『Pillen Cocktail』
Der Zeiger der Wanduhr, die oberhalb des Durchgangs von Küche zu Esszimmer hängt, lässt mich immer nervöser werden. Bald würde mein erster Arbeitstag offiziell anfangen.
Der Stoff meiner schwarzen Bluse fühlt sich eng auf meiner sich schnell hebenden Brust an.Die hinter mir liegende Nacht ist turbulent gewesen. Kurz nach dem ich eingeschlafen bin, bin ich schweißgebadet wieder aufgewacht und da ich dann nicht mehr einschlafen konnte, habe ich die ganzen Regeln und Vorschriften rauf und runter gelesen. Am Ende weiß ich jetzt zumindest wann ich ihr welche Tabletten verabreichen muss.
Das ist doch schon mal ein Anfang.
Als es dann endlich acht Uhr schlägt, schnappe ich mir das Tablett, mit dem darauf vorbereitetem Frühstück samt einem Glas Wasser und einem Glas Saft und mache mich auf den Weg nach oben.
Ich Kralle meine Finger in die Henkel des Holz Tabletts. Mein Blick ist starr auf jede Stufe der tiefbraunen Treppe gerichtet um keinen der ihren zu verpassen und zu stolpern.
Ich will keine Fehler machen.Ich weiß was sonst passiert ist, wenn ich nur einen kleinen Fehler gemacht habe.
Victorias Zimmer liegt gegenüber von dem Treppenaufstieg. Das Geländer drum herum verläuft in einem Rechteck zusammen, während der Flur mit den ganzen Zimmern sich herumstreckt.
Ich biege also rechts ab. Die Bodentiefen Fenster links und rechts sind weit geöffnet, welches eine kühle Brise durch die tiefroten Gardinen strömen lässt. Der Geruch des alten Holzes zusammen mit der nassen Luft von draußen lässt mich tief einatmen.
Die Dielen knarzen unter meinem Gewicht bevor ich schließlich vor der Doppeltür stehen bleibe. Zaghaft klopfe ich. Wer weiß ob sie noch schläft.
„ Ja?" Eine zarte Stimme antwortet also trete ich mit einem kleinen Lächeln ein. Ich werfe einen vorsichtigen Blick auf das Mädchen. Alles was man von hier aus erkennen kann, sind die dicken blonden Locken die wild über die Kissen verstreut sind.
Ihr Bett in dem sie liegt steht ungefähr wie das Zimmer in dem ich schlafe, nur die Farben von ihrem sind sanfter und weicher. Überall sind Regale voller Bücher und Bilderrahmen. Generell sieht es wie ein typisches Teenager Zimmer aus.
Mein Herz erwärmt sich.
So ein Zimmer hätte ich auch gerne immer gehabt.„ Guten Morgen, Victoria. Ich bringe dir dein Frühstück." Mit einem ehrlichen Lächeln stelle ich ihr das Tablett auf ihren Schoß. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch ihre zwei Fenster offen sind. Der Raum nimmt langsam eine kühle Temperatur an, die meine Härchen auf den Armen aufstehen lässt.
Sie lächelt halbherzig zurück.
„ Du meinst eher den Anfang von meinem Pillen Cocktail." Sagt sie ironisch und nimmt sich die vier verschieden aussehenden Tabletten vom Tablett und schluckt sie mit einem Schluck Wasser runter.Kurz schüttelt sie sich. Unschlüssig ob ich lieber wieder gehen sollte, sehe ich mich um.
„ Kannst du vielleicht die Fenster schließen?" Fragt sie mich während sie in den Toast reinbeißt.
„ Oh natürlich, entschuldige."schnell ziehe ich die Fenster wieder zu.„ Du musst dich nicht entschuldigen. Ich hasse es das mein Bruder denkt, dass wenn das Haus morgens komplett einmal runter gekühlt wird, dass es mir besser gehen wird." Sagt sie mit einem genervten Unterton.
Nach einer kurzen Stille ergreife ich wieder das Wort.
„ Möchtest du lieber, dass ich gehe und später wieder komme?" Frage ich vorsichtig nach.Sie sieht mich freudestrahlend an.
„ Nein! Ich fände es sogar sehr schön, wenn du dich zu mir setzt."
Wie sie sich wünscht setze ich mich also auf ihre Bettkante.„ Du bist jetzt schon viel sympathischer als alle anderen Babysitter, die ich je hatte." Meint sie mit vollem Mund.
„ Ach ja? Wie waren denn die anderen?" Hake ich neugierig nach.Victoria ist mir im Gegensatz zu ihrem Bruder tausendmal lieber. Egal ob es daran liegt, dass sie nicht männlich ist oder nicht. Sie scheint mir ein liebes Mädchen zu sein. Das macht es umso trauriger, dass sie solch einem Schicksal unterliegt.
Auf einmal prustet sie lauthals los.
„ Es gab mal eine ältere Frau oder sollte ich lieber Hexe sagen! Die hat mich jeden Morgen dazu gezwungen um 6 Uhr aufzustehen und eine Runde spazieren zu gehen!"
Meine Augen nehmen wie von selbst eine Runde Form an.„ Ab-aber das geht doch gar nicht oder? Ich meine du kannst doch nicht ..." mir fehlen die Worte. Als ihr lachen erstirbt senke ich meinen Blick. Wieso sage ich so etwas? Man muss es ihr ja nicht noch unter die Nase reiben, dass sie nicht wie all die anderen Mädchen in ihrem Alter leben kann.
„ Victoria, es tut mir leid. Das wollte ich so nicht sagen." Sage ich aufrichtig und sehe sie an. Sie selber sieht mich mit einem halbherzigen Lächeln an und trinkt dann ihr Glas leer. Wieder wird es still zwischen uns. Ich schlage mir in Gedanken gegen den Kopf.
Wieso bist du nur so blöd und sagst so etwas?!
„ Weißt du was? Manchmal denke ich über all das nach und frage mich, ob es noch hätte schlimmer sein können." Das junge Mädchen vor mir erhebt wieder ihre weiche Stimme, was mich dazu bringt sie wieder anzusehen. Sie scheint in ihren Gedanken verloren zu sein bevor sie mir wieder in die Augen blickt und mich herzlich anlächelt.
„ Und ab dem Moment, ist mir klar geworden, dass ich es neben all dem", sie deutet auf den Rollstuhl, der neben ihrem Bett steht, und das Beatmungsgerät,
„ Gar nicht so schlecht habe. Ich meine, ich hab meinen Bruder, die Hunde; selbst Henry auch wenn er so verschlossen ist ... und ich muss in keine Schule mit all den komischen Kindern, die nichts anderes als Partys, Drogen und Sex im Kopf haben."Ungewollt lege ich meine Hand auf ihre Decke worunter ich ihre Beine spüre. Sie lächelt mich weiterhin an. Ich merke, dass sie sich doch im inneren wünscht so leben zu können wie die anderen aber sie versucht stark zu bleiben. Ob es für sich selbst ist oder für die Menschen um sie herum, weiß ich nicht.
Das bewundere ich sehr.
„ Weißt du was ich denke?" Antworte ich ihr. Sie sieht mich mit einem fragenden Blick an.
„ Das irgendwann etwas mit uns passiert, was all das uns sehen lässt, das es immer so hätte kommen sollen. Ich bin mir sicher, dass auch du nächsten Herbst durch die vielen Blätter Haufen toben kannst ohne an diesen Rollstuhl gefesselt zu sein." Sage ich ehrlich und kneife leicht in ihr Bein. Sie kichert.„ Wie wärs wenn wir das schon jetzt tun nur mit dem blöden Rollstuhl?" Sie wackelt mit ihren Augenbrauen, was zum totlachen aussieht.
„ Find ich eine gute Idee." Wie von der Tarantel gestochen, setzt sie sich auf und schlägt ihre Decke zur Seite.„ Woah, aber bitte langsam! Ich will nicht das du dir meinetwegen eine Verletzung zuziehst." Sage ich schnell und schiebe ihren Rollstuhl an das Bett. Zum Glück trägt sie bereits eine lange Hose und einen Pullover, der sie vor der Kälte draußen schützt.
„ Wie kann ich dir helfen?" Unbewusst fange ich an meine Hände zu kneten.
„ Halt einfach nur den Rollstuhl fest, den Rest mach ich." Sagt sie und in der nächsten Sekunde hüpft sie mit ihren Armen als Stütze auf den Sitz.Meine Atmung reguliert sich wieder als sie keinerlei Anzeichen macht, das sie sich verletzt hat.
Das hätte ich mir nicht verzeihen können.
Als ich die Griffe hinter ihr in die Finger bekomme, schiebe ich sie mit Leichtigkeit aus dem Zimmer.
„ Ich muss dir unbedingt meine süßen Hundis draußen zeigen. Du wirst sie lieben!"~*~
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Bad Timing
RomantizmSie verschwand vor zwei Monaten aus ihrer Heimatstadt um endlich all den Fehlern ihrer Vergangenheit entfliehen zu können. Sie bekam einen Job. Sie sollte auf ein todkrankes Mädchen aufpassen und sie pflegen. Das Ganze wirft aber immer mehr Fragen...