Kapitel 4

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Um ein Haar hätte Michelle den roten Umschlag gemeinsam mit einem Stoß Prospekten ungeöffnet weggeworfen. Zu Beginn des Jahres verschickten viele Hersteller von Motorsportzubehör ihre Werbefolder. Mini war keine derartige Masochistin, dass sie gerne die neuesten Produkte bestaunte, die sie sich ohnehin nicht leisten konnte. Bis auf den dicken Katalog ihres Hauslieferanten, der in seinem Sortiment alles führte, was ein Rennteam im Laufe der Saison denkmöglich brauchen konnte, wanderten Prospekte in den Altpapiercontainer.

Zu ihrem Glück sprang ihr im letzten Moment das weiße Logo auf den Umschlag ins Auge. Ein paar Tage zuvor hatten Nick und sie überlegt, was sie mit dem Fiat anfangen sollten. Mini war überzeugt, dass sie mit etwas Geld und Mühe den Wagen so hochwertig restaurieren könnten, dass er gut genug war, um ihn bei der exklusiven Versteigerung im Rahmen des Concours d'Elegance am Comer See im Mai einzubringen. Wenn sie schon mit dem Hänger in Italien fuhren, zahlte es sich dann sicher aus, sich bei den Händlern in der Gegend nach einem neuen Fahrzeug umzusehen. Nick hatte andere Ideen. Für ihn machte es mehr Sinn, das Auto schnell zu einem tauglichen Rennwagen für einen ambitionierten Amateur umzubauen und dann bei der ersten Messe im Frühjahr an den Mann zu bringen. Mit dem Geld wollte er sich in Großbritannien nach einem Schnäppchen umsehen. Das britische Pfund stand gerade gut und oft konnte man die dort wenig beliebten linksgelenkten Fahrzeuge günstig ergattern. Der Plan hatte etwas für sich, hatte aber nur einen kleinen Haken: Sie kannte die britische Oldtimerszene nicht und wusste nicht genau, wo sie dort mit der Suche nach einem brauchbaren Auto beginnen sollte. Als sie den Umschlag sah, fiel ihr die Diskussion mit wieder ein.

„Hey Nick", fragte sie ihren Freund, der gerade ein paar neue, mit Sicherheit kostspielige, Ersatzteile für den Fiat im Internet bestellte, „hast du schon mal etwas von Llandow Auctions gehört?"

Beim Namen des Unternehmens zögerte sie kurz - wie sprach man denn dieses doppelte „L" richtig aus?

Nick sah von seinem PC auf und runzelte die Stirn. „Nein, noch nie. Warum?"

Michelle wedelte mit dem Umschlag. „Ich hab da eine Werbung von denen bekommen. Könnte etwas für uns sein."

„Möglich. Sehr groß ist der Laden vermutlich nicht. Derzeit schießen aber Auktionshäuser aus dem Boden wie die Pilze." Nick klang skeptisch.

„Vielleicht eine günstige Gelegenheit für ein Schnäppchen, wenn die noch unbekannt sind. Mal sehen, was die für Versteigerungen haben."

Anders als sie erwartet hatte, enthielt der Umschlag kein Prospekt oder eine Vorankündigung für eine Auktion, sondern einen Brief.

„Dear Ms. Cooper", las sie laut vor, „oh, personalisierte Werbung. Die schreiben wohl die Fahrer aus der Meisterschaft an." Bei den nächsten Zeilen schossen ihre Augenbrauen in die Höhe. „Das ist jetzt ein Witz, oder?" rief sie.

„Was steht denn da Aufregendes drinnen? Du bist ja ganz blass geworden", wollte Nick wissen.

„Die schreiben", sagte sie tonlos, „dass sie ein junges Auktionshaus sind, die sich auf den Verkauf von historischen Rennautos spezialisieren wollen."

„Das klingt doch vielversprechend", begann Nick, doch sie brachte ihn sofort mit einem lauten „Schhh!" Zum Schweigen.

„Die wollen mit einem eigenen Rennteam an der historischen Bergrallye-Europameisterschaft teilnehmen."

Nick pfiff durch seine Zähne. „Ganz schöner Aufwand. So etwas tut sich normalerweise kein Sponsor an."

„Schhh!", zischte Michelle erneut. „Die wollen wissen", las sie weiter vor, „ob ich für sie fahren will."

„Das ist jetzt ein Witz, oder?", wiederholte Nick ihren früheren Ausruf. „Gib her!" Er riss ihr den Brief so kräftig aus der Hand, dass er ihn fast zerfetzte.

MonopostoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt