Schritte.
"Alles gut?"
Ich schrecke etwas hoch. "Wa… Was?"
"Geht's dir gut?", fragt mich der entgeisterte Blick noch einmal mit dem gleichen besorgten Tonfall.
Hatte ich mich also doch nicht weit genug weg gesetzt, um all dem hier zu entgehen. Oder vielleicht war genau das die Absicht? Vielleicht wollte ich gerade, dass Menschen wie dieser hier vorbeikommen und auf mich aufmerksam werden. Setze ich möglicherweise diese triste Miene hier nur auf, dass der entgeisterte Blick für mich da bleibt?
"Ja alles gut", sage ich tonlos und ohne meine Mimik auch nur ein bisschen zu verändern. Den entgeisterten Blick halte ich nur kurz aus. Dann schaue ich wieder daran vorbei ins Nichts.
"Wirklich?"
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. "Passt schon..."
Noch eine Weile verharrt der entgeisterte Blick in seiner Schockstarre, dann sagt er "okay" und setzt sich langsam und verunsichert wieder in Bewegung.Ruhe. Nur Kinderlachen im Hintergrund. Hat keinen Effekt auf mich. Die Stimmen kriechen wieder aus ihrem Versteck und reden von allen Seiten auf mich ein. Eigentlich waren sie nicht weg, als der entgeisterte Blick vorbei kam, ich hatte nur kurz den Impuls, sie hinter den Vorhang zu schicken. Doch hat die Kraft dazu gefehlt, deswegen wussten sie kurz nicht, was sie machen sollten. Jetzt können sie wieder ungestört loslegen, mich zu stören.
Mehrere Schritte. Stimmen.
Eine Horde Kinder läuft vorbei, mitten in ihr eine Mutter mit Kind auf dem Arm. Als sie mich sieht, merke ich an ihrem Gesicht, dass ihr beschäftigter Gang hier gerade von etwas Unerwartetem unterbrochen wird. Ich will mich wieder von ihr weg drehen. "Alles gut bei dir?"
Was erwartet sie? Dass ich "nein" sage und in dieser Situation meine psychischen Störungen auf den Tisch packe?
"Ja..." Ich schaue sie nicht an.
"Sicher?"
"Ja"
Ohne sie zu sehen, sehe ich, wie sie stehen geblieben ist und nicht gehen will, bis sie eine Antwort hat. Allerdings weiß sie nicht, was sie sagen soll. Pause. Die Kinder sind alle vorbei gezogen und werden wieder zum Hintergrundgeräusch. Nur das Kind auf dem Arm der Mutter macht dieser noch Unannehmlichkeiten. "Schon okay" sage ich, und zwinge mich zu einem kurzen Lächeln sowie dazu, sie anzuschauen.Ruhe. "You waited, smiling, for this" singe ich kaum hörbar vor mich hin. "Words only get through if they're sharp". Keine Ahnung, was das bedeutet. Aber ich singe die gleichen Zeilen immer wieder. Die Stimmen freut es heute. Sie stürzen sich darauf wie ein Rudel Wölfe auf ein totes Reh.
Schritte. ich sehe eine Freundin an mir vorbeilaufen, die mich erst nicht sieht, weil ich um die Ecke sitze. Dann höre ich meinen Namen von ihr. "Brauchst du Ruhe?" Sie ist stehen geblieben.
"Weiß ich nicht", bringe ich als die ehrlichste Antwort des Tages heraus.
"Brauchst du Gesellschaft?"
"Weiß ich nicht."
Pause.
"Weißt du irgendwas?
"Nein gerade nicht."
Sie setzt sich etwas Abseits auf den Fußboden und kratzt kurz mit der Hand auf ihm herum. "Hier haben sie Farbe verschüttet". Ich sage nichts. Ihrem Blick halte ich nur äußerst kurz stand. Vielleicht habe ich auch noch das Denken eines Kindes in mir, dass, wenn ich sie nicht sehe, sie mich auch nicht sieht. Oder aber es ist so, dass ich die Sorge und Ratlosigkeit in ihren Augen nicht ertragen kann.
"Words only get through if they're sharp".
Die Stimmen lieben es.
Zwei Minuten vergehen. "Ich muss mal wieder nach den Kindern schauen", sagt sie schließlich. "Okay". Sie steht auf, ich merke, wie sie noch etwas sagen will, aber nicht weiß, was. Also schaut sie mich nur an und geht dann.
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Innere Kinder weinen oft - Große Jungen lachen noch
Short Story- Und Mädchen auch! Kurprosa-Texte, an denen manchmal ein Körnchen Wahrheit zu finden ist, manchmal aber auch ein ganzer Reissack. Soll heißen, dass diese Geschichten mir entweder wirklich passiert sind, oder nur von einem winzigen Gedanken inspirie...