4. Kapitel

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Endlich kamen wir im sechsten Stock an. Nach den ersten beiden Absätzen, war Stephen wieder sicher genug gewesen, alleine zu laufen. Er hatte sich gegen den Aufzug entschieden. Ich stieß die Tür des Treppenhauses auf und zu dritt traten Stephen, Christine und ich auf den Gang des sechsten Stocks. Mädchen war es, anders als andersherum, erlaubt, den Jungsflügel zu betreten. Das hatte uns allerdings nicht davon abgehalten uns doch manchmal rüberzuschleichen. Stephen kramte seinen Zimmerschlüssel aus der Hosentasche und öffnete seine Zimmertür. Zu dritt betraten wir sein Zimmer. Es hatte keine Kommunikation gegeben, wir taten es einfach. Sofort ließ Stephen sich auf sein Bett fallen, riss sich die Krawatte vom Hals und öffnete die obersten Knöpfe seines Hemds. Rasch zog ich Christine zur Tür. "Du kannst ruhig wieder runtergehen und das schonmal mit dem aufsichthabenden Lehrer klären.", murmelte ich ihr zu und warf dabei einen Blick zu Stephen, der mit den Händen über den Augen still da lag. "Ich bleibe noch kurz bei ihm, um sicherzustellen, dass es ihm soweit gut geht." Ich blickte wieder zu Christine. Sie nickte mir zu und griff nach der Türklinke. Kurz bevor sie durch die Tür verschwand drehte sie sich nochmal um und murmelte: "Gute Besserung, Stephen." Er grummelte etwas unverständliches. Dann schloss sie die Tür hinter sich und war verschwunden. Langsam ging ich zu Stephens Bett und setzte mich neben ihn auf die Bettkante. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und blickte mich mit seinen grün-blauen Augen an. Ich wandte den Blick zum Fenster. Seltsamerweise fühlte ich mich unsicher in seiner Gegenwart. Kurz herrschte Schweigen. Ich sah mich in Stephens Zimmer um. Auf seinem Schreibtisch standen ein Laptop, eine Lampe, eine Box mit Stiften und in einem Regal daneben seine Schulsachen. Darüber hing eine Pinnwand mit Bildern und an den Wänden Poster von Depeche Mode und anderen Bands. An der Wand neben der Tür stand sein Kleiderschrank. Ohne ihn anzusehen fragte ich Stephen: "Wieso hast du das gemacht?" Nun schaute ich ihn doch wieder an. Auf seiner Oberlippe waren noch Spuren von Blut. Wie gern würde ich sie wegwischen. Stephen stützte sich auf seinen linken Unterarm und ich rutschte ein Stück von ihm weg, was er mit einem Stirnrunzeln quittierte. "Wieso sollte ich mich vor dir für mein Handeln verantworten müssen?", konterte er mit einer Gegenfrage. Seine Augen hatten wieder diesen dunklen Glanz wie vorhin. "Weil du dich gerade wegen eine Pappfigur zusammenschlagen lassen hast.", entgegnete ich und wischte tatsächlich das Blut weg. Entweder war Stephen zu überrascht oder es kümmerte ihn nicht, jedenfalls zuckte er nicht einmal mit der Wimper. Ich zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte das Blut damit ab. Stephen fuhr sich über die Stelle, die ich berührt hatte. "Die Kleinen haben mich an jemanden erinnert.", sagte er nur und ließ sich zurück aufs Bett fallen. Ich sagte dazu nichts, sondern starrte nur auf ihn herunter. "Musst du nicht mal wieder raus auf den Hof?", fragte Stephen mich gereizt und warf mir einen grimmigen Blick zu. Schnell stand ich auf und strich meine Hose glatt. "Ja, ich, also, ich bring dir dann deinen Rucksack nach Englisch hoch.", stotterte ich schnell. "Wenn was sein sollte, dann kannst du mich gerne anrufen.", fügte ich noch hinzu und fummelte an meiner Krawatte herum. "Wieso sollte ich denn deine Hilfe brauchen?", schnaubte Stephen und wandte den Kopf zur Wand. Ich drehte mich um und rannte förmlich aus dem Zimmer. Nachdem ich die Tür hinter mir zugeknallt hatte lehnte ich mich dagegen und atmete erst einmal tief durch. Dann trottete ich zu einem der Erkerfenster gegenüber der Zimmertüren und ließ mich auf die breite Fensterbank fallen. Ich lehnte mich in die Kissen und blickte runter auf den Schulhof. Es war gerade einmal der erste Schultag und Stephen hatte sich bereits mit einem Lehrer und dem größten Schläger der Schule angelegt. Und war auch noch aus beidem mehr oder weniger als Sieger hervorgegangen. Und dann noch wie er mich gerade aus seinem Zimmer geworfen hatte. Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir Frienden geschlossen hätten, nachdem ich ihn doch aus Versehen angerempelt hatte, doch wie es schien war dem nicht so. Und das schmerzte mich auf ungeahnte Weise. Ich blieb noch ungefähr fünf Minuten unschlüssig auf der Fensterbank sitzen, doch schließlich musste ich wieder nach unten, denn es hatte zur Ende der Hofpause geklingelt und die Schüler bewegten sich in Richtung des Schulgebäudes.

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