Wow – ist das Erste, das mir in den Sinn kommt, als ich vor dem (W)Right Place stehe. Mein Blick gleitet an der wunderschönen Fassade nach oben, an der sich die Lichter brechen und alles einfach perfekt erscheinen lassen.
Das Zweite, das mir in den Sinn kommt, ist, dass ich jetzt schon genervt davon bin, warten zu müssen, um mich drinnen umschauen zu können. Im MOON muss ich nie warten, nie anstehen und vor allem bin ich dort nie allein. Allein. Da sind wir wieder bei diesem allumfassenden Thema, das mich verfolgt. Natürlich tummelt sich um mich herum eine Vielzahl an Menschen, die ebenso ins Place wollen wie ich, doch bin ich im Inneren meines Selbst allein. Samuel ist nicht hier und Ty erst recht nicht. Stopp, Alena! Heute nicht. Dieser eine Abend soll nur mir allein gehören. Nur mir, und ich will für ein paar Stunden einmal nicht an die ganze Scheiße denken, die in Brooklyn auf mich wartet. Tief durchatmend gehe ich mit der Schlange mit, die sich ein paar Schritte vorwärtsbewegt. Meine Hände vergrabe ich tief in den Taschen meiner Jeansjacke, und ich lächle automatisch, als ich das kühle Metall des Anhängers fühle und schließe meine Hand fester darum. Es geht weiter, doch mein Vordermann scheint das nicht zu bemerken und ich tippe ihm auf die Schulter. »Hey, Augen nach vorn, Casanova«, sage ich von hinten, da er anscheinend seine Finger nicht von seiner weiblichen Begleitung lassen kann. Mit einem genervten Blick über die Schulter, den er mir schenkt, schafft er es dann aber doch und geht weiter.
Na geht doch.
Ich schiebe meine Hand wieder zurück in die Jackentasche und erstarre augenblicklich zu Eis. Fuck, nein. Das kann nicht sein! Sofort gehe ich zu Boden, rutsche auf den Knien hin und her und suche alles in meiner näheren Umgebung nach meinem Anhänger ab. Er muss mir, als ich den Typen angetippt habe, aus der Tasche gerutscht sein.
»Fuck«, fluche ich laut vor mich hin und ignoriere dabei die seltsamen Blicke der anderen.
»Suchst du den hier?«, fragt mich plötzlich eine fremde Stimme dicht vor mir. Ich hebe meinen Kopf und ich starre in ein markantes Gesicht. Helle braune Augen mustern mich abwartend und ich brauche einen Moment, um zu verstehen, was der Fremde von mir möchte.
Mein Blick schweift von seinem Gesicht zu seiner Hand, die er mir auffordernd entgegenstreckt, und ich atme erleichtert aus. Denn da liegt er. In seiner Hand. Mein Anhänger. Schnell entreiße ich ihm das kleine Teil und richte mich auf. Meine Jeans klopfe ich notdürftig ab. Zum Glück trage ich nie eins dieser kurzen Kleidchen wie die anderen Püppchen hier. Kurz gleitet mein Blick noch einmal über den Fremden vor mir. Mit seinen blonden Haaren, die seitlich kürzer und oben länger sind, und den Tattoos, die man am Hals erkennen kann, ist er wirklich attraktiv. Heiß.
Sein Blick, mit dem er mich mustert, ist nicht weniger intensiv als meiner. Er hat sich ebenso aufgerichtet, und erst jetzt erkenne ich, wie groß er ist. Groß und verletzt. Sein Arm steckt in einer Art Stütze.
Warum er die wohl trägt?
Bevor ich mich aber länger in diesen Gedanken verlieren kann, suche ich erneut seine Augen. Dieser Blick lässt bestimmt einige Frauenherzen höherschlagen, da bin ich mir mehr als sicher. Sogar mein eigenes beginnt etwas kräftiger gegen meine Brust zu schlagen. Bevor ich allerdings in diesem Blickduell steckenbleibe, wende ich mich wortlos von ihm ab. Ich muss hier weg, von ihm und dieser Situation. Sie erinnert mich viel zu sehr an eine, die ich beinahe genauso mit Ty erlebt habe. Die Schlange hat sich mittlerweile weiterbewegt und ich eile zum Eingang. Die Türsteher lassen mich nach einem kurzen, kritischen Blick durch und schon nimmt mich das (W)Right Place in Empfang. Meine kleine Erkundungstour im Place war atemberaubend. All die Eindrücke, die ich im unteren Bereich bekommen habe, angefangen von den Separees, in denen sich vereinzelt Pärchen getummelt haben, bis hin zu den Poledance-Stangen und den Käfigen, die mich ans Prison erinnert haben, werden nur noch von der Rooftop-Bar gekrönt. Auf dem Weg nach oben kommen mir unzählige, zu attraktive Menschen entgegen, und ich frage mich, wo ich hier nur gelandet bin und wem dieser Laden gehört. Vielleicht weiß Samuel ja mehr, doch wird seine ganze Aufmerksamkeit gerade anderweitig beansprucht. Ebenso wie meine, doch nicht heute. Es ist nur ein Abend. Eine Nacht, in der ich wieder nur ich selbst bin. Ein paar Stunden, in denen mein Kopf klarwerden kann und ich wieder frei atmen muss. Ich muss einfach versuchen, für ein paar Augenblicke mein Leben außerhalb des Clubs zu vergessen. Die frische Nachtluft hilft hoffentlich dabei, denn sie empfängt mich, sobald ich auf die Terrasse trete, und schickt einen kleinen Schauer über meine nackten Arme. Meine Jeansjacke habe ich an der Garderobe gelassen und den Anhänger habe ich dieses Mal sicher in meinem BH verwahrt, man weiß ja nie.
Ich nehme mir ein paar Sekunden Zeit und lasse den Anblick der Bar auf mich wirken. Die vielen Lichterketten und die kleineren Tischchen ergeben ein wirklich wundervolles Bild und werden von der Bar nahezu perfekt ergänzt.
An einem der Barhocker bleibt mein Blick kleben. Diese blonden lockigen Haare kommen mir nur allzu bekannt vor ...
Als er seinen Kopf ein wenig zur Seite dreht, erkenne ich auch die Tattoos am Hals. Da sitzt er. Der Fremde von vorhin, der meinen Anhänger gefunden hat. Nur sieht er deutlich genervter aus als noch vor ein paar Minuten.
Mit verschränkten Armen lehne ich mich an die Wand neben der Tür und überlege, was ich machen soll. Ich habe mich nicht einmal bei ihm bedankt. Vielleicht sollte ich ihm einen Drink spendieren? Oder ... Ein unnatürlich lautes Kichern zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Frau neben ihm lässt ihre lackierten Fingernägel mehrfach über seinen Rücken wandern. Dabei rückt sie ihm unmerklich näher, und ich bilde mir ein, seine Muskeln zucken zu sehen. Mit jedem Zentimeter, den sie ihm näherkommt, verspannt er sich mehr. Sollte das seine Freundin sein, läuft da irgendetwas falsch. Oder will sich das Püppchen nur an ihn ranschmeißen? Doch so, wie er aussieht, hat er darauf wenig bis gar keine Lust.
Mein Vorhaben, mich bei ihm für seine Hilfe zu bedanken, verfestigt sich in meinem Kopf. Mit einem Vorsatz, ihm zur Rettung zu eilen, sollte er sie denn brauchen, stoße ich mich von der Wand ab und gehe auf die Bar zu. Neben ihm setze ich mich auf den freien Hocker.
Bei dem Barkeeper bestelle ich einen Drink, Whisky – pur. Der Mann hinter dem Tresen lächelt bei meiner Bestellung und nickt, als wäre er damit äußerst zufrieden.
Während ich auf meinen Drink warte, lausche ich dem Gespräch neben mir, wobei von Gespräch eigentlich keine Rede sein kann. Das Püppchen quasselt permanent auf den Fremden ein. Seine Antworten beschränken sich auf ein »Mh« und »Ja«. Definitiv nicht seine Freundin, würde ich sagen. Ein kurzer Blick genügt, um zu sehen, dass sein Blick genervter nicht sein könnte. Er fixiert das Glas in seiner Hand, in der eine goldene Flüssigkeit schimmert.
Warum steht er nicht einfach auf und geht?
Eine rothaarige Barkeeperin stellt mir meinen bestellten Whisky vor die Nase und grinst freundlich, ehe sie sich wieder den anderen Gästen widmet. Ohne großartig darüber nachzudenken, nehme ich mein Glas in die Hand und stoße es gegen das des Fremden neben mir. Darauf bedacht, nicht seinen verletzten Arm zu berühren.
Als das leise Kling ertönt, fährt sein Kopf in meine Richtung. Er mustert mich genauso intensiv wie eben vor dem Club.
»Danke übrigens für vorhin«, sage ich mit einem zweideutigen Zwinkern, ehe ich einen Schluck nehme. Sofort verteilt sich dieser samtige Geschmack des Whiskys in meinem Mund und läuft mir die Kehle hinab. Ein Geschmack, der mich unweigerlich an Ty erinnert, doch nein, heute nicht! Ich nehme direkt noch einen Schluck, um die Gedanken an ihn aus meinem Kopf zu verbannen. Der Fremde starrt mich immer noch an, ebenso das dunkelhaarige Püppchen neben ihm, doch sein Blick ist mürrisch, und beinahe kann man ihm ansehen, wie wenig Lust er hat, hier zu sein. Ich setze alles auf eine Karte. Entweder spielt er mit, oder ich gehe und überlasse ihn wieder seiner anderen Anhängerin.
»Ich bin Alena, und du?«, frage ich ihn und warte auf eine Antwort. Abwechselnd starrt er von meiner Hand, die ich ihm entgegenstrecke, zu meinem Gesicht. Als wüsste er nicht, was die bessere Option ist. Püppchen oder meine Gesellschaft. Er hadert mit sich, doch dann spüre ich seine Hand in meiner.
»Ryan«, sagt er mit rauer Stimme und dreht dem Püppchen den Rücken zu.
Über seine Schulter hinweg sehe ich, wie sie vollkommen außer sich vor Empörung aufspringt und die Bar verlässt. Ihre Blicke könnten töten. Doch interessiert mich das nicht. Es könnte mir nicht weniger egal sein. Sie passiert den Security, der anscheinend für den Bereich hier zuständig ist, und stapft wütend weiter. Auch sein Blick, den er ihr hinterherwirft, entgeht mir nicht, genau wie das kleine Lächeln, das sich auf seine Lippen schleicht, bevor es wieder verschwindet.
Ryan räuspert sich und zieht meine Aufmerksamkeit damit wieder auf sich.
Vielleicht könnte der Abend ja doch noch spannend werden.geschrieben von Sazou G. für die Kurzgeschichte (W)Right Place
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(W)Right Place
Short StoryWhat happens in the (W)Right Place, stays in the (W)Right Place. New York 1 Club 14 Autor/-innen 21 Buchcharaktere unzählige Begegnungen und Geheimnisse zusammen in einem Buch. geschrieben von: Mariella Leone Charlotte Macallan Sazou G. Hailey Reeve...