14. Kapitel

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A R R O W

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Die Tür schwang auf und Evrin trat hinein. Evrin war gross, er überragte die meisten Männer mit seiner beträchtlichen Grösse, ebenso wie mit seiner Arroganz.

Er trug einen langen schwarzen Umhang und als er seine Kapuze herunterschlug, kamen seine nachtschwarzen, kurzen Haare hervor, die er als Kind meist schulterlang getragen hatte, bis ihn der Nachbarsjunge damit hänselte, dass er wie ein Mädchen aussähe. Von da an hatte ich sie ihm immer schneiden müssen.

Evrin hatte gelacht und mir dann denselben Haarschnitt verpasst.

Nun sah ich meinen Bruder an und obwohl die silberne Maske sein Gesicht verdeckte und es einem unmöglich machte, ihn zu erfassen, kannte ich trotzdem jeden Winkel seines Gesichtes.

Er hatte stahlgraue, wissensbegierige Augen, hohe Wangenknochen, die ihn beinahe hübsch werden liessen, wäre da nicht das markante Kinn und der grobe Kiefer.

Er sah aus wie ich. Abgesehen von dem Muttermal an seinem linken Ellbogen und dem etwas verkürzten rechten Kleinfinger.

Und dann war da noch die Narbe. Sein Gesicht war makellos im Gegensatz zu meinem.

»Die Zeremonie muss an einem Vollmond geschehen. Bis dahin bleibt uns also noch vier Tage, um alles vorzubereiten.« sagte Evrin und betrachtete mich nüchtern. Seine Lippen verzogen sich abwertend. »Sieh mich nicht so an, Bruder. Wir wissen beide, welch Verrat du begannen hast, das hier ist nicht mein Verdienst, schreib dir das schön selbst zu.«

Mein Wolf knurrte, ich blieb still.

Evrin kam auf mich zu, seine Schritte waren langsam und selbstbewusst, als würde er es geniessen, mich gefesselt und ergeben zu sehen.

Seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem kleinen, überheblichen Lächeln und er kauerte sich vor mich hin, um mit mir auf einer Augenhöhe zu sein.

»Was hast du dir denn dabei gedacht, dich einem Wolfsrudel anzuschliessen, hm?« Seine Augen blitzten von Neugierde erfüllt, als würde es ihn tatsächlich brennend interessieren. Er verstand nicht, wieso ich sie gewählt hatte, und nicht ihn.

»Dachtest du, du könntest tatsächlich einer der ihren werden?« seine Stimme hörte sich ungläubig an. »Warst du so naiv?«

Ich sah ihm in die Augen und weigerte mich, meinen Blick zu senken. Mein Mund blieb stur verschlossen.

Ich war einer der Ihren. Ich gehörte zur Familie.

Evrin schien meine Gedanken zu erahnen. Er lachte und schüttelte amüsiert und gleichzeitig fassungslos den Kopf, als könnte er nicht glauben, wie dumm ich war. »Arrow, wir sind Schatten, wir gehören dem Orden, das ist unser Wert! Nur der Orden zählt, nur auf ihm können wir uns verlassen, wie hast du das vergessen?«

Als ich nichts daraufhin antwortete, verzogen sich seine Augen zu Schlitzen und er sah mich verwirrt an – er wurde nicht schlau aus mir, und das war ungewöhnlich für ihn. All die Sonnenumläufe hatte er mich besser gekannt, als ich mich selbst, und doch hatte er nun keinen blassen Schimmer, wer ich war.

Evrin sah mich fest an. »Komm in den Orden zurück und ich werde dir nicht wehtun.«

Ich war überrascht.

Eine Weile wusste ich nicht, was ich davon halten sollte.

Zurück in den Orden?

Das Leben im Orden bedeutete keine Rechte zu haben, keine Wünsche, keine Bedürfnisse, keine Gefühle. Ein Niemand zu sein.

A R R O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt