Zoe ♡

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Ich musste mich am Geländer festhalten, ich drohte gerade komplett zusammenzuklappen. Eben war ich noch in unserer Ferienwohnung und auf dem Weg in mein Zimmer gewesen. Und dann war ich plötzlich ganz woanders, in einem anderen Zimmer, eines, was ich nicht kannte, ein schönes Zimmer mit großem Bett. Ach nein! Ich kannte das Zimmer ja doch, es war Hannahs Zimmer aus dem Traum. Ich konnte gut davon ausgehen, dass es auch ihr richtiges Zimmer war.

Ich spürte genau das Geländer in unserer Ferienwohnung zwischen meinen Fingern, aber ich sah es nicht, ich sah nur das Zimmer, was komplett leer war. Es passierte nichts und trotzdem konnte ich meine Aufmerksamkeit nicht auf etwas anderes lenken. Ich geriet in Panik, was sollte denn das? Langsam ließ ich mich am Geländer auf den Boden gleiten, die Hand nicht von dem kalten Metall nehmend. Ich seufzte und versuchte meinen Herzschlag wieder etwas zu beruhigen. Genau in diesem Moment kam Hannah in das Zimmer, ein Buch in der Hand, jetzt konnte ich auch endlich den Titel lesen. Ruhe vor dem Sturm! Ich hatte noch nie von dem Buch gehört, aber das Cover war urschön. Es waren Nordlichter, die wild um die Sterne zu kreisen schienen. In der Mitte stand ein Mädchen, dass in die Ferne und hoch in den Himmel zu schauen schien. Ein Stern funkelte besonders hell. Ich musste direkt an „Lauras Stern" denken, Kindheitserinnerungen von früher. Ich hatte die Serie immer bei meiner Oma abends zusammen mit ihr geschaut und dann zum Einschlafen mit ihr zusammen gehört.

Jetzt bezweifelte ich ja, dass sie das immer so toll fand, wie sie gesagt hatte. Aber naja, so sind Omas nun mal, oder? Ich grinste und lenkte meine Aufmerksamkeit mal wieder auf ihren Raum in meinem Kopf. Das Buch schien sehr spannend zu sein, sie konnte es nicht weglegen und lief sogar beinahe gegen das Bett, bevor sie sich daraufsetzen konnte. Lächelnd schaute ich ihr weiterhin zu und beobachtete ihre Augen dabei genau. Sie flogen wie wild durch die Zeilen, als wollten sie diese verschlingen. Sie weiteten sich und wurden wieder zu engen Schlitzen. Schien eine wirklich sehr sehr spannende Stelle zu sein!

Das Bild verschwamm, bis es schließlich gar nicht mehr zu erkennen war. Erschrocken über das plötzliche Ende des Kurzfilms starrte ich vor mich hin und bemerkte erst später, dass ich ja immer noch auf dem Boden hockte. Verwirrt richtete ich mich auf und torkelte in mein Zimmer. Ich musste sie anrufen! Ich musste sie jetzt anrufen! Etwas anderes blieb mir gar nicht übrig! Schnell griff ich nach meinem Handy und wählte ihre Nummer. Nach dreimal Tuten nahm sie ab.

„Hey, was ist?"

„Heißt dein Buch zufälligerweise Ruhe vor dem Sturm?"

„Äh jaaa, woher weißt du das?"

„Ich hatte ne Vision ..." Ich konnte es selbst kaum glauben. Dass, was ich sah, entsprach also tatsächlich der jetzigen Wirklichkeit.

„Du hast gerade darin gelesen, oder? Ist sehr spannend?"

„Ja, allerdings!" Sie musste lachen.

„Du hast nicht gerade zufälligerweise neben dem Geländer auf dem Boden gesessen, oder?", fragte sie.

„Ähm, ja doch, genau das." Ich musste über mich selbst schmunzeln.

„Heilige Scheiße!", entfuhr es ihr. „Dann hab ich jetzt auch diese Visionen." Ich schüttelte den Kopf, mehr zu mir selber als zu ihr.

„Hör mal, wir müssen uns nochmal treffen! Wie wär's mit Schlittschuhlaufen? Dann müssen wir unsere Eltern auch nicht anlügen.", ihre Stimme erhellte sich schlagartig.

„Okay, ja gute Idee, wenn du einen watschelnden Pinguin auf dem Boden liegen sehen willst." Ich lachte.

„Ach Quatsch! So schlimm wird es schon nicht sein!" Wir vereinbarten einen Termin und verabschiedeten uns anschließend voneinander.

In Gedanken versunken schlich ich die Treppe hinunter, keine Ahnung, warum ich schlich. Ich ging ins Wohnzimmer, um mir den herrlich schiefen Baum anzuschauen. Ich grinste. Dad hatte echt kein gutes Händchen für sowas. Zwei linke Hände, wie man so schön sagt. Aber geschmückt war der Baum wirklich sehr schön, der große Stern funkelte von ganz oben auf alles andere herab. Die schönen roten Kugeln glitzerten mir entgegen und die Strohsterne brachten so einen herrlichen Duft in das Zimmer.

Kurzerhand zündete ich die drei Kerzen des Adventskranzes an, sog den Tannenduft tief ein und ließ ihn durch jeden Teil meiner Lunge wandern. Ich schloss die Augen und genoss einfach nur das Gefühl, welches sich gerade behutsam und warm auf meine Seele legte. Es schloss mich ein und ließ mich für den Moment einfach alles vergessen. So bekam ich nicht mal mit, dass Dad und Julian ins Zimmer gekommen waren und erschreckte mich nun zu Tode, als Julian direkt neben mir anfing zu sprechen.

„Der Baum ist schief, sag ich doch!" Erschrocken zuckte ich zusammen und öffnete die Augen. Etwas verwirrt starrte ich ihn an und bemerkte erst dann, dass er ja mit Papa sprach. Grinsend drehte ich mich zu Dad um, der den Baum mit kritischer Miene begutachtete.

„Na gut, meinetwegen! Dann ist er eben schief, ich änder' das jetzt aber nicht mehr!" Er schüttelte trotzig den Kopf. „Warum nicht? Das sieht doch kacke aus!" Meinem Bruder schien das echt nicht zu gefallen.

„Na also hör mal. Das ist doch trotzdem noch der gleiche Baum wie sonst auch, außerdem bisschen Abwechslung. Wenn der Baum immer geradesteht, ist es doch irgendwann langweilig!" Mit einem sehr breiten Grinsen verließ er den Raum und ließ Julian mit seinem empörten Gesicht einfach stehen. Ich hätte laut losprusten können. Lachte aber stattdessen nur leise in mich hinein.

„Ich find den gar nicht so schief." Fand ich wirklich nicht, ein kleines bisschen vielleicht, aber das war wirklich nicht der Rede wert.

„Ja, jetzt fang du auch noch an!", motzte er mich an und verschwand trotzig nach oben.

„Mein Gott, hat der schlechte Laune.", murmelte ich vor mich hin und kümmerte mich wieder um den herrlichen Duft und dieses herrliche Licht, was den ganzen Raum in eine goldene Weihnachtskugel verwandelte. Grinsend machte ich mir einen Kakao mit gaaanz viel Schokolade, nahm mir ein paar von den selbstgebackenen Keksen aus der Dose und pflanzte mich mit meinem Buch bewaffnet aufs Sofa. Vielleicht konnte ich ja auch so herrlich darin versinken, wie in der Weihnachtsstimmung, die jedes Jahr immer wieder noch schöner zu sein schien als in dem Jahr zuvor.  

Winter des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt