Kapitel 14 - Tamika

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Es war zu schön und zu einfach. So ein Mist! Bei diesem Event ist die High Society der Stadt vertreten, und dass ich so schnell einen Volltreffer in Form eines Schlüssels lande, habe ich nicht gedacht. Dieser Wagen würde mir einen Batzen Kohle einbringen. Bei so viel Trubel geht man schnell in der Menge unter und zusätzlich habe ich mich unauffällig gekleidet. Dass mir aber dieser Bär von der Tür auch noch folgt, war nicht geplant. Schon gar nicht, dass er mich jetzt so unsanft gegen die Wand drückt und ich ihn am ganzen Körper spüre.
»Willst du mir den Arm brechen?«, maule ich und zapple, in der Hoffnung, ihn abzuschütteln, doch er festigt seinen Griff auch noch.
»Ich bin gespannt, was der Besitzer des Schlüssels dazu sagt«, raunt er in mein Ohr, bevor er mich loslässt - nicht jedoch ohne mir vorher den Schlüssel abzunehmen. Rasch drehe ich mich um und lehne mich an die Wand, neige lächelnd meinen Kopf und lasse meine Finger leise über seine bullige Brust gleiten. Ich stehe auf echte Kerle, und wenn ein kleiner Flirt dazu führen kann, dass ich hier mit einem blauen Auge rauskomme, warum nicht?
»Im Moment hast du die Schlüssel in der Hand und es steht Aussage gegen Aussage. Glaub mir, die Kamera da vorne ist nicht auf uns gerichtet.« Langsam nähere ich mich ihm und zeige auf die Kamera an der Decke, die zum Gang zeigt, nicht jedoch in unsere Richtung.
»Wem sollten sie wohl glauben?«, fragt er amüsiert und verbirgt den Schlüssel in seiner Faust, bevor er seine kräftigen Arme vor der Brust verschränkt. Er sieht schon etwas einschüchternd aus, doch das macht für den Moment den Reiz aus, es weiter zu versuchen.
»Heißt es nicht, der Gast hat immer recht?«, schnurre ich und trete näher an ihn heran, um durch seinen Bart zu kraulen und mich ihm entgegen zu recken.
Meine Rechnung geht leider nicht auf. Blitzschnell umschließt er mein Handgelenk und zerrt mich von der Wand.
»Einer Person mit falschem Ausweis, Wilma?«
Ertappt verenge ich meine Augen. Ich darf es mir nur nicht anmerken lassen.
»Hast du etwas gegen meinen Namen? Meine Eltern ...«
»Komm, spar's dir«, beginnt er, und ich begreife, dass ich umdenken muss.
»Okay, okay. Du hast ja recht«, sage ich und hebe beide Hände. »Aber hast du nicht auch manchmal Lust, etwas Verbotenes zu tun? Die Chance beim Schopf zu packen und es einfach zu tun, auch wenn du weißt, es ist falsch, riskant und kann böse in die Hose gehen?« Ich kann sehen, wie seine Mundwinkel zucken und er zumindest überlegt. Innerlich reibe ich mir schon die Hände.
»Schätzchen, ich brauche den Job.«
Akutes Augenrollen.
Und dann macht er auch noch Anstalten, sich in Bewegung zu setzen. Das läuft gerade in eine Richtung, die meinen Plan vollkommen in Luft auflösen könnte. Eilig schnelle ich auf ihn zu und greife in sein Shirt, schmiege mich an ihn und streiche wie in Zeitlupe über seinen Bauch abwärts.
»Und wenn ich das Verbotene noch etwas pimpe?«, säusle ich mit einem Augenaufschlag, der keine Missverständnisse zulässt, wobei meine Hand sich bereits über seinen Gürtel hinweg nach unten bewegt.
Zack - und wieder umschließt seine Hand mein Handgelenk. Dieses Mal lächelt er mit einem angedeuteten Kopfschütteln und beugt sich mir entgegen.
»Netter Versuch, Wilma. Aber damit kannst du bei mir keinen Blumentopf gewinnen.«
Genervt stöhne ich auf und werfe den Kopf in den Nacken.
»Weißt du eigentlich, dass du eine richtige Spaßbremse bist?«
Er lacht lautlos auf und verschränkt seine kräftigen Arme vor der Brust.
»Wer sagt, dass ich mit dir Spaß hätte?« Ha! Ich wittre meine Chance und spüre schon den Anflug von Adrenalin in meinem kleinen Zeh.
»Okay, ich schlage dir einen Deal vor. Wenn du Spaß hattest, darf ich den Schlüssel behalten und ich bleibe eine lustige Erinnerung, wir sehen uns aber wahrscheinlich nie wieder. Wenn ich versage, darfst du den Schlüssel wieder mit hineinnehmen und ich bleibe eine lustige Erinnerung, wir sehen uns aber wahrscheinlich nie wieder.«
Sein Lächeln ist umwerfend, und als er auf den Schlüssel des Bentley Continental GT schaut, mit dem Daumen über das Markenzeichen streicht, weiß ich, ich habe ihn.
»Vermutlich hast du auch schon einen Plan?« Der Schlüssel verschwindet wieder in seiner Faust und damit in seiner Hosentasche. Seine Augen blitzen mich plötzlich unternehmungslustig an und ich muss mich arg zusammenreißen, ihm nicht um den Hals zu fallen.
»Du musst nur deinen Job machen«, sage ich mit einem herausfordernden Zwinkern und greife eine der Jacken, die um uns herum hängen und pfeffere sie auf den Boden. Die nächste Jacke folgt, welche gleich einem Gast vor die Füße segelt. Zack, zack, zack, rupfe ich weitere von den Bügeln und werde im nächsten Moment von meinem Verbündeten am Arm und im Nacken gepackt.
»Nicht schlecht, Kleine. Das war der Freifahrtschein nach draußen.«
Er führt mich durch den Eingang hinaus, doch das wäre alles zu einfach. Seine Kollegen würden dumm gucken, wenn er mit mir einfach mitgeht. Deshalb drehe ich mich rasch zu ihm um und rudere mit dem Arm, um mich von ihm zu befreien. Gleich darauf gebe ich ihm eine halbherzige Ohrfeige und grinse ihn dämlich an.
»Los, komm!«, rufe ich ihm leise zu und nehme die Beine in die Hand. Seine Kollegen an der Tür rufen ihm »Schnapp dir die Bitch!« hinterher. Ich laufe um das Gebäude herum, dorthin, wo die Wagen geparkt sind. Ich verlangsame meine Schritte und sehe mich dabei zu ihm um. »Schlüssel!«, rufe ich und er wirft ihn mir kurzerhand zu. In der Luft fange ich ihn und drücke sofort auf die Fernbedienung. Nur so finden wir das Schätzchen schnell.
Nicht weit von uns entfernt erleuchten die Lichter des Wagens. »Bingo!« Er folgt mir auf dem Fuß und steigt schließlich zeitgleich mit mir in den Bentley. Ehrfürchtig gleiten meine Hände um das Lenkrad, umfassen es und ich schaue ihn mit leuchtenden Augen von der Seite an.
»In 3,9 Sekunden auf Einhundert, knapp zweihundert Meilen die Stunde.« Ich schlucke schwer. »770 Newtonmeter!« Meine Stimme bebt vor Euphorie, als ich den Wagen starte und ihm einen gut gemeinten Hinweis gebe. »Schnall dich an.«
Er macht, worum ich ihn bitte und lehnt sich entspannt in den Sitz. Langsam rollt der Continental vom Gelände des Nachtclubs. Vorschriftsmäßig fädele ich mich in den Verkehr und kann mich im Moment noch zurückhalten, meinem Übermut Luft zu machen.
»Wie heißt du eigentlich?«, frage ich, wobei ich den Blick immer wieder für einen kurzen Moment von der Straße auf ihn richte.
»Ben, und du? Ich meine jetzt in Wirklichkeit«, sagt er mit einem Grinsen.
