Die beschissene Waffe drückt sich bei jedem Schritt hart gegen meinen Schenkel, während ich an dem pompösen Gebäude vorbeigehe, das mit der makellosen Fassade genauso gut auf einem Gemälde abgebildet hätte sein können. Fast hätte ich die ganze Gegend auch für ein Bild gehalten, würde der Boden nicht unter mir vibrieren. Der Bass hallt durch die geöffnete Tür des neuen Clubs und erinnert mich an längst vergangene Tage, an die ich eigentlich niemals wieder zurückdenken wollte. An Stunden, die ich nackt, kotzend und betrunken auf irgendeiner Clubtoilette hing und mich darüber beschwert habe, wie scheiße das Leben ist. Aber das ist vorbei. Schon lange. Meine Partyzeit liegt hinter mir und inzwischen wache ich jeden Tag in Alessios Bett auf, wo mein Ehemann mir ins Ohr flüstert, wie wunderschön ich aussehe. Tja, weshalb wieder die Frage in meinem Gehirn aufpoppt, weshalb ich um Mitternacht nun doch vor diesem Laden stehe und darauf warte, dass eine stinkreiche Hexe ihren Arsch hinausbewegt, damit ich nicht hineingehen muss. Doch je weiter die Nacht voranschreitet, desto sicherer werde ich, dass sie nicht von selbst zu mir kommen wird. Nein, es führt wohl kein Weg daran vorbei, in den Club zu marschieren und nach ihr zu suchen. Schritt für Schritt gehe ich auf den Eingang zu, bei dem ein hünenhafter Türsteher die Menschenmassen kontrolliert, um sie anschließend in den Club zu lassen. Wieder verlässt ein Seufzen meinen Mund. Ich straffe die Schultern und hebe den Kopf. Nicht nervös wirken. Das hat Alessio mir über hundertmal gesagt. Keinem Blick ausweichen. Nicht zittern. Alles ist gut. Normal. So soll ich mich verhalten. Also drücke ich den Rücken durch und stolziere auf den Türsteher zu, nur um von einem schrillen Klingeln aufgehalten zu werden. Mein Telefon. Schnell greife ich in meine Handtasche und ziehe das Smartphone heraus. Alessio. Wenn man vom Teufel spricht.
»Bist du schon drinnen?«, fragt er ohne Umschweife. Seine Stimme klingt gefasst und kühl. Für ihn war es alltäglich, mit Waffen zu hantieren oder mit Messern den menschlichen Körper bis zur Unkenntlichkeit aufzuschlitzen. Vermutlich hat er deshalb kein Problem damit, sich zu erkundigen, ob ich die Zielperson bereits gefunden habe. Doch etwas ist anders als sonst. Er zieht die Buchstaben unnatürlich in die Länge und er redete schneller, als würde er vor den Worten davonlaufen. Er hat Angst. Um mich. Um meine Seele, und was es mit mir anrichten könnte, wenn ich den Auftrag durchziehe. Aber ich würde jetzt bestimmt nicht kneifen.
»Nein.« Aber wenigstens bin ich schon nah dran. Ich klemme das Smartphone zwischen meiner Schulter und meinem Ohr ein, sodass ich die Hände frei habe und suche in der Tasche nach dem gefälschten Ausweis, der mich für den heutigen Abend als Lyra San Claire identifizieren würde. Es war merkwürdig, meinen Vornamen nicht im Zusammenspiel mit meinem jetzigen Nachnamen zu sehen. Das ist seit meiner Hochzeit nicht mehr vorgekommen. Ich bin eine Graza, und ich würde für den Rest meines Lebens eine sein, wenn es nach mir geht.
»Wieso nicht? Ist etwas schiefgegangen? Fuck, ich hätte dich nicht allein ...«, dröhnt Alessios Stimme erneut an mein Ohr und gibt damit preis, dass auch er mich lieber in seinem Bett hätte als mehrere Kilometer von ihm entfernt. Dabei hat es Sinn ergeben, dass ich gehe. Weder Alessio, noch seine Brüder hätten herkommen können, ohne im Gemenge aufzufallen. Alles an ihrem Aussehen schreit geradezu nach Mafia. Außerdem ist das Geschäft zu wichtig, als es von jemandem außerhalb der Familie abschließen zu lassen. Also begrenzte das die Wahl auf Antonios Frau Alice, die immer noch eine panische Angst vor Waffen hat, Doms Frau Aurora, die gestern ihr erstes Kind bekommen hat und mich.
