Izzy
Mein Leben war in Ordnung gewesen. Für einen winzigen Moment, für ein paar Tage, Wochen, ja vielleicht sogar Monate war es in Ordnung gewesen. Dann, wie aus dem Nichts, zersprang die Ordnung und das gute Gefühl in Tausend Teile.
"Wir müssen reden."
Und dann: "Isch habe jemanden kennengelernt."
"Wann?" Das war alles, was ich von Pascal wissen wollte.
"Ich habe ihn auf einer Party kennengelernt."
"Ihn? Wen?" Ich konnte nicht anders, als ihn einfach nur anzustarren. Nach außen hin musste ich vollkommen ruhig wirken, doch innerlich drehte sich ein Gedankenkarussell an Fragen. Wieso war mir nicht aufgefallen, dass Pascal andere ... Interessen hatte? Seit wann hegte er Gefühle für andere? Wann hatten seine Gefühle zu mir aufgehört?
"Es tut mir leid." Es war nur ein Flüstern, das mich veranlasste, in Tränen auszubrechen. Ich wusste nämlich, dass diese Entschuldigung vollkommen inhaltlos war. Niemand sollte sich für das entschuldigen, was er oder sie fühlte. Dort gab es kein richtig oder falsch.
Und als wäre ich nicht schon am Boden, gestand mir Pascal, wen er sich da angelächelt hatte: "Danny."
Mir war das Drama bekannt, welches durch Hopes und sein Duett ausgelöst worden war. Doch meine Story war keine Interpretation eines Youtube-Videos. Das war die pure Realität, die mich wie eine Welle kalten Meerwassers überrollte.
Pascal schien zu begreifen, dass ich erst einmal für mich sein wollte, weshalb er fürs Erste bei den Zwillingen unterkommen würde. Meine Reaktion auf die Trennung bestand darin, mich die nächste Woche zuhause zu verkriechen. Ich hatte kein Bedürfnis, mich mit Pascal auszusprechen denn allein sein Anblick führte mir die Wahrheit vor Augen, nämlich, dass seine Liebe zu mir erloschen war.
Meinen Freunden gaukelte ich zuerst eine Erkältung vor, sodass ich zu den geplanten Ausflügen nicht mitkommen musste. Leider hatte ich eine Person vollkommen vergessen, von meiner gefälschten Krankheit zu überzeugen.
"Hey ...Izzy. Alles in Ordnung bei dir?" Alex musterte mich mit seinen warmen braunen Augen, was mir prompt einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Die Gefühle, die er in mir auslöste, gehörten verboten.
Seit man Alex auf freien Fuß gesetzt hatte, waren Monate vergangen. Monate, in denen wir uns immer wieder getroffen hatten, der Freundschaft willen. Es hatte sich einfach richtig angefühlt. Vermutlich genauso richtig, wie ihn immer wieder im Gefängnis zu besuchen.
Jetzt, als er so plötzlich aufgetaucht war und mich vollkommen fertig und aufgequollen aufgefunden hatte, musste ich plötzlich grinsen. Diese Situation war so absurd, dass sie schon wieder komplett plausibel wirkte.
"M-magst du reinkommen?" Langsam rieb ich mir mit meinem Ärmel über die Nase. Ich musste aussehen, wie ein kleines Kind, das nicht wusste, wie man sich anständig anzog. Dann fiel mir auf, dass ich einen von Alex' Pullis trug, den ich ihm nie zurückgegeben hatte. Innerlich war mir danach, mir die Hand gegen die Stirn zu schlagen.
"Ähm, ja. Deshalb bin ich hier. Wir wollten heute ins Kino ... mit den anderen? Erinnerst du dich?" Er lächelte abwartend und legte den Kopf ein wenig schief.
Ach ja, richtig. Die Movie Night. Die hatte ich komplett verdrängt, zusammen mit allen anderen Gefühlsregungen.
"Ich ...ja. Komm rein", ich trat zur Seite, sodass er an mir vorbei ins Apartment schlüpfte. Just in diesem Moment fiel mir auf, dass es im Wohnzimmer aussah, als hätte ein "Herzschmerz-Tornado" gewütet. Überall lagen Taschentücher, DVD-Hüllen von Liebesfilmen und leere Eiscreme- und Snackverpackungen herum. Ich war tatsächlich in ein Loch aus Selbstmitleid gefallen.
"Ist bei dir wirklich alles in Ordnung? Ich-" Bei Alex schien es "Klick" gemacht zu haben. Kein Wunder, jeder halbwegs vernünftig denkende Mensch konnte hier eins und eins zusammenzählen.
Ohne etwas zu sagen, breitete Alex seine Arme aus und zog mich in eine feste Umarmung. Ironischerweise war dies genau das, was ich gebraucht hatte. Mir kam es vor, als hätte Alex durch diese Geste jenes Ventil geöffnet, welches meine Gefühle die letzten Tage zurückgehalten hatte. Tränen liefen mir über die Wangen und ich ließ meinem Körper die Freiheit, jegliche Gefühle zuzulassen.
"Hey, alles wird gut", hörte ich ihn murmeln, während seine Hände sanft über meinen Rücken strichen. Sofort fiel mir der Geruch auf, der Alex umgab. Jener vertraute Geruch, den ich so sehr vermisst hatte.
Ich lehnte mich zurück und schaute in Alex' schokoladenfarbene Augen, die mich schon bei unserem ersten Treffen verzaubert und nie damit aufgehört hatten. Langsam gab ich meinem Verlangen nach und kam seinen Lippen näher-
"Ich glaube, das sollten wir nicht tun", unterbrach er meine Handlung und ich stoppte abrupt. Ein warmes Lächeln lag auf seinen Lippen, als er mich aufmerksam musterte
"Izzy, ich ...ich glaube, du handelst gerade ein wenig aus Verzweiflung. Vielleicht ...ist im Moment nicht der richtige Zeitpunkt dafür."
Damit hatte er wohl Recht. Ich war wirklich ein wenig verzweifelt. Andererseits ...
"Hey, was hältst du davon: wir schauen uns jetzt gemeinsam einen Film an und später bestellen wir Pizza. Na?"
"Klingt gut", war alles, was ich herausbrachte. In Wirklichkeit schwirrten mir tausend Wörter im Kopf herum, die ich eigentlich sagen wollte.
Während ich den Müll ein wenig beseitigte, klinkte sich Alex ins Internet, um einen Film rauszusuchen. Ich holte eine neue Packung Chips und zwei Dosen Limo. Gemeinsam machten wir es uns auf der Couch gemütlich, wobei wir immer näher aneinander rutschten.
Irgendwann, als der Film nur noch im Hintergrund lief und sowohl Getränke als auch Chips leer waren, murmelte ich: "Ich ...handle nicht aus Verzweiflung, auch wenn es so wirkt. Mir scheint es nur längst überfällig, das zu tun." Vor allem, es wieder zu tun.
"Das ist wirklich süß, Izzy. Ich will nur nicht der Typ sein, der deine Trauer ausnutzt. Ich habe dir schon einmal wehgetan und das ist sowieso unverzeihlich und-"
Ich machte seinem Geschwafel ein Ende, indem ich den Abstand zwischen uns verringerte. Diese Geste war wirklich überfällig gewesen. Auch wenn mich Alex verletzt hatte, irgendwie war da ein unsichtbares Band gewesen, welches uns die ganze Zeit zusammengehalten hatte.
Ebendieses Band war auch dafür verantwortlich, dass plötzlich sämtliche Trauer von mir abfiel. Ich spürte nur noch Alex' Lippen, die perfekt auf meine passten. Jede Zelle meines Körpers richtete die Aufmerksamkeit auf den Kuss, der mir wieder einmal bewies, wie besonders meine Beziehung zu Alex war. Schon damals, als ich dem Verlangen nachkam und ihn immer wieder im Gefängnis besuchte, hätte mir ein Licht aufgehen sollte. Stattdessen versteckte ich die Tatsache hinter falschen Gefühlen und der Behauptung, "nur Freunde" zu sein.
Pah, das war eine glatte Lüge gewesen, welche ich mir und dem Rest der Welt aufgetischt hatte.
Und nun war es Zeit, die Lügengeschichten aufzudecken und mir einzugestehen, dass nichts und niemand dieses Band zwischen mir und Alex auseinanderreißen konnte.
Als wir schwer atmend voneinander abließen, sprach ich das aus, was ich mir immer insgeheim gedacht hatte: "Ich liebe dich, Alex."
"Und ich liebe dich, Izzy", flüsterte er mir ins Ohr, was mich sofort rot werden ließ. Mein ganzer Körper schien zu kribbeln, wobei dies auch an den Küssen von vorhin liegen konnte. Eng aneinander gekuschelt saßen wir auf dem Sofa und genossen die Zweisamkeit.
"Ich werde vermutlich trotzdem noch ein Weilchen brauchen, um mir selbst zu verzeihen, aber die Tatsache, dass du bei mir sein wirst, macht es um einiges leichter." Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, welches mein Herz direkt dahinschmelzen ließ.
"Ich werde auch noch Zeit brauchen, um mit diesem ganzen 'breakup-Kram' klarzukommen, aber wie du schon sagtest, gemeinsam wird es leichter." Dann verloren wir uns erneut in einem Kuss, der mich an den Rand des Universums katapultierte.
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5 Miles
FanfictionSpinoff zu "Catch me if you can" / "Catch me if I fall" Achtung! Das Spinoff setzt am Kapitel 21 in "Catch me if I fall" an. Es macht also mehr Sinn, wenn die Geschichten bis dort gelesen wurden. Ab Kapitel 6 spielt "5 Miles" in der Zukunft; Spoile...