Epilog

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Showdown in der Toskana

Die Bergrallyszene blickt dieses Wochenende gebannt nach Chianti, wo wir uns einmal mehr auf ein aufregendes Saisonfinale in der Historic Hillclimb Championship freuen können. Besonders die Klasse 1 hat den Fans historischer Rennwägen schon bisher eine spannende Saison beschwert, die in Castilio ihren krönenden Abschluss finden wird. Während Vorjahresmeister Ulrich von Plankenwarth die ersten Rennen dominiert hat, hat sich Herausforderer RJ Acer in den letzten drei Bewerben mit einer fulminanten Aufholjagd bis auf 5 Punkte an den Führenden herangearbeitet. Seine Teamkollegin, Mini Cooper, welche in der Mitte der Saison dominiert hat, ist nicht mehr dabei und inzwischen auf Platz drei in der Meisterschaft zurückgefallen.

Leo Rotara erwartet hingegen in der Toskana ein vergleichsweise erholsames Wochenende. Der Südtiroler konnte bereits beim letzten Bewerb seinen Sieg in der diesjährigen Hillclimb Championship fixieren. Für deutlich mehr Aufregung sorgt im Fahrerlager das überraschende Comeback des österreichischen Teams Czesany. Vor ihrem tragischen Unfalltod haben Herbert Czesany und sein Sohn Björn gemeinsam mehr als zehn Meistertitel gewonnen. Nun wagt Tochter Michelle zusammen mit dem legendären Mechaniker Nick Valentschitsch den Einstieg in den Sport. Michelle tritt zwar in große Fußstapfen, zeigt aber gleichzeitig mit der Wahl ihres Fahrzeuges, dass sie ihren eigenen Weg geht. Mit ihrem Osella Biposto bricht die junge Frau mit der erfolgreichen Touringfahrzeug Tradition ihrer Familie und wagt gleich den Einstieg in die höchste Klasse der zweisitzigen Rennwägen.

„Legendär? Das steht da doch nie." Michelle klappte die Motorsportzeitung zusammen und hielt sie ihrem Freund hin. „Doch, lies selber. Neben, wie ich anmerken muss, einem Haufen Sentimentalitäten."

Nick überflog den Artikel und pfiff durch die Zähne. „So wie der Schreiberling deine Familie über den grünen Klee lobt, möchte man meinen, die Meisterschaft ist nur Nebensache."

Sie zuckte mit den Achseln. „Die verlorene Tochter, zurück im Rennsport. Die Journalisten mögen eben solche Stories. Amüsant ist allerdings, dass keiner von denen gemerkt hat, dass ich seit Jahren Rennen fahre. Anscheinend braucht man nicht einmal eine Perücke oder eine Superman-Brille. Ein Pseudonym und eine Haarschnitt genügen. Mini Cooper, mysteriös verschwunden, Michelle stieg auf wie ein Phönix aus ihrer Asche."

„Tut es dir kein bisschen Leid? Ich meine, um Mini Cooper", fügte er zu, als er ihren fragenden Blick sah. „Wir hatten doch eine gute Zeit mit ihr. Zumindest war es etwas ruhiger."

„Ach Nick, wir fahren hier Autorennen. Ruhe wird überbewertet."

Seit Michelle das Auktionszelt in Donington verlassen hatte, hatte sie sich genau einen einzigen Augenblick der Erholung gegönnt: Einen Abend, an dem sie geschrien, mit Sachen um sich geworfen, Telefonnummern blockiert und Fotos zerfetzt hatte. Am folgenden Tag hatte sie ihr gesamtes Llandow Outfit mit der Post unfrei nach Wales geschickt und den roten Helm zum Lackierer getragen, um den Drachen übermalen zu lassen. Sollte sich Mr. Jones doch bei seinem Anwalt beschweren, wenn er den den zurückwollte.

Bis zum Ende der Woche hatte sie einen Kredit aufgenommen, eine Betriebsgesellschaft für die Werkstätte gegründet, ihren Job gekündigt und Nick als ihren Geschäftsführer eingestellt. Seither war sie jede Minute in Bewegung gewesen, wie ein Hai. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie, wenn sie auch nur einen Augenblick stillstand, wie ein Stein auf den Grund des Ozeans sinken würde.

Wie aufs Stichwort unterbrach das laute Aufheulen eines Fords-Motors ihr Gespräch. Irgendwo in einer entfernten Ecke des Fahrerlagers ließ jemand einen roten Merlyns warmlaufen. Sie selbst hatte noch Zeit, bedächtig die Zeitung zu Ende zu lesen und dann langsam ihren nagelneuen Overall anzulegen, während ihr Team ihren neues Osella für den ersten Start bereit machte.

In der historischen Klasse hörte das keiner gerne, aber für das Publikum waren sie bei Events, die sie gemeinsam mit den modernen Rennwagen fuhren, bestenfalls Beiwerk. So interessierte es die im Fahrerlager auf ihre Starts wartenden Teilnehmer und Teammitglieder mehr als die Zuseher, dass der Sprecher aufgeregt über den Lautsprecher die Zeiten der letzten historischen Fahrer und den Endstand der Meisterschaft verkündete. Um sie herum klopften Mechaniker einander anerkennend auf die Schultern, umarmten sich, ließen enttäuscht ihre Arme sinken oder warfen wütend Werkzeug auf den Boden. Jemand hatte einen bedeutsamen Sieg errungen, ein anderer eine bittere Niederlage einstecken müssen.

Als letzte Starterin im Coppa del Chianti bekam Michelle Czesany von alldem nichts mit. Sie hörte keine Triumphgesänge oder erzürnte Flüche, nur das tiefe Brummen des V8 Zytech Motors, das ihr trotz Ohropax, Balaklava und Helm fast in den Ohren weh tat. Gebannt fixierte die mit ihren Augen die rot-weiß-grüne Flagge in der hochgestreckten Hand des Starters.

Offiziell beschleunigte der Osella in 3,06 Sekunden von 0 auf 100, doch Michelle wusste, dass der Motorenbauer ihr für das Saisonfinale eine Ausbaustufe des Motors gegönnt hatte, deren Verwendung für einen Meisterschaftsanwärter zu risikoreich war. Heute saß sie nicht in irgendeinem Fahrzeug, sondern im besten Auto des gesamten Feldes. In wenigen Sekunden würde sie schneller über die Strada regionale Fliegen als je ein Fahrer zuvor.

Noch zwei. Eins. Die Fahne fiel und die Straße gehörte ihr.

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