»Es ist alles gut. Ich hasse es nur«, unterbreche ich ihn und mache einen weiteren Schritt in Richtung Tür. Dabei drehe ich den Fuß leicht ein, damit der Schaft der Waffe nicht mehr gegen meinen Schenkel drückt. Das Metall ist immer noch kalt, obwohl ich gedacht hätte, es würde sich dank meiner Körperwärme erhitzen, sodass ich es danach ausblenden konnte. Aber nein, stattdessen laufe ich mit einer ständigen Erinnerung daran herum, dass ich Mauroux San Claire erschießen muss, wenn sie sich weigert, mit uns zusammenzuarbeiten.
»Was?« Ein leises Lachen dringt an mein Ohr und ich beiße mir auf die Lippen, um ihn nicht anzugiften. Dieser Bastard! Als wüsste er nicht genau, wie sehr ich die hohen weißen Schuhe und das pastellfarbene Kleid, in dem ich aussehe wie eine zu groß geratene Frucht, hasse. Aber es ist nur für einen Abend, bevor ich den Fummel wieder gegen meine Jeans tauschen darf. Deshalb atme ich tief durch und bemühe mich, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.
»Alles. Meine Frisur, das dämliche Kleid und die Waffe, die an meinem Bein reibt, um mich in jeder Sekunde daran zu erinnern, was ich vorhabe.« Ein verbitterter Unterton schwingt in meinen Worten mit, aber ich schaffe es nicht, es zu verhindern. Frustriert fahre ich mir durch die Strähnen und überbrücke die letzte Distanz zum Eingang. Jetzt oder nie. Wenn ich noch weiter wartete, würde der Tag anbrechen und ich hätte immer noch nicht mit der alten Witwe von San Claire gesprochen, damit sie uns dabei half, Diamanten in Milliardenhöhe zu stehlen. Nur sie konnte uns alle Informationen geben, immerhin ist ihr verstorbener Mann der größte Händler der westlichen Welt gewesen. Sie soll sogar ein Collier besitzen, das mehr wert ist, als das Haus, in dem ich aufgewachsen bin.
»Du sollst die Waffe nicht benutzen. Sie ist nur für den Notfall. Und du siehst wahnsinnig scharf aus in dem Kleid. Ich kann es nicht erwarten, bis du zurück nach Hause kommst und wir ...«
Ich verdrehe die Augen. Das ist typisch. Nur mein eigener Mann kann den Vielleicht-Mord einer alten Dame und Sex in einem Satz zum Thema machen und dabei gleichzeitig so klingen, als würde er bei Starbucks eine Bestellung aufgeben. Trotzdem reagiert mein Körper sofort auf die Vorstellung von Alessio und mir allein in einem Bett. Mein rasender Puls beschleunigt sich weiter, bis ich glaube, einen Herzinfarkt zu bekommen. Doch ich kann die Bilder nicht mehr aus meinem Kopf vertreiben. Nackte Haut, die sich an mich schmiegt. Harte Muskeln unter meinen Fingern. Weiche Lippen auf meinen. Verdammt! Ich hätte noch einmal mit Alessio schlafen sollen, bevor ich ins Flugzeug gestiegen bin.
»Konzentration, Alessio! Ihr könnt später darüber reden, wie Lyra dir den Schwanz lutscht, aber davor hat sie etwas zu erledigen.« Doms Stimme reißt mich aus der schlüpfrigen Vorstellung und bringt mich dazu, mich wieder auf das Gefühl der Waffe an meinem Schenkel zu fokussieren. Sie war gefüllt mit einer einzigen Kugel. Einer. Nur einer. Damit ich die alte Lady erschießen, die Waffe loswerden und verschwinden konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Und wenn die Witwe beseitigt wäre, würden die Verhandlungen weitergehen – mit wem auch immer. Der arme Typ, der ihr Erbe antritt, tut mir jetzt schon leid.
»Ich bin dabei, Dom, aber mir ist nicht wohl bei der Sache.« Ich zeige meinen Ausweis dem Türsteher und halte die Luft an, als er mit einer Taschenlampe über das gefälschte Dokument leuchtet. Der Ausweis reflektiert. Der Türsteher lächelt, schaltet die Taschenlampe aus, um mich nicht zu blenden, und tritt zur Seite. Erleichtert atmete ich aus. Fuck, das ist gut gegangen. Die erste Hürde ist geschafft.
»Wieso nicht? Du gehst hinein, suchst die alte Schachtel und sorgst dafür, dass sie sich deine Idee anhört.« Aus Doms Mund klingt es einfach. Wie ein Kinderspiel. Aber gut, was habe ich auch erwartet? Diese Männer halten auch Russisches Roulette für einen tollen Zeitvertreib.
»Du redest über diesen Deal, als wäre es etwas absolut Normales. Aber das ist es nicht. Es ist eine Katastrophe.« Ich schnaube, nicke dem Türsteher zu und will gerade den Club betreten, als ein Paar meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Keine Ahnung, weshalb genau, aber irgendetwas an der Art, wie der Dunkelhaarige die Frau in einem viel zu knappen Kleid in ein Taxi verfrachtet, kommt mir falsch vor. Ihre Bewegungen sind langsam. Entspannt. Aber bei ihm sieht es schon zu stressfrei aus. Gespielt. Es kommt mir wie die Art vor, die Alessio und Antonio an den Tag legen, wenn sie sich vom Schauplatz eines Verbrechens entfernen. Und ich habe recht, denn in diesem Moment beugt der Mann sich näher ins Taxi, nimmt eine Karte entgegen und gibt seiner Angebeteten stattdessen eine Kette, die mich schlucken lässt. Verdammt. Das Ding sieht teuer aus. Beinahe unbezahlbar, und das ist es vermutlich auch. Ist das das Collier von San Claire? Kurz überlege ich, dem Dunkelhaarigen zu folgen, der ohne ein weiteres Wort an seine Angebetete in der Masse der Menschen verschwindet. Aber ich komme nicht dazu, eine Entscheidung zu treffen, weil ich wieder Doms Stimme höre.
»Sie verliert die Nerven. Vielleicht sollten wir doch Aurora schicken.«
»Nein! Ich bekomme das hin.« Mauroux San Claire ist meine Zielperson. Sie und keine andere, auch wenn die Chance, dass es zwei von diesen Colliers gibt, schwindend gering ist. »Ich gehe jetzt rein.«
»Melde dich, wenn du sie gefunden hast!« Doms Befehl kommt gebellt, wie das Kläffen eines Hundes. Meine erste Reaktion ist zusammenzuzucken, doch im nächsten Moment hätte ich beinahe gelacht. Ja, er ist ein knallharter Mafiaboss, aber er ist auch der Kerl, der bettelnd an seiner eigenen Schlafzimmertür klopft, wenn Aurora ihn zwingt, auf der Couch zu schlafen, weil er irgendetwas Dummes getan hat.
»Aye, Sir.« Ich lache, beende den Anruf und stecke das Handy in meine Tasche, bevor ich dem vibrierenden Bass entgegengehe. Die Musik hallt in meinen Ohren und wird lauter, je näher ich ins Gebäude dringe. Es ist von innen noch beeindruckender als von außen. Ein Zusammenspiel von Farben und Formen. Alles wird mit Licht geflutet und wechselt sich doch gleichzeitig mit Schatten ab. Noch nie zuvor habe ich Derartiges gesehen. Und das trifft auch auf die Frau zu, die panisch mit der Hand ihr Dekolleté abtastet und sich zwischen den Gästen umsieht.
»Madame San Claire?«, frage ich leise, sodass niemand mich hören kann und trete näher auf die Gestalt zu. Sie ist eigen. Das hat Dom ja gesagt, aber damit habe ich nicht gerechnet. Sie trägt teure, glänzende Stoffe, die für ihr Alter viel zu grell erscheinen und ihr Ausschnitt ist so tief, dass ich Angst habe, ihre überdimensionalen Titten würden auf den Boden fallen.
»Es ist weg. Einfach so«, schreit die Frau und ihre Stimme lässt mich schlucken. Aua. Schrill und hoch. Eine Frequenz, die jeder Fledermaus imponiert hätte. Ihre Augen sind weit aufgerissen und ihr Kinn beginnt gefährlich zu zittern, als ihr klar wird, was gerade passiert ist. Sie ist bestohlen worden. Ich verkneife mir ein Lächeln. Der Dunkelhaarige hat ganze Arbeit geleistet.
»Was ist weg, Madame?« Mit meinem besten und unschuldig aussehendsten Augenaufschlag sehe ich sie an und berühre sie am Unterarm. Sie erschrickt und dreht sich in meine Richtung, sodass ihre faltigen Augenwinkel sich zusammenziehen und mich mustern können. Ihr Blick fokussiert mich. Es fühlt sich an wie ein Röntgenblick, aber ich versuche, entspannt weiter zu atmen. Nichts anmerken lassen.
»Mein Collier! Ich hatte es gerade noch und dann ... ein Dieb! Jemand muss etwas tun!«, ruft Mauroux San Claire, aber niemand beachtet sie. Keiner außer mir. Perfekt. Und selbst wenn nicht. Der Dunkelhaarige wird bestimmt schon über alle Berge sein, oder? Ein Plan formt sich in meinem Kopf und Erleichterung durchflutet mich.
»Sie haben etwas verloren, das Sie unbedingt wieder zurückwollen?« Ich lecke mir über die Lippen und spähe weiter hinein in den Club. Auf jeden Fall würde ich mit Alessio irgendwann noch einmal herkommen, um den Rest des Ladens auszukundschaften, aber jetzt würde ich San Claire hier raus und zu Dom bringen. Erst dann würde ich feiern und dieser Club ist genau das Richtige dafür.
»Ja, sehen Sie das denn nicht?«, schnauzt die alte Dame mich an, wobei sich ihr faltiges Gesicht noch mehr zusammenzieht. Wie lange ist dieser Dinosaurier schon auf der Welt, verdammt? Aber wenigstens wirkt sie auf mich nicht senil.
»Doch, und ich kenne zufällig jemanden, der Ihnen helfen kann.« Ich lasse von ihrem Unterarm ab und trete einen Schritt zurück, während ich den Atem anhalte. Sie stinkt. Nicht nach Verwesung, auch wenn das Sinn ergeben hätte. Nein, sie riecht nach teurem Parfüm und Schweiß.
»Was wollen Sie von mir?« Die alte Hexe verschränkt ihre Hände vor ihrer Brust und betrachtet mich wie eine minderwertige Küchenschabe. Aber es kümmert mich nicht. Soll sie denken, was sie möchte, immerhin hat der Dieb ihr gerade mehr oder weniger das Leben gerettet. Und mich davor bewahrt, sie töten zu müssen.
»Ich will Ihnen ein Angebot machen und ich bin sicher, dass mein Arbeitgeber auch dafür sorgen kann, dass Sie Ihr Collier wiederbekommen.« Und alles andere, was ihr abhandengekommen ist. Für die Menge an Geld würde Dom Alessio sicher losschicken, um das Collier zurückzuholen. Es wäre schade um den Dunkelhaarigen und seine Angebetete, doch Geschäft ist Geschäft, und wenn uns ein simples Collier näher an unsere Ziele bringen würde, wäre das nicht verwerflich. Richtig? Zumindest in Doms Augen nicht. In meinen ... naja, ich bin jetzt Teil der Mafia und daran würde ich mich sicher gewöhnen. Irgendwann.
»Was müsste ich dafür tun?« Die alte Hexe schiebt ihre Augenbrauen so weit nach oben, dass ich Angst habe, sie würden an ihrem Haaransatz nach unten rutschen und in ihrem Nacken landen. Doch mir entgeht das interessierte Blitzen in ihren Augen nicht. Jackpot. Sie hat angebissen. Vielleicht würde ich die Waffe an meinem Bein wirklich nicht brauchen. Zumindest nicht heute Nacht.
»Haben Sie schon einmal mit der Mafia zusammengearbeitet?« Ein Grinsen breitet sich auf meinen Lippen aus. Ja, dieser Auftrag wird schneller über die Bühne gehen, als ich gedacht habe, und ich bin mir fast sicher, dass uns San Claire helfen wird. Ich sollte dem kleinen Dieb wohl eine Dankeskarte schicken.geschrieben von Liz Rosen für die Kurzgeschichte (W)Right Place
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(W)Right Place
Historia CortaWhat happens in the (W)Right Place, stays in the (W)Right Place. New York 1 Club 14 Autor/-innen 21 Buchcharaktere unzählige Begegnungen und Geheimnisse zusammen in einem Buch. geschrieben von: Mariella Leone Charlotte Macallan Sazou G. Hailey Reeve...