Bella
Eigentlich sollte ich glücklich sein.
Die Ferien waren in vollem Gange, unsere Band blieb weiter bestehend, meine Schwester war Landesmeisterin im Marathonlaufen ...
Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass noch etwas fehlte.
Da meine Familie heute keine Zeit hatte, besuchte ich die Kletterhalle alleine. Auf der einen Seite war ich stolz auf meine Schwester; immerhin war sie unglaublich erfolgreich. Auf der anderen Seite war sie immer seltener zu Hause und ich vermisste sie.
Hope reiste mit ihren Freunden quer durch Europa und Lory besuchte ihre Tante. Danny war zu unsportlich und machte ebenfalls mit Eddie Urlaub an der Westküste.
Routiniert legte ich meine Klamotten in den vorgesehenen Spind und band meine Kletterschuhe zu.
Ich wärmte mich ein wenig auf und fing dann an, die Wände entlang zu klettern. Die Anstrengung forderte und erfreute mich gleichermaßen. Ich war erstaunt, wozu ich fähig war, wenn ich all meine Willenskraft reinsteckte und nicht aufgab.Nach knapp zwei Stunden war meine Kraft fast vollkommen aufgebraucht, aber ich wollte nicht nach Hause.
Noch nicht.
Ich konnte also noch weiter hierbleiben oder musste ins leere Wohnzimmer sitzen.
Natürlich entschied ich mich für ersteres, auch wenn es aus der Sicht der Ausdauer nicht sehr schlau war.
Ich kletterte also eine schwerere Route, versuchte meine letzten Kraftreserven zusammen zu kratzen und zog mich weiter nach oben.
Leider machten meine Arme im nächsten Moment schlapp und ich fiel.Direkt in die Arme eines blonden Typen. Seine braunen Augen musterten mich erschrocken.
"Alles okay bei dir?"
"Ähm ...ja", stammelte ich verdattert.
"Ich bin Joey."
"Bella", sprach ich immer noch vollkommen neben der Spur. Er ließ mich los und lächelte dann. Wenn er vor mir stand, war er fast einen Kopf größer als ich. Mein Blick fiel auf seine trainierten Oberarme. Hier hatte ich es wohl mit einem Sportsfreund zu tun.
"Ich habe dich hier schon oft gesehen ...wo sind die anderen Leute?" Er redete wohl von meiner Familie.
"Im Moment unterwegs", meinte ich. Joeys Lächeln allerdings veranlasste mich dazu, ihm von meiner Schwester zu erzählen.
Schließlich landeten wir in einem Coffeeshop und setzten unsere Unterhaltung dort fort. Ich erfuhr auch einiges über Joey.
Er studierte schon ein Jahr Wirtschaft und liebte die Public Library. In seiner Freizeit kletterte er gern, ob Felsenklettern in der freien Natur oder einmal quer durch die Halle.
Wir unterhielten bis spät in den Abend hinein, dann begleitete er mich nach Hause."Danke, war echt ein toller Abend."
"Finde ich auch", meinte er breit grinsend.
Etliche weitere Abende folgten auf diesen einen. Schon eine Woche nach unserem ersten Treffen sahen wir uns erneut in der Kletterhalle. Irgendwie wurde eine Art Tradition draus und wir trafen uns jede Woche einmal.
Die Treffen häuften sich; wir verlegten sie in andere Cafés, den Central Park oder die Bücherei. Auch im Sommer kam Joey dem Lernstress nicht aus.Eines Tages lud mich Joey dann zu sich nach Hause ein. Meine Mom hatte mir gerade geschrieben, dass sie morgen aus Kanada zurückkommen würden.
Ich fuhr mit der U-Bahn zur Adresse, die Joey mir genannt hatte. Er öffnete mir lächelnd die Tür und umarmte mich dann herzlich.
"Tritt ein in mein bescheidenes Heim!"
"Bescheiden" konnte er es wohl kaum nennen. Nachdem ich meine Schuhe in den hellen Flur gestellt hatte, folgte ich ihm in ein großes Wohnzimmer.
"Mein Dad ist Starfotograf und ziemlich viel unterwegs. Meine Mom arbeitet als Zahnarztassistentin am Empfang."
Ich bemerkte sofort den Flügel, der am anderen Ende des Raumes stand. Ein Klavier war schon etwas anderes als ein Keyboard. Der Klang war intensiver und einfach nur wunderschön.
Wir machten es uns nebeneinander auf dem kleinen Klavierhocker gemütlich. Ich beobachtete Joeys Hände, die langsam und geschmeidig über die Tasten glitten. Eine sanfte Melodie erfüllte den ganzen Raum. Unsere Blicke trafen sich und ich bemerkte das geheimnisvolle Funkeln in seinen braunen Augen. Ich legte meine Hände auf die Tasten und stimmte ein Lied an, als er geendet hatte.
Plötzlich spürte ich seine warmen Hände auf meinen. Ich setzte das Melodiespiel fort, während er die passende Überstimme hinzufügte. Unsere Finger tanzten wie von selbst über die Tasten, so als hätten sie nie etwas anderes getan. Die Energie um uns herum war atemberaubend; noch nie hatte ich so etwas gespürt. Es steckte so viel Liebe, Gefühl, Leidenschaft und pure Lebensfreude hinter unserem gemeinsamen Spiel, dass mir heiß und kalt gleichzeitig wurde.
Seine Hände strichen sanft über meine, als das Klavier verstummte und wir uns tief in die Augen sahen.
Dieses verlangende Funkeln konnte nur eines bedeuten ...Im nächsten Moment hatte Joey den Abstand zwischen uns verringert und zog mich in einen zärtlichen Kuss. Ich spürte seine weichen Lippen auf meinen und erwiderte sofort. Mein ganzer Körper fing an zu kribbeln und ich war überwältigt von den Glücksgefühlen, die sich in mir ausbreiteten.
Dies war der Beginn einer neuen Liebe und wir beide wussten das.
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5 Miles
FanfictionSpinoff zu "Catch me if you can" / "Catch me if I fall" Achtung! Das Spinoff setzt am Kapitel 21 in "Catch me if I fall" an. Es macht also mehr Sinn, wenn die Geschichten bis dort gelesen wurden. Ab Kapitel 6 spielt "5 Miles" in der Zukunft; Spoile...