10. Kapitel

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"Stephen, warte mal!", rief ich und kam auf ihn zugelaufen. Er hatte gerade mit Christine wieder das Schulgelände betreten. Anscheinend waren sie in der nahen Stadt gewesen, in die wir an Wochenenden und in den Ferien Ausflüge machen durften. Stephen beugte sich zu Christine runter und murmelte ihr etwas zu, worauf sie nickte und ihn alleine ließ. Er vergrub seine Hände in den Taschen seiner Jeans und wartete, dass ich bei ihm zum Stehen kam. "Was ist los?", wollte er wissen. "Du hast vorhin ja gesagt, dass du beschäftigt bist, also wollte ich jetzt nochmal mit dir reden.", erklärte ich ihm. Stephen stöhnte auf. Ich lachte nervös. "Also, wegen gestern.", begann ich. "Wie soll es jetzt weitergehen?" Er sah mich etwas ratlos an. "Das habe ich dir doch vorhin schon gesagt.", meinte er mit gerunzelter Stirn. "Ja, ich weiß schon, aber trotzdem. Ich meine, treffen wir uns jetzt weiterhin auf dem Dach und all das?", erwiderte ich. "Meinetwegen kannst du gerne weiterhin nachts mit aufs Dach kommen.", antwortete Stephen schulterzuckend. "Und ansonsten? Tagsüber?", hakte ich nach. Ich suchte Augenkontakt mit ihm, doch Stephen hatte den Blick gen Himmel gewandt. "Tagsüber? Was soll da sein?", fragte er und sah mich nun doch an. "Wirst du mich da weiterhin ignorieren?", stieß ich aus. Kurz starrte ich ihn nur selbst überrascht an. Jetzt war es draußen. Stephen, der bisher relativ entspannt dagestanden hatte, richtete sich nur auf. Ich war zwar inzwischen etwas gewachsen und er im Gegensatz nicht mehr, doch trotzdem trennte uns immer noch ein halber Kopf Größenunterschied. Ich sah zu ihm hoch. "Was soll das bedeuten, Tony?", wollte Stephen ruhig wissen. Sein Gesichtsausdruck hatte sich von unbeschwert, vielleicht etwas genervt, in grimmig verwandelt. Jetzt gab es kein Zurück mehr, um das zu sagen, was mir schon lange auf der Seele brannte. "Es ist so. Nachts, wenn wir beide auf dem Dach sitzen, bist du offen und lachst. Dann fühle ich mich wohl bei dir. Aber tagsüber, da gehst du an mir vorbei wie an einem Fremden. Allen anderen begegnest du mit herzlicher Freundlichkeit und bist charmant, aber mich grüßt du nur aus Höflichkeit und dann ignorierst du mich einfach.", warf ich ihm vor. "Und ich will nur wissen, ob das jetzt auch weiterhin so bleibt." Fast schon trotzig sah ich ihn an. "Hör zu, Tony.", meinte Stephen kühl. "Ich weiß nicht, was dein Problem ist. Ich habe dir gesagt, dass du gerne weiterhin aufs Dach kommen kannst. Dir als Einzigem. Wenn dir das nicht reicht oder passt, dann ist das dein Problem. Erwarte nicht, nur weil ich letzte Nacht für dich da war, dass wir auf einmal einen auf Best Buddies und so machen. Wenn es sein müsste, dann würde ich das auch für Steve oder Rhodey, ja, sogar Sam oder Drax machen. Also bilde dir bloß nichts ein.", fuhr er mich an. Erschrocken, von seiner heftigen Reaktion, zuckte ich zusammen. Meinte Stephen das ernst? Mein Gesichtsausdruck schien Bände zu sprechen, denn Stephen antwortete: "Ja, das ist mein voller Ernst, Tony." "Okay, ich hab's verstanden.", murmelte ich leise und ließ den Kopf hängen. "Gut, man sieht sich.", verabschiedete Stephen sich und marschierte in Richtung Wohngebäude davon. Ich blickte ihm niedergeschlagen nach. "Hey, Tony!", rief da jemand und ich drehte mich zu Natascha um. Ihr Telefonat mit Steve war anscheinend endlich zu einem Ende gekommen und sie war auf dem Weg zum Sportplatz hinter der Turnhalle gewesen, um mit Basketball zu spielen, als sie mich bei Stephen gesehen hatte. Sie kam auf mich zugelaufen und sah dabei immer wieder zu besagtem, der, die Hände in den Hosentaschen vergraben und erhoben Hauptes, gerade im Wohngebäude verschwand, hinterher. "Und, wie ist es gelaufen?", wollte sie wissen. Offensichtlich war es bei ihr besser gelaufen, denn sie grinste übers ganze Gesicht und schien gar nicht zu bemerken, dass mir so gar nicht nach grinsen zumute war. Trotzdem setzte ich ein Lächeln auf. Ich wollte nicht dass sie sich schlecht fühlte, weil sie mich gedrängt hatte mit ihm zu reden. Denn Natascha hatte richtig gelegen. Ich hatte das klären müssen, auch wenn es nicht so ausgegangen war, wie ich es mir erhofft hatte. Wobei ich immer noch rätselte, was ich nun eigentlich hatte klären sollen. "Zumindest ist es jetzt geklärt.", antwortete ich nur. Jetzt schien meine Freundin doch etwas zu bemerken. "Oh.", machte sie nur. "Das tut mir leid, Tony.", meinte Natascha. "Ist schon okay. Weißt du, es war für uns beide unangenehm, deswegen haben wir gesagt, dass wir einfach mal eine Weile auf Abstand bleiben müssen.", beschwichtigte ich sie mit der halben Wahrheit. Meine Freundin sah mich skeptisch an. Sie glaubte mir nicht. Ich versuchte ein überzeugendes Grinsen zustande zu bringen. "Ist schon okay. Ich rede heute Nacht mit ihm.", fügte ich noch hinzu. Sie nickte, anscheinend überzeugter. "Aber lass es ruhig angehen. Ich glaube er...", sie führte den Satz nicht zu Ende. "Was er?", wollte ich wissen. "Ach, nichts.", winkte Natascha ab und sah zu den Basketballspielern. "Wollen wir mitmachen?", fragte sie und deutete mit dem Kinn in Richtung Sportplatz. Ich nickte. Ein bisschen Ablenkung würde mir gut tun.

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