»Tamika.«
Nickend schaut auch er jetzt auf die Straße. »Lass uns Spaß haben, Tamika«, raunt er mit einer auffordernden Handbewegung nach vorne und ich trete das Gaspedal durch. Beide werden wir in die Sitze gedrückt und meine Mundwinkel heben sich mit jeder Sekunde mehr, die die Geschwindigkeitsanzeige steigt. Plötzlich erscheint ein Aston Martin neben mir. Im ersten Augenblick denke ich sofort an Dion, doch das ist nicht möglich. Wir sind mit dem Flugzeug nach New York gekommen. Eigentlich schade - ich hätte mich gerne mit ihm in diesem Wagen gemessen.
Der Fahrer neben mir setzt alles daran, an mir vorbei zu ziehen und ich lache auf, schaue zu Ben. »Auf geht's!« Dann presche ich mit noch höherer Geschwindigkeit die fast leere Straße entlang, direkt auf einen Tunnel zu. Darin nimmt der Verkehr zu, weil mehrere Straßen zusammenlaufen. Mein Kontrahent nutzt eine Lücke, als ich abbremsen muss und schießt regelrecht an uns vorbei.
»So schnell lässt du dich abhängen?«
»Warte doch ab!«, murre ich und beschleunige erneut. Die Lichter des Tunnels und die anderen Wagen rauschen an uns so flott vorbei, dass sie nur ein Zischen hinterlassen. Schnell habe ich den Aston Martin wieder eingeholt und ziehe an ihm vorbei. Mehr will ich gar nicht. Ich habe ihn hinter mir gelassen, lasse das Fenster hinunter und winke einmal mit der Hand im Kreis, dann nehme ich die Ausfahrt und schieße mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf eine enge Kurve zu. Die Reifen schlittern über den Asphalt, was auch zu hören ist. Doch das ist eine meiner leichtesten Übungen. Souverän drifte ich den Wagen und fange ihn am Ende der Kurve wieder auf.
»War das schon alles?«, fragt Ben neckisch und reibt sich den Bart. »Bis jetzt bin ich noch nicht wirklich unterhalten.«
»Du bist echt ein harter Brocken. Aber beschwer dich hinterher nicht.« Abwartend lehnt er sich wie ein Pascha in den Sitz.
Wir passieren ein Diner, an dem gerade ein Police-Officer aus seinem Wagen steigt. Er erfüllt wirklich jedes Klischee. Er ist untersetzt, lässt gleich nach dem Aussteigen seine Brieftasche fallen, und ich möchte wetten, wenn er in das Diner geht, kauft er sich Donuts. Die gefüllten glasierten, die ich mir auch immer hole.
Kurz sondiere ich die Umgebung. Auf dem Parkplatz des Diners stehen sonst nur zwei Wagen. Gäste, die wahrscheinlich dort essen. Die Geschäfte gegenüber sind alle geschlossen. Es ist ziemlich verlassen hier.
»Was hast du vor?«, will er wissen, als ich im Dunkeln unweit des Polizeiwagens halte und die Lichter ausschalte.
»Warten, bis er mit seinen Donuts wieder rauskommt.«
»Woher willst du wissen, dass er sich Donuts holt?« Ich werfe ihm meinen Wart's-ab-Blick zu und fixiere dann den Eingang des Diners. Es dauert keine zwei Minuten, da schiebt der Officer sich mit einer Pappschachtel in der Hand aus der Tür ins Freie.
»Showtime«, säusle ich und lege den Finger schon auf den Startknopf des Continental. Unser Officer kann es nicht einmal abwarten, bis er im Wagen sitzt. Er langt in die Schachtel und holt sich einen Donut raus, doch bevor er in den Genuss kommt, hineinbeißen zu können, starte ich den Wagen und drücke lange auf die Hupe. Erschrocken fährt er zusammen, katapultiert die Schachtel in die Luft und alle, selbst der Donut, den er in der Hand hat, purzeln zu Boden. Ben lacht herzhaft, als ich Gas gebe und mit durchdrehenden Reifen auf dem Kies vorwärtsfahre. Steinchen werden durch die Luft geschleudert und treffen die umstehenden Fahrzeuge.
»Pass auf, er kommt auf uns zu!«, ruft Ben und stützt sich feixend am Armaturenbrett ab.
Der Hüter des Rechts kommt in Wallung und hält auf meine Wagentür zu, doch bevor er sie erreicht, löse ich die Handbremse und trete aufs Gaspedal. Das Heck des Wagens bricht aus und verfehlt ihn nur um Haaresbreite. Dafür bekommt er jetzt den Kies zu fressen und wirft fluchend seine Arme in die Luft. Es ist zu komisch. Anstatt Verstärkung zu rufen, hechtet er uns immer wieder hinterher. Ben lacht bereits Tränen und die Leute aus dem Diner, die mittlerweile alle draußen stehen, halten sich die Bäuche. Ob sie immer noch lachen, wenn sie sehen, dass ich mit meinen Drifts auch ihre Fahrzeuge behagelt habe?
»Tamika, du hast gewonnen ... und ich denke, wir sollten jetzt hier weg. Der Officer greift an sein Funkgerät an der Schulter.« Sich Tränen aus den Augenwinkeln wischend, schaut Ben sich um und auch ich sehe, dass es besser ist, den Spaß jetzt zu beenden.
»Das wollte ich nur hören«, raune ich und rolle auf die Straße. Sobald ich festen Asphalt unter den Reifen habe, sause ich davon, folge den Schildern zurück auf die nächst größere Straße und schlage die Richtung ein, aus der wir gekommen sind.
»Wo hast du so gut fahren gelernt?«, fragt Ben und dreht sich im Sitz etwas zu mir, während ich mir eine Strähne aus der Stirn puste.
»Ich war schon immer ein Autonarr. Seit ich denken kann, verdiene ich so mein Geld.«
»Du stiehlst Autos?«, will er stirnrunzelnd wissen.
»Auch. Und ich fahre Rennen. Zuhause in England.«
»England? Wo genau?«
»Dem kriminellsten Flecken auf der Karte des Vereinigten Königreichs. Dark Hill City.«
Ben nickt. »Davon habe ich schon gehört. Du bist also ein Teil davon.«
Wissend und auch ein bisschen stolz lächle ich. »Ich bin noch harmlos. Was richte ich schon für einen Schaden an? Die Wagen sind versichert. Die Rennen finden nachts auf abgelegenen Strecken statt. Ich kann noch gut schlafen und morgens ohne schlechtes Gewissen in den Spiegel blicken.« In Gedanken bin ich da bei den Größen aus Dark Hill. Die drei Säulen der Stadt, wenn man es so will. Die Morettis, die Stepanows und die O'Sullivans. Umgeben von uns Kleinkriminellen, den Rhymes und Rossums. Ich muss gleich unbedingt Naria anrufen. Sie hätte mit ihrem Bruder Dion mitfliegen sollen. Wir hätten heute unglaublichen Spaß gehabt - auch wenn der Gewinn für den Wagen geteilt worden wäre. Den heimse ich mir jetzt allein ein.
»Verstehe«, erwidert Ben nachdenklich und schaut dann wieder aus dem Fenster. Zu gerne hätte ich gewusst, an wen er gerade denkt, doch das steht mir nicht zu. Ich kenne ihn nicht.
Unweit des Nachtclubs halte ich den Bentley und schalte den Motor aus, um nicht aufzufallen.
»So, Ben. Ich würde sagen, ich habe den Deal gewonnen und bleibe eine amüsante Erinnerung ...«
»... doch wir sehen uns nie wieder?«, beendet er meinen Satz, sodass wir beide auflachen. Dann nimmt er meine Hand und drückt sie, während er seine andere darauflegt. »Es hat mich sehr gefreut, und ich werde dich ganz sicher nie vergessen, Wilma.« Dann zwinkert er mir zu, steigt aus und geht, ohne sich noch einmal umzudrehen, auf den Nachtclub zu.
So brummig und verschlossen er die meiste Zeit war, so sehr bringt er mich mit seiner Aktion zum Lachen. Ich bedauere es schon fast, dass ich ihm nicht folgen und noch etwas mit ihm feiern kann. Doch dann fällt mein Blick auf das Logo auf dem Lenkrad und ich weiß, ich habe jetzt noch etwas zu erledigen, bevor ich mich auf den Weg ins Hotel machen kann.
Der Abend hat sich gelohnt.

geschrieben von Sadie Baines für die Kurzgeschichte (W)Right Place

(W)Right PlaceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt