Fröstelnd zog ich die Schultern hoch und presste mich mit dem Rücken näher an den Schornstein. Der erste Dezember war kalt; trotz der dicken Jacke die ich trug und des Schornsteins in meinem Rücken zitterte ich. Doch es war nicht die kalte Nachtluft die mich frieren ließ. Mir fehlte eine ganz andere Art von Wärme. Eine, die von Stephen ausgegangen war. Einen halben Monat lag der Vorfall jetzt schon zurück, ein halber Monat, in dem doch so viel passiert war. Natascha und ich hatten tatsächlich Erfolg bei Steve und Bucky gehabt, Bruce hing auch nur noch mit Thor herum wegen irgendeiner Art Projekt, über das sie tunlichst schwiegen, Rhodey interessierte sich auf einmal wahnsinnig fürs Militär und Natascha und Clint engagierten sich außerschulisch für eine Art Verein. Was Stephen betraf, er hatte sich in jedem Fach in dem er neben mir oder in meiner unmittelbaren Nähe saß umgesetzt. Ich hatte mich noch nie so allein gefühlt. Ich hatte diese Nacht nicht einmal versucht zu schlafen, sondern war direkt aufs Dach gegangen. Für mich war dieser Platz inzwischen eine Art Zuflucht. Ich lehnte den Kopf in den Nacken und seufzte, als ich sich Schritte mir nähern hörte. Ich sprang halb auf und spähte am Schornstein vorbei, wer da aufs Dach kam. Die Sichel des Mondes spendete gerade genug Licht, um eine mir bekannte Gestalt desjenigen zu erleuchten, den ich mir doch so sehnlich bei mir wünschte und gleichzeitig nie wieder sehen wollte. Ich trat hinter dem Schornstein hervor und Stephen erstarrte. Er hatte wohl nicht damit gerechnet mich hier oben zu sehen, immerhin war ich seit über einem Monat nicht mehr auf dem Dach gewesen. Kurz starrten wir uns einfach nur an, doch schließlich brach Stephen die Stille. "Tony, ich-", begann er mit rauer Stimme, doch ich unterbrach ihn. "Schon gut, ich verschwinde, du hast das Dach.", meinte ich ungehalten und marschierte an ihm vorbei, nicht ohne ihn mit der Schulter anzurempeln. So hastig wie ich das Dach verlassen wollte, fiel ich fast zurück in die Waschräume und drückte mich dann an die Wand neben dem Fenster. Ich stierte einfach nur in die Dunkelheit, ohne auf einen Punkt zu fixieren und versuchte die Tränen, die sich in meinen Augen sammelten, zurückzuhalten. Als ich mir sicher war, dass es nicht so weit kommen würde, löste ich mich wieder von der Wand und spähte mach draußen. Stephen stand immer noch genauso da, wie ich ihn hatte stehen lassen. Ich meinte kurz zu sehen, dass seine Schultern unverhaltensmäßig tief hingen und dass er überhaupt sehr gebeugt dastand, als würde etwas schweres auf seinen Schultern lasten, doch dann schüttelte ich den Kopf. Stephen interessierte sich nicht für mich, wieso sollte ich mich dann für ihn interessieren? Ich atmete noch einmal tief durch, dann drehte ich mich um und verließ die Waschräume. Der Weg den dunklen Gang entlang zu meinem Zimmer kam mir viel länger vor, als normalerweise. Doch als ich dann endlich vor meiner Zimmertür stand, zögerte ich. Es erschien mir komisch in mein Zimmer zu gehen. Ich wusste nicht woher dieses Gefühl kam, doch schließlich ließ ich mit einem Seufzen von der Tür ab und betrat stattdessen das Treppenhaus. Im Gemeinschaftsraum angekommen schlängelte ich mich zwischen den ganzen Möbeln hindurch zu dem Regal, in dem ich mein Buch immer abstellte. Viele Schüler stellten einfach ihre Bücher in die Regale hier. Ich griff mir meins und ließ mich auf das nächstgelegene Sofa fallen. Im Licht der Leselampe die ich einschaltete, begann ich zu lesen, doch ich war nicht konzentriert und meine Gedanken schweiften immer wieder ab, so dass ich teilweise ganze Absätze immer wieder lesen musste. Schließlich gab ich es auf und schlug das Buch laut zu. Vielleicht sollte ich doch versuchen zu schlafen, dachte ich mit nebligem Verstand und ließ mich in die Polster sinken. Es dauerte auch nicht lange und ich begann wegzudämmern. Gerade als ich schon fast eingeschlafen war, ließ mich ein Pingen hochschrecken. Verwirrt blickte ich mich um, bis ich realisierte, dass ich eine Nachricht bekommen hatte. Ungeschickt fummelte ich mein Handy aus der Hosentasche und entsperrte es. Stephen hatte mir eine Nachricht geschickt. Noch unsicher was ich davon halten sollte, öffnete ich WhatsApp und sah sie mir genauer an. Er hatte mir einen Link geschickt, ohne Erklärung oder sonst etwas. Der Link führte zu Instagram, trotzdem war ich skeptisch. Was wollte Stephen auf einmal von mir? Schließlich siegte jedoch meine Neugier und ich tippte auf den Link. Instagram öffnete sich und ich fand mich auf einem Profil wieder. Erst war ich verwirrt, doch dann sah ich, wem das Profil gehörte. Vage erinnerte ich mich, am Anfang des Schuljahrs eine Anfrage für Stephens Profil gestellt zu haben, doch es bald darauf vergessen zu haben, als keine Annahme erfolgte. Jetzt sah ich auch, dass bei Follower nur ich gelistet war und bei Gefolgt eine Null stand. Mit gerunzelter Stirn scrollte ich mich durch die Posts nach ganz unten und begann sie mir anzusehen. Was hatte es mit all dem hier auf sich? Auf jedem einzelnen der Bilder, die schon vor einiger Zeit aufgenommen wurden, waren die selben zwei Personen zu sehen, manchmal mit und manchmal ohne Gesellschaft. Es handelte sich um Stephen und einen anderen Jungen. Stephen war damals noch ein ganzes Stück kleiner, seine Schultern waren schmaler und seine Haare nur einige Zentimeter kurz. Sein Gesicht zeigte damals noch nicht die tiefen Furchen auf der Stirn und die scharfen Kanten; es wirkte weich, fast kindlich. Der andere Junge war einige Zentimeter größer als Stephen, wirkte jedoch selbst gegenüber ihm schmal. Seine blonden Haare fielen ihm in die Stirn, wie es bei Stephen jetzt manchmal war. Doch das Wichtigste, die beiden sahen glücklich aus. Ein trauriges Lächeln huschte über mein Gesicht. Stephen sah schön aus wenn er glücklich war. Ich scrollte mich durch alle 38 Posts. Alle waren datiert und mit Ortsangabe. Es gab Bilder von den beiden am Strand, vor verschiedenen Sehenswürdigkeiten, in eine Decke gekuschelt auf dem Sofa schlafend, auf einem Skihang, an Weihnachten, mehreren Feiern und an vielen anderen Orten. Das letzte Bild zeigte die beiden an einem Sommerabend vor der Golden Gate Bridge. Das war in dem Sommer bevor Stephen ein Jahr lang nicht mehr in der Schule auftauchte, wenn das stimmte, was uns gesagt wurden war. Mit nachdenklicher Miene schloss ich Instagram wieder und saß dann eine ganze Weile in der Dunkelheit, bis ich endlich begriff. Das, verschlossen vor aller Welt, war eine Erinnerung, die zu schmerzhaft war, sie sichtbar aufzubewahren. Das war Stephens Innerstes. Und jetzt hatte ich es gesehen. Ich. Nach allem, was ich getan hatte. Nach allem was passiert war, ließ er mich nicht gehen, sondern erhielt den letzten seidenen Faden der uns noch verband. Vielleicht hatte er das, was er in der Stadt über mich gesagt hatte, genauso gemeint, wie ich es mir in meiner Verzweiflung zurechtgelegt hatte. Vielleicht war ich ihm ja doch nicht so egal, wie er es immer aussehen ließ. Augenblicklich fühlte ich mich schlecht, dass ich vorhin so ungehalten gegenüber Stephen gewesen war. Als ich das alles verarbeitet hatte stand ich schließlich auf, stellte mein Buch zurück ins Regal und machte mich auf in mein Zimmer.
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All Of Me
Fanfiction- Teil 1 - Ein neues Schuljahr beginnt am Felton-Internat und mit diesem kommt auch ein neuer Schüler. Tony weiß nicht was er von Stephen halten soll. Mit seiner charmant-arroganten Art wird er schnell beliebt, doch bleibt er im Direkten kühl und di...