Teil 31: Das Krankenhaus

73 5 0
                                    

"Hast du das verstanden?" frage ich etwas dringlicher, worauf er sachte nickt.

Dann zieht er seine Hände aus meinen.
Haben meine Worte gewirkt?
Gerade als ich denke, dass er sich von mir abwenden will und ich wohl doch nicht das Richtige zu ihm gesagt habe, kommt er einen Schritt näher auf mich zu, legt beide Hände in meinen Nacken, zieht mich auf meine Zehenspitzen und küsst mich.

Um Himmels Willen, so hat Liam mich noch nie geküsst. Die Leidenschaft und Sehnsucht, die er in seinen Kuss steckt hauen mich fast um. So als würde mich vor Schmerz fast jede Faser seines Körpers anschreien:
Mirabella, ich brauche dich.
Meine Nackenhaare stellen sich auf und meine Beine werden schwach. Hilflos will ich mich an ihn klammern, doch genauso schnell wie der Kuss begonnen hat, ist er auch schon wieder zu Ende.

"Gott, ich stehe total darauf, wenn du mir solche Ansagen machst", haucht er und lässt mich wieder los.

Verdutzt berühre ich meine kribbelnden Lippen und bin nicht in der Lage mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
Heiliger Strohsack!
So hat mich tatsächlich noch nie in meinem Leben jemand geküsst. Das überhaupt jemand in der Lage ist mich durch einen Kuss in solch einen Blackout zu versetzen...

"Kommst du?" ruft er und als ich mich in seine Richtung drehe, sehe ich, dass er schon einige Schritte zum Haupteingang gelaufen ist.

"J-ja", rufe ich zurück und stolpere ihm benommen hinterher.

Die großen weißen Lettern stechen mir unangenehm ins Auge, als ich mit Liam kurz davor bin die Schwelle ins Innere zu übertreten. Obwohl es schon so lange her ist, ruft mir dieses graue unscheinbare Gebäude jede einzelne schlimme Erinnerung sofort wieder in den Kopf. Tara's Tränen, den verständnislosen Gesichtsausdruck meiner Nichte, die hilflosen Ärzte und mein Herz, dass bleischwer zu Boden viel. Die Schreie, die Schluchzer, die drückende Stille, die uns alle zu vernichten drohte. Ich hatte mir damals geschworen nie wieder einen Fuß in dieses Gebäude zu setzen und jetzt bin ich doch wieder schneller hier, als ich geglaubt hätte.
Mein Herz schlägt immer schneller, sodass ein schmerzhaftes Pochen in meinem Kopf entsteht. Krampfhaft versuche ich all die Gefühle zurück zu drängen und setze mutig einen Fuß vor den anderen. Für Liam und seine Familie.
Der Geruch von Desinfektionsmitteln und penetrant riechendem Reinigungsmittel gemischt mit der Duftnote von alten Gummiböden stößt mir sofort in die Nase, als wir durch die große Schiebetür gehen. Nichts hier drin, wirklich nichts hier drin hat sich in den letzten Jahren verändert. Sogar die ältere Rezeptionsdame ist die Gleiche.
Liam prescht vor um bei ihr gleich nach seinen Eltern zu fragen und wo sich sein Bruder befinden könnte. Die alte Dame antwortet ihm freundlich und schickt uns in den ersten Stock.
Hastig erklimmen wir die metallenen Stufen und stoßen keine Sekunde später auf eine Gruppe von Klappstühlen auf denen sein Bruder mit seiner Freundin kauert. Sachte streichelt sie ihm über den Kopf, während er der Länge nach über mehrere Stühle liegt und seinen Kopf in ihrem Schoß bettet.

"Korben", ruft Liam laut und erreicht damit, dass sein Bruder aufsieht und sofort aufspringt, als er ihn sieht.

Eilig laufen sie aufeinander zu und drücken sich fest aneinander, als wollten sie sich die Luft aus den Lungen pressen. Dann verharren sie eine Weile so ohne ein weiteres Wort zu wechseln.
Typisch Männer, schießt es mir dabei durch den Kopf. Eine innige Umarmung zählt bei ihnen wohl immer noch mehr als Tausend von Herzen kommende Wörter.
Etwas unbeholfen setze ich mich neben Luzi. Ihre Augen sind rot und aufgequollen und versetzen mir einen Stich in meine Magengegend. Da mir bewusst ist, dass ich nur das Falsche sagen kann, greife ich einfach nur nach ihrer Hand, die verloren in ihrem Schoß liegt und halte sie fest. Sie sieht mich dankbar an und schließt dann ihre Augen aus denen weitere Tränen kullern. Sie sieht fast noch schlimmer aus als Korben.

Bitter Vanilla LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt