Kapitel 13 - Ben

45 9 1
                                    

Obwohl ich mich auf die Gäste konzentrieren soll, schweifen meine Augen immer wieder zu der Rooftop-Bar, hinter der Cailan souverän den Durstigen die Getränke mixt. Wenn sich unsere Blicke kreuzen, liegt keine unbeherrschte Anziehung mehr darin, nur ein sanftes Lächeln mit der Erinnerung, dass wir beide hoffnungslose Fälle sind. Automatisch streiche ich mein schwarzes Hemd glatt.
Bis jetzt scheint sich jeder hier zu benehmen, auch wenn ich einige Herren im Blick behalten werde. Irgendetwas an ihren Auren schreit regelrecht nach Ärger.
Ein Rauschen in meinem Ohr unterbricht meine Gedanken. »Gottverdammt, diese Weiber ... ich könnte hier Unterstützung gebrauchen!«, erklingt eine hektische Stimme, die mein Trommelfell fast zum Platzen bringt.
Schnell checke ich die Lage, aber an der Bar ist alles ruhig. Auch wenn diese Ruhe täuschen kann.
»Wo ist hier?«, frage ich nach und setze mich im gleichen Augenblick in Bewegung.
»Am vorderen Eingang«, bekomme ich eine knappe Antwort.
Trotz der Musik und dem Treiben im Club höre ich durch mein Headset den Tumult, der am Eingang ausgebrochen ist. Eine kreischende Frauenstimme, abgelöst von einem spitzen Schrei. Ich werde schneller, dränge mich durch die Menge an Menschen. Da denkt man, es ist eine exklusive Party, und dann wissen sich einige Damen nicht zu benehmen. Jedes Mal dasselbe ... was wohl der Grund dafür ist? Hat die eine das gleiche Kleid wie die andere an oder den gleichen Lippenstift?
Beim Näherkommen erkenne ich zwei Frauen, die sich gegenüberstehen. Wobei die eine völlig gelassen an der Wand lehnt, während die andere komische, hektische Bewegungen mit ihren Armen veranstaltet und wie eine Furie kreischt. Ihr Begleiter versucht, sie zu beschwichtigen, bekommt aber nur ihre Handtasche ab, sodass er zusammenzuckt und einen Schritt zurücktritt. Lexter steht ein wenig verloren daneben und scheint nicht zu wissen, was er machen soll. Von der Statur her ist er wie ich. Breitschultrig, fast schon hünenhaft. Wie konnte er Security werden, wenn er es noch nicht einmal schafft, das Problem zweier Ladys zu klären? Egal.
»Wo ist Luis?", frage ich, denn so wie ich mitbekommen habe, war er für den Eingang zuständig.
»Der macht seine Pause." Großartig. Die schrille Stimme gibt einfach keine Ruhe und attackiert die andere Frau verbal. Ich muss eingreifen, bevor es sich zuspitzt oder mir das Trommelfell wirklich platzt. Augenverdrehend nähere ich mich der Kampfhyäne, packe sie am Oberarm und zerre sie weg von der anderen Frau. Der dazugehörige Mann keucht auf, doch ich bringe ihn mit einem Blick zum Schweigen, den er fast schon ängstlich erwidert.
»Ladys, was soll der Quatsch hier?«, brumme ich genervt und blicke zwischen ihnen hin und her. Die an der Wand zuckt lässig mit den Schultern, sodass ihre braune lange Lockenpracht über ihr freiliegendes Schlüsselbein gleitet.
»Dieses Miststück«, keift die Blonde und will nach vorne stürmen, doch ich festige meinen Griff. »Sehen Sie denn nicht, was Sie angerichtet hat ... « Jap, diese potthässliche Jacke ist nicht zu übersehen. Zur Verdeutlichung hebt sie den Saum ihrer Jacke an, deren Tasche am seidenen Faden hängt. »Das ist ein Designerstück. Ein Unikat! Unbezahlbar.« Empörung trieft aus ihrer Stimme, die mit jedem Wort höher wird, sodass mir fast die Ohren klingen.
»Aber Spätzchen, so beruhige dich doch", mischt sich der Mann mit zittriger Stimme ein und tätschelt ihren Arm.
Mit glühendem Blick dreht sich die Blondine zu ihm und schwingt wieder mit ihrem Täschchen, das auf seinem Oberkörper landet. »Ach, halt du deinen Mund. Du weißt, wie wichtig dieser Abend für mich ist. Nun schau dir an, wie ich herumlaufe."
»Aber die Jacke ziehst du doch sowieso aus ..."
»Ich sagte, halt dich raus. Es geht ums Prinzip. Diese ..." Abfällig mustert sie ihre Gegnerin und schnaubt. »Sie hat mein Outfit ruiniert."
»Natürlich, Schatz." Gott, der hat sowas von seine Eier verloren. Mich würde es nicht wundern, wenn sie in diesem lächerlichen pinken Täschchen stecken.
Ob es zu spät ist, sich umzudrehen und diesem Schwachsinn den Rücken zu kehren? Ich bin fast gewillt, genau das zu tun. Fast.
»Selbst schuld. Hätten Sie sich nicht vorgedrängelt, wäre es nicht passiert. Außerdem habe ich Ihnen einen Gefallen getan ...« Spöttisch hebt die junge Frau ihre Augenbraue und mustert die andere abfällig.
»Was fällt Ihnen ein ...« Sprachlos mit geöffnetem Mund steht die Blondine da und sieht aus wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Okay, Sie beruhigen sich jetzt erst einmal und dann finden wir eine Lösung.« Das Wir betone ich extra und schaue bedeutungsvoll in Lexters Richtung, der immer noch überfordert zu sein scheint. Von ihm kann ich mir also keine Unterstützung sichern. Super!
»Es gibt nur eine Lösung. Sie erstattet mir Schadensersatz!« Kann jemand bitte diese nervige Stimme abschalten?
Ich lasse ihren Arm los und nehme einen tiefen Atemzug, um mich zu beruhigen. Doch bevor ich zum Sprechen ansetzen kann, grätscht der Lockenkopf dazwischen.
»Den einzigen Schaden, den ich hier erkennen kann ... «, beginnt sie, stößt sich von der Wand ab und schlendert in ihren halsbrecherischen Mörderstilettos auf sie zu. »Ach, lassen wir das lieber. Einigen wir uns doch darauf, dass ich Ihnen meine Adresse gebe und Sie mir eine Rechnung schicken.«
Abfällig mustert die blondhaarige Dame ihr Gegenüber und schnaubt. »Schätzchen, ich bezweifle, dass Sie sich das überhaupt leisten können.«
Ich lasse meine Augen ebenfalls über sie gleiten. Fast amüsiert mich ihr Outfit. Entgegen der anderen Frau, deren Kleid glamourös ist, trägt sie eine enganliegende schwarze Hose. Ihr Top mit langen Ärmeln schmiegt sich an sie wie eine zweite Haut. Ihre Schultern sind jedoch frei, nur ihre dunkelbraunen Haare verdecken sie.
»Machen Sie sich darum mal keine Gedanken«, zwinkert sie ihr zu und zieht aus ihrem Ausschnitt einen Ausweis. Als ich einen Blick darauf erhasche, muss ich ein Lachen unterdrücken. Wilma Calm.
Das kann nicht ihr Ernst sein! Und doch sehe ich nur dabei zu, wie die Blondine aus ihrem Täschchen das Handy zückt und die Karte abfotografiert.
Mit einem »Sie hören von mir« wendet sie sich ab und stöckelt durch den Flur der Musik entgegen. Der arme Wicht wird hinter ihr hergezogen. Mein Beileid. Aber viel wichtiger: Das soll's jetzt gewesen sein? Erst ein Drama der Extraklasse veranstalten und dann gibt sie sich damit zufrieden? Bei ihr scheinen nicht nur die Haare blond gewesen zu sein.
»Puh, das ist ja gerade nochmal gut gegangen«, macht sich Lexter bemerkbar.
»Ernsthaft? Und dafür brauchtest du Hilfe? Wegen einer hysterischen Frau?« Ich kann den genervten Unterton leider nicht aus meiner Stimme halten, was er auch bemerkt und mich eingeschüchtert anschaut.
»Heute ist mein erstes Mal. Ich hab nicht mit sowas gerechnet. Ich dachte, ich checke ein paar Ausweise und das war's«, seufzt er und wischt sich über die Stirn. Verdammt, ich hoffe echt, dass er den Traum vom Security in den Wind schießt.
»Tja, vielleicht solltest du nicht denken, sondern machen. Sei froh, dass ich gekommen bin und nicht einer der anderen. Bei denen wäre dir der Spott sicher.«
Er nickt und strafft die Schultern. »Danke für deine Hilfe.«
»Denk daran: Lös' das Problem das nächste Mal mit einem kühlen Kopf.« Ich klopfe ihm aufmunternd auf die Schulter und wende mich vom Eingang ab.
Natürlich war es zu erwarten, dass Löckchen das Weite gesucht hat. Vielleicht ist es auch gut so und sie hat meinen Gesichtsausdruck gesehen, als ich ihren Namen gelesen habe.
Gerade als ich die Garderobe passiere, entdecke ich dunkelbraune Haare, die zwischen den Jacken verschwinden. Was verdammt noch einmal macht sie da? Leise schleiche ich näher und höre ihre murmelnde Stimme. »Ferrari ... nope, Angeberkarre. Komm schon, irgendwo muss hier doch ein Schätzchen versteckt sein.« Sie wühlt sich weiter durch die Taschen der Mäntel und Jacken, wandert immer tiefer in den Raum, bis sie in der Ecke angekommen ist. »Jackpot, Baby.« Ich höre die Schlüssel klimpern und runzle verwirrt die Stirn. Was will sie denn mit Autoschlüsseln? Bevor sie wieder abhauen kann, trete ich zwischen den Jacken hervor und packe blitzschnell ihren Arm, drehe ihn auf den Rücken und presse sie an die Wand.
»He, was soll das?«, beschwert sich die kleine Diebin, als wäre ich derjenige, der hier nichts zu suchen hat.
»Die Frage lautet eher, was du hier tust«, brumme ich.

geschrieben von Mariella Leone für die Kurzgeschichte (W)Right Place

(W)Right PlaceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt