schon Zuhause vom Dreh?
Mein Herz stolperte kurz. Verdammter Verräter und von Ihnen will ich auch nichts hören! Keinen Ton! Keinen dummen Spruch! Einfach mal das Maul halten!
Das hier war doch lächerlich. Es war nur Joko. Nur Joko. Er konnte mich nicht sehen. Ich konnte ihn nicht sehen. Also kein Grund in Panik zu verfallen. Trotzdem atmete ich tief ein und nahm mir einen Moment, bis ich auf die Nachricht antwortete.
Bin gerade rein gekommen. Warum? Brauchst du was?
Auf die Antwort musste ich keine Sekunde warten.
Kann ich mich nicht einfach mal so melden?
Oh, klasse. Das war genau das, was ich jetzt nicht gebrauchen konnte.
Machst du doch sonst auch nicht.
Sei nicht so grummelig! Hat sich heute keiner um dich gekümmert?
Jetzt wirst du albern. Es muss sich niemand um mich kümmern.
Doch. Manchmal muss man das. Hast du was gegessen?
Ich mach mir gerade was.
Jetzt war es schon kein Stolpern mehr. Es wurde doppelt so groß und wollte mir aus der Brust springen. Direkt in seine Arme. Dieses verfluchte Herz! Deswegen war es auch keine Überraschung, dass ich das Handy fast fallen ließ, als es laut zum Leben erwachte.
Ein Anruf.
Joko rief an.
Ich schluckte hart. Konnte ich es jetzt bringen, einfach nicht dran zu gehen? Wahrscheinlich nicht. Würde komisch rüberkommen.
„Hast du Langeweile?", begrüßte ich ihn daher etwas schroff und biss mir gleichzeitig auf die Unterlippe.
„Du brauchst wirklich dringend was zu essen. Jetzt weiß ich, was Schmitti meint."
„Fang du jetzt nicht auch noch an! Dann leg ich gleich wieder auf."
„Ist ja gut. Was gibt's denn Schönes bei dir?"
„Wenn du es so genau wissen willst, es gibt Ravioli. Aus der Dose."
„Mhm, Sterneküche also. Beeindruckend."
„Da wirste glatt neidisch, wah?"
„Absolut", sagte Joko lachend und die Gänsehaut, die sich gerade auf meinem Körper breit machte, bilden Sie sich nur ein.
Ich räusperte mich und ließ mich auf die Couch sinken. Den Fernseher stellte ich etwas leise. Da lief gerade irgendein schlauer Beitrag von Galileo über die Modeindustrie.
„Was gab's bei dir?"
„Ich hab mir eine schnelle Pasta mit Tomaten und Kräutern aus dem Garten gemacht. Das Basilikum kommt echt gut. Das Kräuterbeet war eine gute Entscheidung."
Fuck. Die Sehnsucht war wieder da. Ich wollte jetzt gerade wirklich unbedingt da sein. Bei ihm sein. Nicht hier allein in der leeren Wohnung hocken und Dosenfraß in mich reinstopfen. Es war nicht fair. Aber man erntet, was man säht. Fragen Sie bitte nicht nach Details!
„Klingt lecker. Dann hat sich der Anbau ja schon gelohnt."
Ich lehnte mich zurück und starrte an die Decke.
„Gott segne deinen grünen Daumen!"
„Das würdest du auch ohne mich hinkriegen."
„Oh bitte! Erinnerst du dich an den armen, kleinen Kaktus in unserer Wohnung? Der würde das wahrscheinlich ein kleines Bisschen anders sehen."
„Einen Kaktus eingehen zu lassen, ist auch eine Leistung", sagte ich schmunzelnd und nahm die Erinnerung dankbar an.
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Postemotionale Wirklichkeit
Hayran KurguIch warne Sie vor: Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie beinhaltet Betrug und Lügen. Viel Schmerz und ein paar heftige Streitereien. Joko und ich schenken uns nichts. Unsere Beziehung mag vielleicht zwei Jahre her sein, aber vorbei...