8. Kapitel

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In meine Decke gewickelt stand ich auf dem Flur und klopfte gegen Stephens Tür. Nach ein paar Sekunden wurde sie von innen geöffnet und Stephen stand mir gegenüber, nur in Tshirt und Shorts. Unter anderen Umständen hätte mir das ein Grinsen entlockt, doch jetzt stolperte ich einfach nur an ihm vorbei ins Zimmer. Er schloss die Tür und trat zögerlich zu mir. "Was machst du hier, Tony?", fragte er. "Ich konnte nicht schlafen.", antwortete ich nur. Stephen betrachtete mich mit undeutbarem Blick, wie ich da mit hängenden Schultern, zerzausten Haaren und in meine Bettdecke gewickelt stand. "I-ich dachte einfach, dass-", begann ich doch kam nicht weiter. Ich hielt mir die Hand vor den Mund und versuchte das Schluchzen zu unterdrücken. "Ach, Tony.", seufzte Stephen nur und zog mich an sich. Eine ganze Weile standen wir so da. Meine Stirn lehnte an Stephens Brust und er strich mir sanft über den Rücken. Als sich mein Herzschlag und mein Atem wieder beruhigt hatten und ich sicher war, nicht gleich in Tränen auszubrechen, löste ich mich sanft aber bestimmt von Stephen. "Ich sollte wirklich wieder rüber gehen und versuchen zu schlafen. Außerdem kann ich dich ja nicht wachhalten.", meinte ich und wandte mich schon zur Tür. "Das einzige wovon du mich abhalten könntest, wäre mich zu langweilen.", erwiderte Stephen und ging zu seinem Bett. Er ließ sich darauf fallen und griff nach dem Buch, das er gelesen haben musste, bevor ich ins Zimmer gekommen war. Er schlug es zu und warf es auf seinen Nachttisch. Die Türklinke schon in der Hand sah ich zu ihm. Es stimmte nicht. Ich würde nicht versuchen zu schlafen. Ich würde die ganze Nacht wach auf meinem Bett sitzen und versuchen, nicht einzuschlafen, weil ich wusste, was ich in meinen Träumen sehen würde. Die Gesichter meiner Eltern. Als Stephen wieder zu mir blickte huschten seine Augen kurz über mein Gesicht, bevor seine Züge milder wurden und er auf seinem Bett ein Stück zu Seite rutschte. "Komm her.", wies er mich an und klopfte neben sich. Ich tappte zu ihm und ließ mich auf die Matratze fallen. Eine unangenehme Stille trat ein, denn keiner wusste was er sagen sollte. "Ich habe sie angerufen.", sagte ich schließlich. Stephen sah mich schräg von der Seite an. "Meine Mutter, ich habe sie angerufen." Er runzelte die Stirn. Ich zog die Beine an und die Decke enger um meine Schultern. "Es erschien mir der beste Weg, das loszuwerden, das ich versäumt hatte zu sagen.", fuhr ich fort. Stephen schob sein Kissen zu Seite und setzte sich im Schneidersitz so hin, dass er mich direkt von der Seite, mit schiefgelegten Kopf ansah. Ich begann einfach zu erzählen. "Weißt du, viele hören immer von Howard Stark, dem großen Entwickler und Geschäftsmann. Die Presse redet in höchsten Tönen von ihm und die Menschen reißen ihm seine Produkte förmlich aus den Händen. Aber das ist nur, wie er sich der Öffentlichkeit gibt. Viele würden vielleicht davon träumen, einen solchen Mann ihren Vater nennen zu dürfen, doch der Glanz dieser Vision verfliegt sehr schnell." Ich machte eine Pause, um zu sehen, wie Stephen reagierte. Doch dieser saß still da und beobachtete mich aus seinen blau-grünen Augen, eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn. Ich wandte den Kopf wieder ab und erzählte weiter. "Vater und Dad. Viele Menschen glauben, das sei desselbe. Doch ich habe den Unterschied kennengelernt. Denn im Vergleich zu vielen anderen hatte ich nur einen Vater. Nie einen Dad. Ich weiß, ich habe früher oft mit ihm geprahlt und mir seinen Namen auch schon zunutze gemacht, doch eigentlich wäre es mir doch egal gewesen, wenn er nur ein ganz normaler Bürger gewesen wäre. Ein Das und ein Sohn. Ich war für ihn nie sein Sohn, nur sein Werk. Sein größtes von allen, wie er es immer betonte. Doch immer noch nur ein Werk. Ja, manchmal, wenn ich richtig wütend war, hätte ich ihn gerne unter der Erde gewusst, doch wer tut das in solchen Situationen nicht.", meinte ich und musste traurig lächeln. "Aber er war doch immer noch mein Vater. Und ich habe ihn doch trotz allem geliebt." Ich endete kurz. Stephen hatte sich inzwischen auf seinem