Kapitel 6

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Man sagt, dass, wenn um es um das Talent eines Rennfahrers geht, Regen die Spreu vom Weizen - oder in deren Sprache die Männer von den Buben - trennt. Auf trockener Strecke schnell fahren, nun, das konnte ja fast jeder. Und wenn der Andere einem ein paar zehntel Sekunden abnahm, hat er eben das bessere Auto gehabt. Auf nasser Piste war das anders: Hier zählte das Können und war das Fahrzeug angeblich nur sekundär. Entsprechend unmöglich war es, einen Fahrer zu finden, der eingestand, dass er nicht an jedem Wochenende auf ein Regenrennen hoffte. Mini war da keine Ausnahme und danach gefragt hätte sie Stein und Bein geschworen, dass ihr das Fahren auf nasser Strecke den größten Spaß überhaupt machte. In Wahrheit konnte sie Regen nicht leiden. Rutschiger Asphalt, beschlagenen Scheiben, miese Sicht und dazu kam auch noch die verdammte Nässe. In ihrem Lancia war es angenehm trocken, aber im Laufe des Wochenendes musste sie aussteigen, und dann war ihr feuerfester Anzug irgendwann mit Wasser vollgesogen. Dazu kam, dass die Fahrerlager in der Regel behelfsmäßig auf Wiesen und Äckern aufgebaut waren. Ein ordentlicher Schauer und man versank mit seiner gesamten Ausrüstung samt den teuren Schuhen im Schlamm.

Dieses Mal hatten Mini und Nick Glück gehabt und einen asphaltierten Abstellplatz im Paddock für den Merlyn erobert. Ihr Anhänger - den viel zu großen Llandow Auctions Transporter hatte sie zu Hause gelassen - musste allerdings mit dem Überlaufparkplatz vorliebnehmen. Nach den heftigen Regenfällen der letzten Tage standen die Chancen gut, dass einer der ansässigen Landwirte am Ende des Rennwochenendes die dort abgestellten Fahrzeuge mit seinem Traktor aus dem Schlamm ziehen würde. Selbstverständlich gegen einen saftigen Kostenbeitrag für die ruinierte Wiese.

Mini warf einen kritischen Blick zum Himmel. Aus dem Süden zogen schon wieder dunkle Wolken auf. Wenigstens hatten sie es geschafft, ihr Zelt aufzubauen, ohne sich eine Dusche von oben einzuhandeln.

„Da kommt schon wieder ein Wetter", sprach Nick ihren Gedanken aus. „Ich hätte nicht übel Lust, unsere Sachen zu packen und wieder nach Hause zu fahren. Das wird ein elendigliches Wochenende, und testen kannst du am Auto so auch nichts."

Sie seufzte. Gerne hätte sie ihrem Freund Recht gegeben und ein gemütliches Osterwoche daheim vor dem Fernseher mit dem Formel 1 Grand Prix verbracht. Aber dank ihrer Sperre für internationale Events  würde ihr neuer Teamkollege sonst mit einem Rennen mehr Erfahrung mit dem Auto in die Saison starten, und diesen Vorteil wollte sie ihm nicht gönnen.

„Hör auf zu jammern", meinte sie liebevoll, „wenigstens kannst du dich während des Rennens unterstellen. Ich habe nicht einmal ein Dach über den Kopf."

„Hast du das Paket mit deinen neuen Sachen von Llandow nicht angeschaut?", fragte Nick.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, aber was hat das damit zu tun? Sag nicht, da ist ein Cabrio-Verdeck für den Merlyn dabei."

„Ich fasse es nicht."

„Hey, ich habe kurz mal reingesehen" verteidigte sie sich. „Rennanzug, Schuhe, Unterwäsche, das übliche Zeug. Meine Größen habe ich ihnen gegeben, also sollten die Sachen passen. Bei dem Event fahre ich ja noch nicht offiziell für Llandow, da kann ich noch ein letztes Mal meine alten Klamotten tragen. Die Norm ist noch dieses Jahr gültig, dann kann ich sie sowieso nicht mehr verwenden."

„Du hättest mal lieber genauer geschaut. Da ist noch einer dieser transparenten Regenoveralls dabei. Beim Rennen selbst darfst du die nicht tragen, aber während du wartest kannst du ihn die überziehen. Damit bleibt man schön trocken."

„Meinst du so ein Ganzkörperkondom? Die sehen doch bescheuert aus."

„Sag nichts gegen Kondome, Mini. Du weißt doch, nie ohne Gummi."

„Leo! Mit dir habe ich hier nicht gerechnet. Dieses Wochenende sind die modernen Autos doch am Col. St. Pierre? Bist du etwa in den Bergrallyecup gewechselt?" Mini wollte ihm artig die Hand schütteln, aber das ließ Leo nicht gelten. Bevor sie protestieren konnte, hatte er sie schon in eine herzliche Umarmung gezogen. Trotz der Kälte trug er nur einen leichten Sweater, unter dem sie deutlich spürte, wie hart seine Muskeln waren. Da hatte einer sein Training während der Winterpause nicht schleifen lassen. Sie hoffte inständig, dass ihr Gesicht nicht so rot war, wie es sich anfühlte, als er sie schließlich aus seinen Armen entließ.

MonopostoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt