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Sie schlang die Arme um meine Taille und lehnte ihren Kopf auf meine Schulter.
Konnte es so einfach sein? War das alles, was es gebraucht hat?

Ich hörte wie jemand die Treppe hoch kam, doch ich wagte es nicht,  sie aus meinen Armen zu lassen.
Ich wollte diesen Moment ewig währen lassen. Seit dem ich sie das erste mal sah, wollte ich sie spüren. Egal wie. Diese Umarmung schien mir da wie ein Weltwunder! Nie hätte ich gedacht das wir uns je nahe sein könnten, geschweige denn uns je Wiedersehen würden. Aber nun war beides eingetreten und ich fühlte mich in diesem Moment einfach nur wohl.
Ich hörte wie jemand ein Glas auf dem Wannenrand abstellte und wie die Tür zugezogen wurde. Aber ich sah nicht auf. Ich wollte nicht, dass die Realität mich zurückholte. Uns zurückholte.
Doch ich bemerkte wie Hailey unruhig wurde und sich langsam von mir löste. Bevor auch ich meine Arme von ihr nahm, sog ich heimlich ihren betörenden Duft ein. Versuchte ihn mir einzuprägen,  denn wer wusste wann ich ihr wieder so nahe käme?

Als ich sie ansah, hatte sie den Blick gesenkt.
"Ich..  ich.. also... gehe jetzt. Ähm, ja." Stammelte sie. Diese taffe, selbstsichere Frau rang gerade im Worte. Dabei war es nur eine Umarmung gewesen.
Als sie sich zum gehen wandte, überkam mich Panik. Was, wenn sie einfach geht und ich nie wieder Gelegenheit haben werde um mit ihr zu sprechen? Also, in Ruhe meine ich.
"Hailey..." begann ich, aber wusste nicht so recht was ich hätte sagen sollen.
Sie blieb stehen und atmete geräuschvoll aus.
"Was? Du kannst nichts sagen um mich hierzu behalten. . Ich bin mit Chris hier.. er wird mich bestimmt schon suchen."

"Du weißt genauso gut wie ich," begann ich meine vernichtende Ansprache "-dass, wenn du wirklich hättest gehen wollen, du schon längst gegangen wärst. Und wenn er dich suchen würde,  hätte er dich bereits gefunden. Du weißt nur nicht was das jetzt zu bedeuten hatte und deshalb willst du gehen." Ich weiß nicht wieso, aber ich fühlte das meine Worte mitten ins Schwarze getroffen hatten.
Und ihr Blick,  als sie sich zu mir umdrehte, bestätigte meine Vermutung. Sie sah mich geschockt an. "Was...?" Mehr brachte sie nicht zu stande.
Eine Ewigkeit verging,  in der keiner von uns etwas sagte. Plötzlich flammte in ihren Augen Entschlossenheit auf.
"Du hast keine Ahnung was ich denke. Du hast mich einfach perplex gemacht mit deiner Kinderumarmung! Und er sucht vielleicht nicht nach mir, wie ein gewisser Jemand, weil er weiß das ich immer zu ihm zurückkomme!"
Beim letzten Satz sog sie überrascht die Luft ein und schlug sich eine Hand vor den Mund. Ihre Augen vor Schreck geweitet, dass sie mir etwas derartig persönliches gesagt hatte.
"Immer? Wieso? Weißt er dich so oft ab?" Ich musste wissen was dieser letzte Satz zu bedeuten hatte. Ich musterte ihr Gesicht und versuchte ein Anzeichen dafür zu finden, dass ich wieder recht hatte.
Und ich fand es, wenn auch nur kurz,  sie blickte traurig und schmerzverzehrt auf den Boden.
"Hailey.." begann ich wieder und machte einen Schritt auf sie zu, damit ich sie trösten konnte.
"Ich hab.. ich wollte dir nicht.."

Doch ihre kalte blaue Augen bohrten sich in meine.
"Sei gefälligst still! Hör auf Vermutungen anzustellen! Du kennst mich nicht und doch erlaubst du es dir mir solche Dinge vorzuwerfen. Schon wieder!"
Sie machte auf dem Absatz kehrt und schlug die Badezimmertür heftig hinter sich zu und das Glas auf der Badewanne fiel um und zerbrach darin.

"Verfickte Scheiße!"

Ohne nachzudenken riss ich die Tür auf und rannte die Treppe runter. Naja, rennen in slow motion wahrscheinlich. Denn auch wenn mein Kopf wieder frei war, so war mein Körper doch noch stark vom Gras beeinflusst.

Ich ging auf die Terrasse und suchte nach nassem, roten Haar... und fand sie bei diesem scheiß Wichser.
Zu meinem bedauern musste ich feststellen, dass sie sich gerade von Janine verabschiedeten. Und ich konnte nichts tun. Ihr eine Szene zu machen, würde sie nur noch wütender auf mich machen. Außerdem würde sie mich dann wohl garnicht mehr an sich ran lassen,  weder meine Berührung noch meine Worte.
Verzweifelt blickte ich ihnen hinterher,  ich atmete noch immer schwer von meinem Sprint und fühlte mich einfach nur... scheiße.

Als dieser Chris auch noch seinen Arm um ihre Taille legte, entwich alle Luft aus meiner Lunge.
Ich sah rot.
Nein, ich sah schwarz.

Ich sah.. Punkte.

Und meine Knie gaben nach. Ich wurde von allen angestarrt. Doch es war mir egal. Ich wusste nicht warum mein Körper so heftig reagierte, doch er vermittelte in diesem Moment meinen Gemütszustand.

Ich war enttäuscht, gebrochen, verzweifelt. Und dass, obwohl sie nicht mal etwas schlimmes getan hatte.
Sie hatte mir nur gesagt,  dass sie immer zu ihm zurück kommt, auch wenn er sie von sich stößt. Und ich weiß das ich ihre Gedanken genau getroffen hatte,  aber sie wollte das nicht hören. Sie wollte nicht einsehen, dass ich sie... dass ich sie deuten konnte. Ihre Empfindungen verstand. Das machte mich fertig. Selbst wenn sie mich nicht auf diese romantische Art mochte, dann doch wenigstens auf die Freundschaftliche. Und Freunde sind doch Leute, die sich auf Anhieb verstehen und vertrauen.

Ich hatte gedacht, wenigstens irgendwann diese Ebene mit ihr erreichen zu können, doch sie fühlte sich nur von mir bedroht.
Und suchte Schutz bei Jemandem, der sie hundert prozentig nicht verdiente.

Zwei Arme zerrten mich hoch. Eine Berührung die mich wieder weckte und meine Taubheit vertrieb.
"Was ist los mit dir?" Die Arme gehörten zu Marc, der mich besorgt musterte.
"Nichts." Ich wollte nicht darüber reden. Auch wenn meine Gedanken zu schreien schienen, ich wollte sie nicht aussprechen.
"Ich bin kein Idiot! Du kannst mir sagen was mit dir los ist." Marc schaute mir bedeutungsvoll in die Augen. Sie waren etwas glasig und gerötet. Er war ziemlich betrunken,  in diesem Zustand wurde er entweder sentimental oder aggressiv. Je nach dem was er trank.
"Ich.. hab nichts man. Nur zu viel." Log ich.
"Okay.. du kannst auf der Couch pennen wenn du willst." Er klopfte mir auf die Schulter. "Und ich feier noch ein wenig."

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Erschöpft ging ich wieder vors Haus und lies mich auf die Stufen sinken.
Ich brauchte Ruhe denn meine Gedanken schrien immernoch und machten genug Lärm.
Meine Gedanken kreisten immerzu um eine Frage: Wieso war sie so zärtlich zu mir gewesen und im nächsten Moment so aggressiv, so abwehrend? Jemandem zu sagen, was man selbst denkt, was den anderen beschäftigt,  war für mich immer wie ein Kompliment gewesen.
Eine besondere Art, jemandem zu zeigen, wie sehr man ihn kannte. Wie sehr man sich in jemanden reinversetzen konnte.

Wieso verstand sie das nicht?

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