Bett an der Wand ausgestreckt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Seine Brust hob und senkte sich regelmäßig, als würde er schlafen, doch seine offenen Augen verrieten mir, dass er noch wach war. Die Leselampe auf dem Nachttisch beleuchtete sein Gesicht in einem warmen Licht. "Happy hat mir erzählt wie es passiert ist.", nahm ich die Erzählung wieder auf. "Sie waren auf dem Weg zum Flughafen. Mein Vater wollte zu einem wichtigen Treffen. Ich weiß noch, dass er mir davon erzählt hatte, jedoch nicht mehr, worum es dabei ging. In den Sommerferien redete er fast ununterbrochen davon. Ich hatte eigentlich vorgeschlagen über die Herbstferien nach Hause zu kommen und meine Mutter hatte sich auch schon gefreut, dass ich die Ferien mal nicht im Internat verbringen würde, doch mein Vater war darüber nicht sehr glücklich. Denn mein Besuch würde heißen, dass er nicht zu diesem Treffen könnte. Das hatte meine Mutter so vereinbart. Keine Treffen wenn ich da war. Was ja schon nicht sehr oft war. Jedenfalls habe ich mich mit meinem Vater in der letzten Woche der Sommerferien gestritten. Ich weiß gar nicht mehr worum es überhaupt ging, sicher nur wieder etwas kleines dummes. Jedenfalls schrie ich ihn in der Wut an, dass ich lieber für den Rest meines Lebens im Internat bleiben würde, als in den Herbstferien nach Hause zu kommen. Naja, ist ja wohl so gekommen. Jedenfalls hat mein Vater dann den Termin doch vereinbart. Und heute wollten sie nach Frankreich dafür fliegen. Aber der Flieger ist ja nie abgehoben. Und das alles nur, weil ich nicht zuhause war.", den letzten Satz hatte ich geradezu herausgepresst. Mit zusammengekniffenen Lippen und Tränen in den Augen sah ich zu Stephen. Er setzte sich langsam auf. "Sag nichts.", verbot ich ihm den Mund, noch bevor er ihn aufgemacht hatte. Stephens Züge nahmen wieder diese Schärfe an. "Tony, ich bin wahrscheinlich einer der wenigen Menschen hier, die dich verstehen.", meinte er leise, in warnendem Ton. "Ach ja?", fragte ich gereizt. Wieso musste immer alle Welt einen verstehen?! Alle taten immer so verständnisvoll, obwohl nie etwas okay war. "Ich habe meine Schwester verloren.", eröffnete Stephen mir plötzlich unverwandt. Sofort verschwanden die grimmigen Falten auf meiner Stirn. "Ja, Tony.", lachte Stephen bitter, als er mein Gesicht sah. "Ich, das, e-es tut mir leid.", stammelte ich. "Februar, vor sieben Jahren. Ich war damals zehn.", meinte Stephen und ließ sich wieder zurück aufs Bett sinken. "Siebzehnter Februar. Ein verdammt kalter Februar. Ich weiß noch, dass der See nahe von unserem Haus zugefroren war. Den ganzen Tag hatte ich meine Mutter angebettelt, ob ich nicht mit meinen Freunden auf dem See schlittschuhlaufen könnte. Und am Nachmittag sagte sie endlich ja, unter dem Vorwand, dass ich von der Seemitte fernblieb. Ich stand schon in der Tür, die Schlittschuhe um den Hals hängend, da kam Donna angelaufen und wollte mit mir mitkommen. Ich mochte meine Schwester wirklich, aber ich wollte sie an dem Tag nicht gerne dabei haben, weil ich wusste, dass sie nicht schlittschuhlaufen konnte und ich dann auf sie aufpassen müsste, anstatt mit meinen Freunden waghalsige Kunststücke auszuprobieren. Aber meine Mutter meinte ich solle mich nicht so haben und da nahm ich sie mit. Meine Freunde fuhren bereits auf dem See Schlittschuh, also zog ich mir meine schnell an und half auch Donna bei ihren. Ich half ihr ein bisschen das Stehen und Laufen zu lernen, ließ sie dann aber alleine fahren, um das zu tun, wofür ich eigentlich gekommen war. Ich lief also mit meinen Freunden Schlittschuh, bis ich auf einmal Donna meinen Namen schreien hörte. Sie hatte es nicht kontrollieren können und war bis zur Mitte des Sees gefahren, doch dort war das Eis noch zu dünn und Risse hatten sich unter ihr gebildet. In Panik schrie ich ihr immer wieder zu, sie solle zu mir zurückkommen, doch sie hatte viel zu große Angst, um sich zu bewegen. Auch ich bekam es mit der Angst zu tun, wusste ich doch nicht, was ich machen sollte. Hätte ich von Anfang an auf sie aufgepasst, wäre so etwas nie passiert. Wir standen alle ängstlich da und wussten nicht was wir machen sollten, während Donna immer wieder nach mir rief. Ich weinte und bat sie, sich doch zu bewegen und zu mir zu kommen, doch sie war wie gelähmt vor Angst. Also machte ich das wohl dümmste. Ich lief ihr entgegen. Ich fühlte mich verantwortlich für ihre Situation und wollte sie einfach nur beschützen und sicher wissen. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst. Doch wenn das Eis schon keine Siebenjährige hält, dann erst recht keinen Zehnjährigen." Stephen machte eine kurze Pause. Er schien mit sich selbst zu kämpfen. Zaghaft, da ich nicht wusste wie er reagieren würde, rutschte ich näher und legte mich dann neben ihn. Vorhin war ich noch derjenige gewesen, den es zu trösten galt. Jetzt hatte sich das ganze umgekehrt. Ich wusste jedoch nicht was ich machen sollte, um ihm mein Beileid auszusprechen, also legte ich einfach meinen Kopf auf seine Brust und lauschte seinem klopfenden Herzen, während ich sanft mit den Fingerspitzen über das Tshirt fuhr. Stephen, den das offenbar überraschte hatte, fuhr nach einem kurzen erstickenten Räuspern fort. "Das Eis brach. Allerdings nicht unter mir, wo ich doch schwerer war, sondern unter Donna. Und ich sprang hinterher. Verzweifelt versuchte ich sie aus dem Wasser zu ziehen, wobei ich selbst damit kämpfte, nicht zu ertrinken. Ich bin an diesem Tag tatsächlich fast ertrunken, doch jemand zog mich aus dem Wasser, bevor es dazu kam. Ich wünschte derjenige hätte Donna aus dem Wasser geholt und nicht mich, der nicht einmal auf seine Schwester aufpassen konnte.", schnaubte Stephen und beendete so seine Erzählung. "Meine Mutter wollte es nie wahrhaben, doch ich bin für Donnas Tod verantwortlich.", fügte er noch hinzu, bevor seine Stimme brach. "Scheiße.", murmelte er und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Ich hob den Kopf und sah, dass seine Augen gerötet waren. "Stephen, es-", fing ich an, doch Stephen unterbrach mich. "Schon gut, Tony. Es ist sieben Jahre her, ich sollte nicht mehr rumheulen deswegen. Es bringt sie ja eh nicht zurück. Und doch sehe ich sie immer noch überall. Ich sehe sie in den Siebtklässlerinnen, für die ich mich von Damian zusammenschlagen lassen habe, ich höre ihr Lachen im Wind in den Bäumen, ich fühle ihre Hand noch in meiner. Nach sieben verdammten Jahren kann ich sie immer noch nicht loslassen und hasse mich dafür. Ich hätte es verdient damals zu ertrinken.", meinte er mit grimmiger Stimme. "Nein.", erwiderte ich und strich ihm über die Wange. "Du warst zehn und hast dir selbst die Schuld an allem gegeben, weil du machtlos warst. Aber es gibt Dinge, über die haben wir keine Macht. Auch nicht, wann wir gehen. Du konntest dich nie bei ihr verabschieden oder dich entschuldigen." Stephen blickte zu mir auf. Da stand so viel Unsicherheit in seinem Gesicht geschrieben, so viel Schmerz und Schuld. Ohne es zu steuern beugte ich mich leicht vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Als ich mich wieder von ihm löste, war der harte Glanz aus Stephens Augen verschwunden. Jetzt sah er nur noch müde aus. Ich breitete meine Decke über uns beiden aus und knipste die Nachttischlampe aus, bevor ich mich wieder an ihn kuschelte. "Ich glaube, wir sollten einfach versuchen zu schlafen.", murmelte ich. Stephen gab keine Antwort, doch äußerte er sich auch nicht dagegen. Ich hatte gedacht, dass ich in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde, doch schon sehr bald fielen mir die Augen zu und kurz bevor ich weg war, spürte ich, wie Stephen seinen Arm um mich legte.








Helu ✌︎
Yay, noch am Sonntag geschafft!
Über die Uhrzeit reden wir mal nicht (;.
Aber was tut man nicht alles für die Leser.
Ja, also ich habe die Storyline dieses Kapitels sehr geändert, da aber eh keiner von euch meinen Plan kennt (so viel zu diesem, wenn ich um halb elf noch mal alles ändere) sollte das nicht so schlimm sein.
Ja, das Kapitel ist immer noch so scheiße wie davor, aber ich kann mir nicht helfen.
Hätte einer von euch eine Idee, wie das ganze mit Donna besser wäre, sich aber immer noch an den Canon hält?
Naja, aber das eigene Bett ruft, also lebt bzw schlaft lange und in Frieden.
Bye :3

All Of MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt