21. Kapitel

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J U N E

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Dunkelheit. Dann eine leise Stimme.

Zeig dich mir, Mädchen! Hab keine Angst.

Die Stimme klang betörend und einlullend in dem grossen schwarzen Nichts. Ich wollte ihr näher sein.

Wo hast du dich versteckt? Zeig dich mir!

Ich streckte meine warme, kribbelnde Hand nach der Stimme aus, als es mit einem Schlag hell wurde. Abrupt schlug ich die Augen auf und blinzelte gegen die ersten Morgenstrahlen an, die auf mein Gesicht fielen.

Müde rieb ich mir den Schlaf aus den Augen und betrachtete dann meine kribbelnden Hände. Sie waren ganz heiss. Kam das von der Sonne?

Ich bewegte meine Finger, ballte sie zu einer Faust und öffnete sie wieder, um das eigenartige Gefühl zu vertreiben.

Als ich meine Hände über den Kopf streckte, pochte meinen Kopf so laut wie ein Donnerschlag. Ich stöhnte und verzog mein Gesicht, ich fühlte mich elend. Meine Knochen waren über Nacht um Sonnenumläufe gealtert.

Was für ein toller Tag.

Nein, June, falsche Einstellung, erinnerte ich mich gleich, jeder Tag war liebenswert, ich musste ihn einfach nur gern haben.

Sobald die Hitze in meinen Händen verschwand, setzte ich mich gähnend auf und schlang meine Arme um mich, als meine Bluse im Wind aufflatterte. Ich starrte über das Meer von blauen Dächern und blickte der Sonne entgegen, die langsam über der Stadt erwachte.

Das war also die berühmt berüchtigte Wüstenstadt Selva. Ich hatte mir immer nur vorgestellt, wie schön es hier war und ausgemalt, wie meine Mutter wohl durch diese Gassen gerannt war, als sie hier aufwuchs.

Im Land der Menschen.

Wie musste es sich wohl anfühlen, unter Seinesgleichen aufzuwachsen? Schön, dachte ich, darauf wette ich meine Gummischlange.

Lächelnd langte ich mir automatisch an meinen Hals, um die vertraute, glatte Fläche meines Anhängers in meiner Hand zu fühlen, als ich auf nackte Haut traf.

Hä?

Irritiert sah ich an mir herunter, wühlte an dem Kragen meiner Bluse herum und tastete mein Dekolleté ab, aber da war keine Kette um meinen Hals, an der ein rotes Drachenamulett hing.

Hastig schaute ich herum, ob sie auf dem Dach zu finden war, aber sie lag nicht da. Schnell kletterte ich durch das Fenster ins Haus und suchte die Gänge bis hinunter zur Küche ab.

»Suchst du etwas, meine Liebe?« fragte Nana mich, als ich in der Küche angelangt war.

»Ja, meine Kette. Hast du sie vielleicht gesehen? Sie ist mit einem roten Drachenanhänger geschmückt.«

Die alte Frau legte ihre Stirn in Falten und dachte nach. »Nein, leider nicht, tut mir leid. Aber ich helfe dir gerne beim Suchen.«

»Oh, das wäre toll, danke!« erwiderte ich und begann dann das gesamte Haus abzusuchen, selbst in den Räumen, in denen ich mich gar nicht aufgehalten hatte, aber ich fand sie nicht.

Ich musste sie im Bunker während dem Kampf verloren haben, anders konnte ich es mir nicht erklären, weil ich meine Kette sonst immer an mir trug. Sie war doch alles, was ich noch von meinem Vater hatte.

»Es tut mir leid, dass wir deine Kette nicht gefunden haben.«

Ich nickte stumm. »Danke Nana. Aber weiss du, es ist schon in Ordnung, ich trage meinen Vater in meinem Herzen.«

A R R O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt