Nichts - müde Gedanken

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Es ist spät am Abend. Seit einigen Stunden sitze ich jetzt schon hier vor meinem Laptop. Warum hatte ich mich an ihn gesetzt? Ich wollte Schulaufgaben machen. Was mache ich? Ich schaue sinnlos Videos. Ich will das nicht mal. Ich hasse, was ich sehe. Ich hasse YouTube. Ich hasse mich dafür, dass ich hier etwas suche, von dem ich weiß, es hier garantiert nie finden zu können. Doch irgendwie muss ich mich ja von dem ablenken, was in meinem Kopf vor sich geht, auch wenn mir klar ist, dass mich Ablenkung keinen Schritt weiter bringt.
Es klappt ja nicht mal. Meine Augen starren den Bildschirm an, als wäre er ein leerer Karton und ich ein dementer Opa, der sich sicher ist, in dieser Kiste etwas verloren zu haben, aber alle dreißig Sekunden vergisst was, weshalb es in seinem Kopf nur so rattert und seine Augen beim Anblick des leeren Kartons in eine Starre verfallen. Video um Video passiert meine zwei wichtigsten Sinnesorgane, ohne dass es von ihnen wahrgenommen wird, während sich meine Gedanken im Kreis drehen. Da ist diese große Leere in meinem Kopf, um die sich alles dreht. Wie ein schwarzes Loch, um das ganze Sonnensysteme kreisen. Wo ist das, was diese Leere füllt? Hier auf diesem Screen nicht, so viel ist sicher. Es ist eine Sehnsucht, die tief aus meinem Innern kommt. Nur was will ich? Ein leckeres kühles Getränk, das mich belebt? Oder eine warme Mahlzeit, die mich satt macht? Eine Tüte Chips mit dieser richtigen Mischung an Kohlenhydraten und Fetten, die Glückshormone ausschüttet? Wohl kaum, das ist nicht von Dauer. Will ich vielleicht gerade hier etwas finden, das mich zu Lachen bringt? Und was ist eigentlich das Gegenteil von Lachen? Denn genau das macht mein Gesicht, seitdem ich hier sitze. Die Lippen aufeinander klebend hat sich mein Mund zu einem schmalen müden Strich verzogen.

Ich reiße mir die Kopfhörer von den Ohren.

Ist das, was ich suche, vielleicht einfach nur ein bisschen Schlaf? Sicherlich, das würde jetzt gut tun. Aber ich habe mich doch hier hin gesetzt, um produktiv zu sein, etwas zu schaffen. Eigentlich möchte ich so engagiert sein wie meine Vorbilder, und dennoch sitze ich jetzt seit drei Stunden an diesem Schreibtisch und mache nichts.

Nichts. Ich kann die Einsamkeit förmlich hören. Da ist nichts außer dem Lüftungsgebläse meines Laptops. Stille kann so deprimierend klingen.

So lange habe ich die Einsamkeit bevorzugt, dass ich nicht gemerkt habe, was sie kaputt gemacht hat. Jetzt, wo ich sie vermeiden will, fällt mir auf, dass ich für sie geboren bin.

Was mache ich falsch? Warum kriege ich es nicht hin, eine gute Freundschaft aufzubauen, sodass ich mich jetzt zumindest nicht einsam fühlen muss? Oder noch besser, sodass jetzt jemand für mich da wäre.

Wenn da nur jemand wäre.
Wenn da nur jemand zum Anlehnen wäre, zum gemeinsamen Schweigen. Der mich in meiner Situation versteht, bei dem ich jetzt vielleicht auch einfach so weinen könnte, ohne Grund. Mit dem ich jederzeit teilen könnte, was mir auf dem Herzen liegt. Und der auch sein Leben mit mir teilen würde.

Aber dafür bin ich zu blöd. Selbst wenn ich mich für andere interessiere, kriege ich es doch nicht hin, dass sie sich auch für mich interessieren. Schau dir an, was ich gerade mache - wahrscheinlich liegt das an diesem übermäßigem Selbstmitleid.

Ha, selbst wenn - diese tiefe Sehnsucht in mir würde das auch nicht stillen.
Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass ich viel öfters mal eine Hand auf der Schulter brauche, aber trotzdem weiß ich nicht, ob es das ist, was mich jetzt erfüllen würde. Denn wenn ich bemerke, wie ich Menschen meide, zweifle ich daran, ob ich wirklich etwas mit ihnen zu tun haben will. Das ist paradox.
Es ist äußerst komisch, wie ich allein sein will, aber nicht einsam. Im Zimmer neben mir ist meine ganze Familie, ich müsste nur zwei Türen öffnen und vorbei wäre es mit dem Alleinsein. Aber das will ich nicht. Es gibt so vieles, bei dem ich mir sicher bin, dass ich es nicht will. Aber fällt mir auch mal etwas ein, das ich will?
Nein, denke ich, nichts.

Note 1:
Jetzt in Coronazeiten ist das die Möglichkeit, noch stärker als sonst zu erleben, wie sich Einsamkeit anfühlt. Ich frage mich, wie viele alte Menschen wohl an ihr statt an dem Virus sterben werden. Können wir vielleicht etwas dagegen tun?

Note 2:
Irgendwie komisch, diese unstrukturierten Gedanken in einer Geschichte ein bisschen zu ordnen. Das spiegelt nicht ganz das Chaos wieder, das sich in meinem Kopf wirklich abspielt. Aber wahrscheinlich kamen trotzdem all die sich widersprechenden Gedanken rüber, die viel zu sehr von meinen Emotionen beeinflusst werden. Das ist aber auch etwas sehr Irrationales.

Note 3:
Eines stimmt nicht ganz: Nichts ist nicht die Antwort.

Innere Kinder weinen oft - Große Jungen lachen nochWo Geschichten leben. Entdecke jetzt