Das restliche Schuljahr, welches für Albus aufgrund seines Abschlusses schon früher geendet hatte, verbrachte Aberforth zuhause. Hogwarts war nachsichtig gewesen; er musste nicht wiederholen. Arianas Zustand verschlechterte sich, denn sie machte sich für den Tod ihrer Mutter verantwortlich. Albus wusste, dass es nun das beste war, ihr zu sagen, dass ihre Vorwürfe nicht stimmten, aber das wäre eine Lüge gewesen.
Den anderen Dörfler hatten sie erzählt, ihre Mutter wäre an Drachenpocken gestorben, weshalb sie nun noch mehr Abstand zu den Dumbledores hielten, als ohnehin schon. Einzig und allein eine Historikerin und gute Freundin der Familie kannte die Wahrheit: Bathilda Bagshot.
Sie schaute regelmäßig bei ihnen vorbei, brachte ihnen Muffins oder andere Leckereien, obwohl Albus oftmals nur dankend abwinkte, da sie auch als Vollwaisen alleine klarkamen. Von dem Geld, welches das Ministerium dem jungen Zauberer für die Weltreise zur Verfügung gestellt hatte, kaufte er nun ein. Seine Koch- und Backkünste waren irgendwann so hervorragend, dass er sich traute, Miss Bagshot zum Essen einzuladen.
„Vortrefflich, Albus, wirklich", sagte die Dame, als sie an diesem Abend zusammen am Tisch im Untergeschoss des Hauses der Dumbledores saßen.
„Danke", meinte dieser leicht peinlich berührt und musterte erst seinen Kartoffelauflauf, dann seine Geschwister und ihren Gast. Miss Bagshot saß auf Albus' altem Platz, er hingegen auf dem seiner Mutter. Wieder einmal wurde er also daran erinnert, dass er nun das Oberhaupt der Familie war. „Das ist doch das Mindeste an Dank, was ich Ihnen aussprechen kann."
„Ach was." Sie machte eine Handgeste. „Ich hab doch selber keine Kinder, da freue ich mich, wenn mir jemand frischen Wind ins Leben bringt."
Aberforth zog kaum merklich eine Augenbraue hoch. Im letzten Monat hatte er sich rapide verändert, war erwachsener geworden. Alles in seinem Leben drehte sich nur noch um Ariana, obwohl Albus das Oberhaupt der Familie war. Er hatte seinen Bruder oftmals dazu aufgefordert, ein paar seiner Schulaufgaben zu erledigen, damit er sich ausruhen konnte. Stur wie er war, lehnte er diesen Vorschlag aber ab.
Als sie fertig waren mit dem Essen und sich das Geschirr selbst abwusch, brachten die beiden Brüder Miss Bagshot zur Tür, während Ariana sich wieder in ihr Zimmer zurückzog. Albus war zuversichtlich; sie hatte mehr gegessen als sonst.
„Ach ja, Albus", begann Miss Bagshot, nachdem sie sich gerade verabschiedet hatten. Aufmerksam drehte auch Aberforth sich wieder zu ihr. „Bevor ich's vergesse. In einer Woche besucht mich mein Großneffe, er ist ungefähr in deinem Alter und ein sehr talentierter Zauberer."
Im Kopf ging Albus die Namen seiner ehemaligen Klassenkameraden durch. Er kannte niemanden mit dem Nachnamen Bagshot und hatte nicht gewusst, dass sie Verwandtschaft besaß - die Dame hatte sein Interesse geweckt.
„In welchem Haus ist er?", fragte Aberforth stattdessen.
Miss Bagshot schüttelte nur den Kopf. „Er war nicht auf Hogwarts."
„Nicht auf Hogwarts?", wiederholte Albus ungläubig. Warum trieb es diesen Ausländer in das kleine verschlafene Dörfchen Godric's Hollow? Wahrscheinlich nicht wegen seiner Großtante, sonst hätte er sie schon öfters besucht oder Miss Bagshot wenigstens früher von ihm gesprochen.
„Nein, nein, auf Durmstrang. Aber wie ich sagte, außerordentlich talentiert, ich werde ihn dir gleich vorstellen, wenn er da ist!", kündigte Miss Bagshot an. Danach verabschiedeten sie sich endgültig.
„Aus Durmstang", murmelte Aberforth. „Alles Schwarzmagier."
„Sag sowas nicht", warf Albus ein, während er seinen mahagonifarbenen Zauberstab in kreisförmigen Bewegungen durch die Luft schwang, um das saubere Geschirr in die Schränke zu räumen. „Wir kennen ihn noch gar nicht."
In diesem Moment landete ein brauner Waldkauz vor dem Fenster und klopfte leicht mit dem Schnabel dagegen. Sofort hechtete Albus auf ihn zu und entriegelte die Läden. Der Vogel trug einen Brief am Bein. Mit klopfendem Herzen knotete Albus ihn ab und gab dem Kauz zum Dank ein paar Reste des Kartoffelauflaufs, bevor er das Fenster wieder schloss.
„Und, wo ist er jetzt?", fragte Aberforth beiläufig. Inzwischen hatte er die Küchenarbeit aufgenommen.
„Peru", antwortete Albus sehnsüchtig und überflog die Zeilen auf dem Pergament, die sein Freund Elphias ihm sorgfältig geschrieben hatte.
Lieber Albus,
Kaum zu glauben, dass 1/6 der Reise nun schon um ist. Ich habe dir viele Dinge mitgebracht und kann es kaum erwarten, dir diese zu schenken. Natürlich habe ich auch etwas für deine Geschwister. Die nächsten zwei Tage bin ich in Peru, genauer gesagt in Huancayo. Ich freue mich schon darauf, mein Quechua unter Beweis zu stellen.
Du würdest es hier mögen. Ich weiß, das schreibe ich in jedem Brief, aber es ist nun mal ein Fakt. Ich vermisse dich. Irgendwann werden wir das zusammen nachholen, das weiß ich.
Grüß deine Geschwister ganz lieb von mir und sag Aberforth, er soll sich nicht zu sehr auf Ariana fokussieren.
Elphias
Die letzten sechs Sätze waren in jedem Brief gleich, den Elphias ihm schrieb. Fast alle zwei Tage erreichte ihn einer. Und jedes Mal wurde er vom selben Fernweh gepackt, während er die Wörter las. Was würde er nun darum geben, bei in Huancayo bei Elphias zu sein, oder einfach irgendwo mit irgendwem als in diesem Haus mit seinen Geschwistern zu sein? Er liebte seine Familie und wusste, dass es nun wichtiger als je zuvor war, sich um sie zu kümmern. Und doch...
Er war jung und wollte etwas erleben, seine eigentliche Freiheit auskosten.
Nachdem sie die Küche fertig aufgeräumt und sich um Ariana gekümmert hatten, gingen die Brüder in ihre Zimmer. Aberforth würde lernen, Albus setzte sich daran, eine Antwort für Elphias zu verfassen, während der Waldkauz Hamish sich auf seinem Schreibtisch das Gefieder putzte. Er würde sich ein paar Tage hier ausruhen, bis Dotty mit einer Antwort von Elphias wiederkam. Danach würde Hamish zurück zu Elphias fliegen und das ganze Spiel von vorne losgehen.
Als er fertig war, legte er die Feder zurück und verschloss das Tintenfass sorgfältig, bevor er das Pergament zusammenrollte und zum Fester ging. Er öffnete es und genoss für ein paar Sekunden die kühle nächtliche Brise, die sein kastanienbraunes, kinnlanges Haar verstrubbelte. Dann rief er nach Dotty, die gerade auf Jagd war. Bald darauf kam die kleine Waldohreule hereingeflattert und hockte sich auf Albus' Schulter. Sie knabberte leicht an seinem Ohr, also ging er davon aus, dass sie nicht erfolgreich gewesen war.
„Ich habe einen Brief für dich." Er befestigte das Pergament an ihrem Fuß. „Elphias Doge." Dann stieß Dotty sich ab und verschwand fast lautlos in den dunklen Fängen der Nacht, welche sich wie ein schützendes Band über das kleine Dörfchen Godric's Hollow gelegt hatte.
„Gute Nacht, Hamish", murmelte Albus und legte sich ins Bett. Der kleine Kauz schien aber schon zu schlafen, was für Eulen eigentlich untypisch war. Es dauerte lange, bis Albus es ihm gleich tat.
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Dunkelste Kunst (Albus Dumbledore und Gellert Grindelwald)
FanficSommer 1899. Das neunzehnte Jahrhundert neigt sich dem Ende und der junge Albus Dumbledore ist voller Motivation, eine Weltreise mit seinem Freund Elphias zu starten. Doch der unerwartete Tod seiner Mutter am Vorabend der Abreise wirft die Pläne des...